Belgien

Die stille Monarchie

Von Karin Bensch und Wolfgang Landmesser  · 07.01.2014
Keine Staatsgäste, kein Bankett, wenig Glamour: Eher unspektakulär ging im vergangenen Sommer der Thronwechsel in Belgien von König Albert II. auf König Philippe über die Bühne. Dabei spielt der belgische Monarch politisch durchaus eine starke Rolle: Denn er ist es, der in Zeiten der Krise das Land zusammenhalten soll. Schon aus Eigeninteresse.
Belgien ohne Königspaar? Eine alptraumhafte Vorstellung für die Royalisten. Cedric Vloemans ist einer von ihnen. Der schlanke, etwas blasse, junge Mann gehört zu einer Vereinigung, die sich "Belgische Union" nennt. Eine kleine Gruppe mit etwa 350 Mitgliedern. Ihr Ziel ist es, die Monarchie zu bewahren, erzählt Cedric.
"Der König ist ein Stabilitätsfaktor in Belgien. In einer politischen Krise, wie wir sie vor einigen Jahren hatten, braucht es jemanden, der neutral ist, der über allen Parteien steht, und der unantastbar ist. Wenn er französisch und niederländisch spricht, dann ist er der König aller Belgier. Für Belgien und für das Aufrechterhalten Belgiens, glaube ich, dass der König sehr wichtig ist."
Politisch, sprachlich und kulturell ist das Land zerrissen zwischen französischsprachigen Wallonen im Süden, niederländischsprachigen Flamen im Norden und einer deutschen Minderheit im Osten des Landes. Hinzu kommen soziale Probleme, unsichere Renten, steigende Arbeitslosigkeit.
Der kleine Ort Vilvoorde ist kaum 15 Kilometer vom Brüsseler Zentrum entfernt. Aber hier, im sogenannten Rand von Brüssel, halten die meisten nicht so viel von der belgischen Monarchie.
Edwin sitzt mit seinem Sohn im "de Met", einem Restaurant am Grote Markt. Gerade hat er ein Pferdesteak bestellt – und würde den König am liebsten loswerden.
"Ich persönlich finde, dass die Monarchie abgeschafft werden kann. Dass der König immer noch Gesetzen zustimmen muss, das ist aus der Vergangenheit. Und dass er die Regierung zusammenstellen muss, ist echt nicht nötig. Politik ist Politik, und König ist König."
Warum keinen Präsidenten wie in anderen Ländern?, fragt Edwin, vom Volk gewählt, und nicht auf Lebenszeit wie ein König. Der Streit zwischen Republikanern und Royalisten spaltet Belgien. Und oft auch Familien. An einem anderen Tisch wird gerade Pasta serviert. Das ältere Ehepaar ist sich nicht einig, ob das Land nun einen König braucht oder nicht.
"Hebben de Belgen een koning nodig?"
"Wir glauben es nicht, wir sind nicht königsgesinnt."
"Hij, voor mij is het goed."
"Ik ben meer een republiekaner."
Er ist Republikaner. Sie findet die Monarchie gut, weil sie immer noch billiger sei, als ein Präsident nach dem anderen.
Vor dem Restaurant sitzt Jean-Pierre in der Abendsonne. Der gemütliche Flame mit dem gezwirbelten Schnurrbart findet, dass der König bleiben soll. Aber mit weniger Rechten.
"Er soll eine Protokollfunktion haben. Wir sind in der Krise, jeder muss da seinen Teil beitragen. Die Monarchie ist eine zu teure Angelegenheit. Die Politik beginnt zu begreifen, dass die Bevölkerung das nicht mehr hinnimmt: Dass die Leute, die arbeiten, Millionen für dieses Image zahlen müssen."
"Der belgischste der Belgier"
Zu viel Macht und zu teuer - so sehen das viele in Flandern. Die Monarchie wirklich abschaffen wollen dagegen die wenigsten. Nach einer aktuellen Umfrage ist nur jeder fünfte Flame für eine belgische Republik. Und das mag auch ein bisschen an Albert II. liegen. In den 20 Jahren seiner Regentschaft hat er sich bemüht, König aller Belgier zu sein. "Der belgischste der Belgier" wurde er deswegen auch genannt. Der Mann hatte einfach was Volkstümliches. Typisch sein Auftritt nach dem Konzert zum zehnjährigen Amtsjubiläum 2003.
"Was dat belgisch? C'est du belge!"
Ja, das war belgische Lebensart: Bis heute ein geflügeltes Wort. Diese offene Art war das Besondere an König Alberts Regierungszeit, sagt Mark van den Wijngaert, emeritierter Geschichtsprofessor an der Universität Brüssel. Ganz anders als sein Bruder und Vorgänger König Baudouin.
"Het was geen echte strenge koning ... als met de groene."
Er war kein wirklich strenger König wie Baudouin, kein Mann, der immer seine Prinzipien durchgedrückt hat. Er war ein pragmatischer König, der es verstand, sowohl mit den Christdemokraten umzugehen als auch den Liberalen oder Grünen.
Das war vor allem wichtig in politischen Krisenjahren ab 2007. Der Konflikt zwischen Flamen und Wallonen brach mit voller Wucht aus. Es ging um mehr Kompetenzen für die Regionen und ums Geld. Die flämischen Gemeinden im Brüsseler Umland wollten sich lossagen von der Hauptstadt. Und Brüssel fürchtete, finanziell auszubluten.
Der König als Vermittler
Nach den Parlamentswahlen gab es keine klaren Mehrheiten. Der König war als Vermittler gefragt. Laut der belgischen Verfassung kann er den Politiker benennen, der die Regierung bilden soll.
Nach der Wahl im Jahr 2010 ging lange nichts voran. Im flämischen Norden hatte die nationalliberale N-VA gewonnen mit ihrem Parteichef Bart de Wever, im wallonischen Süden hatte die sozialdemokratische PS die meisten Stimmen errungen. Als nach zwölf Monaten immer noch keine neue Regierung vereidigt war, platzte Albert der Kragen bei seiner Rede am Nationalfeiertag: "Der wahre Mut bestehe jetzt darin, endlich einen Kompromiss zu erzielen."
Trotz aller Spannungen: Nach 540 Tagen – übrigens ein internationaler Rekord – war es dann endlich geschafft: Belgien hatte eine neue Regierungskoalition. Politische Beobachter rechneten das Albert als Erfolg an.
Ein etwas düsterer Saal im belgischen Parlament in Brüssel. Ein großer, kräftiger Mann, mit Hemd und Jackett, aber ohne Krawatte, sitzt hinter einem Holztisch. Davor Journalisten, Mikrofone und Kameras. Für den Fraktionschef der N-VA, der Neu-Flämischen Allianz hat sich die Monarchie längst überlebt.
"Positives am Königshaus in Belgien gibt es unserer Meinung nach kaum etwas. Wir sind Demokraten, und wir sollten auch die Staatsform des Landes wieder in eine Demokratie umwandeln. Und das bedeutet für uns eine Republik.
Etwas anderes ist natürlich der König als Person. Das ist eine andere Diskussion. König Albert II. ist ein angesehener Mann. Aber die Monarchie als Institution, darin sehen wir wenig Gutes."
Um die Monarchie in Belgien abzuschaffen, braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Die ist nicht in Sicht. Dennoch werden die N-VA und andere antiroyale Parteien eine Herausforderung für den König Philippe:
"Die politischen Umstände machen es ihm natürlich schwer. Es gibt in Flandern einige Parteien, die die Monarchie abschaffen möchten und Belgien als Ganzes nicht mehr wollen. Das über natürlich einen hohen Druck auf ihn aus."
Zu viel Einfluss?
Der politische Einfluss der Separatisten wächst: Bei den Parlamentswahlen 2010 erreichte die neuflämische Allianz landesweit 17,4 Prozent. Damit wurde sie die stärkste Partei in Belgien. Für die N-VA ist klar: Wenn sich die Monarchie nicht abschaffen lässt, dann sollen wenigstens ihre Rechte beschnitten werden.
Für Jan Jambon hat der belgische König viel zu viel politischen Einfluss:
"Er ist beispielsweise noch Chef der Armee. Er kann Straftäter begnadigen. Er kann Menschen den Adelstitel verleihen. Er benennt Minister und er unterzeichnet Gesetze. Es ist bereits vorgekommen, dass ein König mit einem Gesetz nicht einverstanden war und es nicht unterschrieben hat. Und das möchten wir in Zukunft verhindern."
In Belgien kommt es äußerst selten vor, dass ein König ein Gesetz nicht unterzeichnet. Der letzte Fall liegt mehr als 20 Jahre zurück. Damals hatte sich König Baudouin, ein gläubiger Christ, geweigert, ein Gesetz zu unterschreiben, mit dem Abtreibungen erleichtert werden sollten. Letztlich kam das Gesetz dann trotzdem durch.
André Flahaut steht vor dem Marmorkamin in seinem Amtszimmer. Seit 40 Jahren ist der wallonische Sozialist in der Politik. Über ein Jahrzehnt diente er als Minister, jetzt ist er Präsident des belgischen Parlaments. Und er ist ein Freund der Königsfamilie.
Einen Republikaner kann man André Flahaut also kaum nennen – trotz seiner sozialdemokratischen Herkunft. Auf die Reformpläne der N-VA reagiert er entsprechend zurückhaltend. Die flämischen Nationalliberalen würden maßlos übertreiben. So groß sei die Macht des Königs nun wirklich nicht.
"Der König spielt zwar eine einflussreiche Rolle, aber er ist nicht der erste Akteur in der Politik. Einige sagen, man müsse dem König seine Aufgabe wegnehmen, einen Politiker mit Regierungsbildung zu beauftragen. Aber es gibt noch viele andere Politiker und Meinungsführer, die permanent an einer Lösung arbeiten, um dem Land eine Regierung zu geben."
Und was im Rahmen der Verfassung möglich sei, habe die Koalition bereits angepackt:
"Es ging darum, die Zuwendungen transparenter zu machen, die Mitglieder der Königsfamilie der Steuer und der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Diejenigen zu definieren, denen eine Dotation zusteht, die Zahl derer zu reduzieren, die davon profitieren und die Höhe der Zuwendungen zu kürzen."
Die Einschnitte waren deutlich: In Zukunft haben nur noch der König und der Kronprinz, beziehungsweise die Kronprinzessin, Anspruch auf staatliche Vergütungen, sowie Exkönige oder Witwen wie Königin Fabiola. Alle anderen Verwandten oder Nachkommen müssen für ihren Unterhalt einem ganz normalen Job nachgehen.
Den Königsjob traut André Flahaut Philippe durchaus zu. Der Parlamentspräsident ist ihm oft begegnet.
"Er ist eine neugierige Persönlichkeit, lernt gerne dazu, er kann zuhören. Aber er ist auch eine Persönlichkeit mit Überzeugungen. Er muss vielleicht noch das Gleichgewicht finden: Entscheidungen zu treffen und sich beraten zu lassen. Aber wie sein Vater auch, wird er das rechte Maß finden – und ein guter König sein."
Benoît Rihoux, Politikprofessor an der Universität Louvain-la-Neuve, ist überzeugt, dass Philippe die Fähigkeiten hat, die ein König braucht:
"Zuhören und mit Leuten reden – das kann er. Ein Image in der Bevölkerung aufzubauen, das stimmt, da hat er begrenzte Möglichkeiten. Er ist eher ein introvertierter Mensch. Aber er kann mit seiner Frau, Königin Mathilde, ein positives Bilde in der Klatschpresse erzeugen – warum nicht."
Viel weniger Zweifel gibt es bei Mathilde. Mathilde ist blond und hübsch, sie gilt als offen und charmant. Auch sie von Hause aus blaublütig – als Tochter eines der größten Grundbesitzer Belgiens und einer polnischen Gräfin. Gefunkt hat es zwischen Mathilde und Philippe angeblich beim Tennis. 1999 dann die Hochzeit.
Wichtigste Aufgabe: Symbolfigur für die Einheit des Landes
Philippe und Mathilde haben vier Kinder. Die älteste Tochter heißt Elisabeth und ist elf Jahre alt. Sie könnte eines Tages die erste Königin von Belgien werden. Doch zunächst ist ihr Vater dran. Es gibt eine Aufgabe, die seine Wichtigste werden könnte, meint Geschichtsprofessor Mark van den Wijngaert.
"Er soll versuchen, die Verbindung herzustellen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Belgien. Er muss Symbolfigur sein für die Einheit des Landes, und die ist mehr und mehr bedroht, und das macht seine Regentschaft so schwierig."
"Wenn es um das Funktionieren dieses föderalen Systems geht, spielt der König eindeutig eine Schlüsselrolle. Und die wird er weiter spielen, weil es keine andere Person gibt, keinen allgemein akzeptierten politischen Führer, der dieselbe Rolle spielen könnte."
"Dem alten König wünsche ich, dass er jetzt zur Ruhe kommt, weil er sehr viel für das Land gearbeitet hat. Und dem neuen König wünsche ich viel Mut, um die Einheit des Landes in seiner aktuellen Form zu bewahren."
Mit ein bisschen Schonzeit werde Philippe den neuen Job schon schaffen, ist ein anderer überzeugt.
Richtig bewähren musste sich Philippe in ersten Monaten seiner Regentschaft noch nicht. Aber die Stunde der Wahrheit wird kommen. Spätestens bei den nächsten Parlamentswahlen im Mai.
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