Belletristik

Selbstbeschreibung einer Sinteza

Die Musikerin und Jazzsängerin Dotschy Reinhardt, Mitglied der Großfamilie des berühmten Gitarristen Django Reinhardt, aufgenommen am 15.09.2013 in Köln.
Die Schriftstellerin und Musikerin Dotschy Reinhardt © picture alliance / dpa
Von Olga Hochweis · 13.05.2014
Eine "Zigeunerin" müsse doch leidenschaftlich sein - derartige Stereotypisierungen muss die Sinteza Dotschy Reinhardt häufiger über sich ergehen lassen. Dabei hat die Musikerin und Autorin nach der ganzen leidvollen Ausgrenzung bloß das Bedürfnis nach Respekt.
Die Musikerin Dotschy Reinhardt ist eine deutsche Sinteza - Angehörige einer ethnischen Minderheit, die hierzulande seit mehr als sechs Jahrhunderten lebt und der es annähernd ebenso lange verboten war, sesshaft zu werden. Die Eltern von Reinhardt (Jahrgang 1975) durften sich in einem kleinen Ort in der Nähe von Ravensburg erst niederlassen, nachdem die dortigen Einwohner darüber abgestimmt hatten.
Dotschy Reinhardt wurde in der Schule noch Zigeunerin gerufen. In ihrem Buch erinnert sie sich, wie ein Klassenkamerad erwartete, sie könne ihm die Zukunft voraussagen. In den 90er-Jahren, als junge Frau, erhielt sie einen Job im Plattenladen nur dank der Notlüge, sie sei Italienerin.
Solcherlei Erfahrungen grundieren dieses durch und durch persönliche Buch. Es ist ein kleiner Puzzlestein im großen Kontext jahrhundertelanger Verfolgung und Ausgrenzung der Roma und Sinti, deren grausamer Höhepunkt der Genozid während der Nazi-Zeit ist. Aber nicht die Vergangenheit steht im Fokus wie im ersten Buch Reinhardts aus dem Jahr 2008 ("Gypsy - Die Geschichte einer großen Sinti-Familie"), sondern die Gegenwart.
Hetzkampagne der CSU
Die Autorin beschreibt, wie alltäglich Ausgrenzung und Stereotypisierung auch heute noch sind, nicht nur am Stammtisch. Im Vorwort erwähnt sie die Hetzkampagne von CSU-Politikern nach Einführung der Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen am 1. Januar 2014, die alle Roma und Sinti unter den Generalverdacht des Sozialbetrugs stellte. Danach konzentriert sich Reinhardt auf das Bild von Roma und Sinti in der Pop-Kultur.
Eine der ersten Szenen beschreibt unter dem Titel "Feuer im Blut", wie Dotschy Reinhardt nach einem ihrer Konzerte von einem Geiger zu hören bekommt: "Als Zigeunerin musste doch heiß und leidenschaftlich sein! Du bist keine Zigeunerin!" Stimmt: keine Zigeunerin, sondern Sinteza.
Befremdlich allerdings, dass die Zigeunerin offenbar feurig zu sein hat. "Everbody´s Gypsy" nennt eine Menge solcher stereotypen Zuschreibungen - vom feurig-scharfen Zigeunerschnitzel über einschlägige Computerspiele bis hin zum freizügigen "Gypsy-Look". Insbesondere Nicht-Roma und Sinti bedienen sich bevorzugt solcher Klischees, spielen "Gypsy-Beats" oder singen wie der Pop-Star Shakira im Bauchtänzerinnen-Kostüm "I'm a gypsy".
Dotschy Reinhardt: "Eine Missachtung und Verklärung der Traditionen geht damit einher. Wir sind denen schutzlos ausgeliefert, die uns unserer Kultur berauben wollen, ihrer Version von unserer Kultur. Und damit soll man sich abfinden? Einerseits will man uns nicht als Nachbarn haben, aber die Gypsy-Nude auf dem T-Shirt holt man raus, wenn man mal wieder böses Mädchen spielen will."
Sinti und Roma in Paris, London, New York
Persönliche Beobachtungen liefern den Stoff für Kapitel über "TV und Film" oder "Literatur, Mode und Kunst". Dotschy Reinhardt beschränkt sich jedoch nicht auf Negativbeispiele: "In diesem Buch möchte ich zeigen, wie gelebte Kultur von Roma und Sinti wirklich aussieht." Also stellt sie das Plattenlabel Asphalt Tango Records vor, das authentische Roma-Musik vor allem aus Rumänien veröffentlicht, und das Theater-Café Rroma A.K.T., das zwei serbische Brüder in Berlin betreiben.
Reinhardt trifft Musiker und Filmemacher und besucht Konzerte in Paris, London oder New York, wo ihrer Meinung nach der authentische "Gypsy-Lifestyle in den Metropolen" (so der Titel des abschließenden Kapitels) zu Hause ist - und wo insbesondere das Werk ihres berühmten Verwandten Django Reinhardt bis heute lebendig ist. Schade, daß die große Stärke des Buches - die Fülle von Erfahrungen und der persönliche Tonfall - manche Eitelkeit nach sich zieht:
"Nach dem Konzert, als der größte Teil des Publikums gegangen ist, legt noch ein DJ auf, der mir ein unglaubliches Kompliment macht, indem er mich mit der wohl bekanntesten und meiner Meinung nach besten Jazz-Sängerin aller Zeiten, Ella Fitzgerald, vergleicht."
Ein aufmerksames Lektorat hätte dem Buch gut getan. Trotzdem lohnt die Lektüre, weil Dotschy Reinhardt keine kultursoziologischen Ausführungen über Sinti und Roma, sondern die Selbstbeschreibung einer Sinteza in Deutschland bietet. Durch ihre Augen, streckenweise in tagebuchartiger Intimität, werden sowohl die leidvolle Ausgrenzung als auch das Bedürfnis nach Respekt eindringlich nachvollziehbar.

Dotschy Reinhardt: "Everybody´s Gypsy". Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt
Metrolit Verlag, Berlin 2014
224 Seiten, 17,99 Euro

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