Belletristik

Künstler verkennt Polizeistaat

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Fahnen vor dem Parlament in Jerusalem: In Yali Sobols Dystopie wird die Demokratie in Israel abgeschafft © dpa / picture alliance / Marc Tirl
Von Sigrid Brinkmann · 29.04.2014
Ein finsteres Zukunftsszenario: In Israel hat sich ein General als totalitärer Machthaber etabliert, der Rechtsstaat wird aufgehoben. Mit bitterer Ironie beschreibt Yali Sobol den Terror von Antiterrorbehörden.
Israel "nach dem nächsten Krieg": Es herrscht der Ausnahmezustand. Kaum jemand erhält noch eine Ausreisegenehmigung. Ein Übergangskommando ordnet Verhöre von politisch links Stehenden und Künstlern an. Sie bekennen sich ausnahmslos zum zionistischen Wertekanon und akzeptieren widerstandslos, dass man sie nun zur Arbeit in Fabriken verpflichtet. Wenige Monate reichen, um Bürgerrechte außer Kraft zu setzen. In Sobols beklemmender Dystopie mutiert Israel zu einem faschistischen Polizeistaat. Seine Figuren, die alle einen Hang zur Selbsttäuschung haben, entblößt er nüchtern als ängstliche oder kalkulierende Opportunisten.
Im Unterschied zu den gleichaltrigen Schriftstellern Nir Baram und Dror Burstein, die Tel Aviv in Miniaturszenen auch schon bildhaft untergehen ließen, entwirft Yali Sobol ein realistisches Szenario. Dabei wirkt nichts schablonenhaft. Er erfasst das seelische Potential von Leuten, die bereit sind, zu kooperieren oder - ohne es genau zu wissen - nur darauf gewartet haben, eines Tages Fremde einer vermeintlichen Verfehlung zu überführen. Und offensichtlich hat sich der Autor über perfide Praktiken informiert, mit denen Ermittler zur Vernehmung Festgehaltene physisch und psychisch brechen.
Der Pianist ist ein Antiheld
Yali Sobol hat zum ersten Mal einen Musiker zum Protagonisten einer Romanhandlung gemacht. Er selbst ist Sänger und Gitarrist der israelischen Rockband Monica Sex. Wie man als Musiker in einem Land, das sich permanent bedroht sieht, seine künstlerische Autonomie bewahren kann, das ist sein ureigenes Thema. Sobols Pianist ist ein Antiheld. Vom Raketenbeschuss hat er an seinem Fluchtort außerhalb von Tel Aviv nicht viel mitbekommen. Was er jedoch sehr genau spürt, ist, dass "der Verlust, den er in diesem Krieg am meisten bedauerte", ein Baum war. Kühl observiert Sobol weltfremdes Künstlergebaren und fehlendes soziales Urteilsvermögen.
Der Pianist ist sich zu fein, neben einer Soldatin im Bus zu sitzen, willigt aber ein, private Recitals für Neureiche zu geben, die "Bach nicht von Offenbach unterscheiden können". Der Schöngeist beginnt, Klavierkonzerte von Dimitri Schostakowitsch zu studieren, doch seine Wachsamkeit gegenüber der neuen Ordnung schärft dies nicht. Berührt es ihn, dass Schostakowitsch sich unter Stalin ständig dem Vorwurf der "Volksfremdheit" ausgesetzt sah und die Verhaftung fürchtete? Sobol hütet sich, Antworten zu geben. Immer weiter werden seine Figuren in die Enge getrieben. An Selbstbehauptung ist nicht mehr zu denken. Dafür stellen "unverschämte Stimmen im Kopf" immer drängendere Fragen nach der Grenze des Hinnehmbaren.
Der Polizeiinspektor kann Handknochen zermalmen
Die Frau an der Seite des Pianisten ist die Lichtgestalt des Romans. Als Filmcutterin muss sie nun auch Propagandamaterial schneiden. Sie handelt intuitiv, entwickelt blitzschnell Strategien, um etwas Verbotenes zu kaschieren und nimmt die Kraftprobe mit den Gefolgsleuten der neuen Ordnung an. Ihr Charakterprofil ist ebenso subtil umrissen wie das des vernehmenden Polizeiinspektors.
Der hat zwar "die Finger eines Pianisten", doch wird er keinen Moment zögern, die Handknochen eines Mannes zu zermalmen, dessen Lebensglück und Zukunft von der Beweglichkeit seiner Finger abhängt. Yali Sobol hat einen schrecklich kalten, sehr gut erzählten Roman geschrieben. Nach der Lektüre versteht man, dass er als nächstes ein neues Album mit seiner Band produzieren musste. Eines, wo Monica Sex es wieder richtig krachen lässt.

Yali Sobol: Die Hände des Pianisten
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Antje Kunstmann Verlag, München 2014
286 Seiten, 19,95 Euro

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