Belletristik

Erzähl mal, Oma!

Von Helmut Böttiger |
Jana Simon ist 40 Jahre alt, Journalistin - und sie ist die Enkelin der Schriftstellerin Christa Wolf. Simon hat ihre Großeltern über Jahre hinweg ausgefragt und gibt nun spannende Einblicke in das Leben dieses Intellektuellenpaars der DDR.
Jana Simon ist eine Magazinjournalistin und eine Enkelin von Christa und Gerhard Wolf. Sie hat über viele Jahre hinweg, zuerst im August 1998, Gespräche mit ihren Großeltern geführt, und sie schreibt in ihrem Vorwort, dass sie dies anfangs als "privates Familienprojekt" geplant habe.
Doch es liegt nahe zu vermuten, dass eben auch ein journalistischer Instinkt mitwirkte: So nah, wie die Enkelin an die berühmte Schriftstellerin herankommen würde, dürfte das kaum jemandem in vergleichbarer Weise glücken. Zunächst allerdings reagiert Christa Wolf professionell, wie üblich in einem Interview. Doch da die Enkelin ganz direkt und ganz privat nachfragt, verliert sich diese Vorsicht schnell. Plötzlich sieht man sich Personen gegenüber, die vollkommen unverstellt agieren und sich so erinnern, wie sie es eben gegenüber einer interessierten Enkelin tun. Es ist anzunehmen, dass sie sich nicht lange bei dem Gedanken aufgehalten haben, in welcher Form dies irgendwann veröffentlicht werden würde.
"Du hast sehr viel geweint in dieser Zeit"
Vor allem die frühe Zeit wird sehr plastisch. Das Bild, wie Christa Ihlenfeld Gerhard Wolf zum ersten Mal auf der Treppe zur Mensa in Jena sieht, hat sich tief in ihr eingegraben – sie stellt das fest, hält während des Erzählens inne und schaut ihn an, während er die Treppenszene und die ersten Momente eher überspielt: "Da hieß es: Die streiten sich so viel, die sind verliebt." Sie waren, um 1950, gerade mal 20 Jahre alt, und es war eine Lebensentscheidung. Gerhard Wolf erinnert seine Frau an eine Freundin, die gesagt habe, er passe gar nicht zu ihr: "Du hast sehr viel geweint in dieser Zeit."
Es erscheint folgerichtig, wie sie als Angehörige einer jungen, begeisterungsfähigen Generation ganz selbstverständlich in den DDR-Sozialismus hineinwuchsen. Christa Wolf schildert amüsiert, dass sie "wie ein Paar aus einem schlechten sozialistisch-realistischen Roman wirkten": Sie diskutierten bis in die Nacht, wie sich die DDR entwickeln müsse, was die Partei da wieder entschieden habe, und man sieht die junge Christa Wolf direkt vor sich, wie sie sich am 17. Juni 1953 das Parteiabzeichen ans Revers heftet und engagiert mit der Bevölkerung zu diskutieren versucht. Das sind spannende zeitgeschichtliche Einblicke, die einen merkwürdigen Effekt bekommen, wenn die Enkelin mit Worten einhakt wie: "Das musst du jetzt einmal genauer erzählen, Oma!" oder "Wer hat dich überredet, Oma?".
Bürde des großen Schriftstellers
Es gibt in diesem Buch ungeschützte Einblicke auf die feste private Burg – wie Christa und Gerhard Wolf sich gegenseitig stützten, während sie die äußeren Verhältnisse zunehmend als bedrängend empfanden. Und wie durch einen grauen, sanften Schleier wird einem bewusst, wie wichtig einmal Literatur und die Rolle des Schriftstellers genommen wurde, eine Bürde, die von vornherein zu groß war und an der man zwangsläufig scheitern musste.

Jana Simon: Sei dennoch unverzagt. Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf
Ullstein Verlag, Berlin
280 Seiten, 19,99 Euro