Beleidigung des Lesers
Von Rolf Schneider · 14.03.2012
Verlage beschäftigen heutzutage kaum noch Korrektoren. Mit verheerenden Folgen: Mittlerweile gibt es kaum noch Bücher, die verlässlich druckfehlerfrei sind. Das ist eine elementare Beschädigung.
Es ist sehr lange her, da las ich eine Biografie über den anglo-irischen Dichter Oscar Wilde, erschienen in einem angesehenen westdeutschen Verlag. Wiederholt kam im Text der bekannte Londoner Straßenname Piccadilly vor. Er kam in mehreren unterschiedlichen Schreibungen vor, und jede von ihnen war falsch.
Ich sah es mit Kopfschütteln. Letzteres hat sich inzwischen verstärkt. Im Folgenden nenne ich ein paar Lesefrüchte aus jüngerer Zeit.
In einem historischen Zusammenhang stand der Begriff Haugesetz. Eigentlich ein apartes Wort. Haugesetz als Synonym für mittelalterliches Fehdewesen? Das war es nicht. Im Kontext erschloss sich, dass es vielmehr um ein Hausgesetz ging.
Anderswo hatte Nazi-Reichsmarschall Göring seine Fettsucht infolge einer Verwundung erworben, die er bei einem Lustkampf davon trug. Da der Kerl unter sexuellen Problemen litt, eignete dem Begriff eine gewisse Schlüssigkeit. Er war bloß sachlich falsch. Göring erfuhr seine Verwundung als Kriegsflieger bei einem Luftkampf. Irreführend auch, wenn bei einem muslimischen Gottesdienst hunderte Gläubiger knien, wo offensichtlich Gläubige gemeint sind.
Haben die hier aufgeführten Beispiele noch den Beigeschmack des Komischen, sind die meisten Druckfehler, auf die ich stoße, bloß verwirrend. Manche Wörter sind so verstümmelt, dass man den Sinn erraten muss. Mal fehlen ganze Wörter. Mal werden Wörter sinnlos wiederholt. Von der Interpunktion zu schweigen.
Dergleichen findet sich überall, in Zeitungen und Zeitschriften sowieso, aber auch in Büchern. Mittlerweile kenne ich kaum noch einen Verlag, dessen Produkte verlässlich druckfehlerfrei sind. Die angesehensten Häuser des Landes befinden sich darunter; das einzige Unternehmen, bei dem ich das noch nicht angetroffen habe, ist Diogenes in Zürich, aber vielleicht macht dies bloß der Zufall meiner Lektüre.
Bleibt die Frage, wie es zu solchen Zuständen kommt. Die vielen Orthografie-Änderungen, die wir die letzten 20 Jahre erfuhren, sind eine mögliche Erklärung, doch die wichtigste nicht.
Vor langer Zeit war ich Angestellter in einem großen ostdeutschen Buchverlag. Dort war eine halbe Etage reserviert für Korrektoren; ich meine, es waren deren acht. Ein Manuskript wurde von ihnen, ehe es in den Druck ging, zwecks Vorkorrektur gelesen. Die eingehenden Druckfahnen wurden von ihnen gleichfalls gelesen und anschließend noch der Umbruch. Zusätzlich las beides der zuständige Lektor, außerdem, sofern vorhanden, der Autor. DDR-Bücher waren häufig auf schlechtem Papier gedruckt, die Inhalte konnten unsäglich sein, nahezu druckfehlerfrei waren sie jedenfalls.
Heutige Verlage beschäftigen keine Korrektoren. Die Korrektur erfolgt im Outsourcing und findet bloß noch einmal statt, da die Druckerei immer gleich den Umbruch schickt. Manchmal unterbleibt die Korrektur völlig, mit verheerenden Folgen.
Die Korrektoren von früher waren gelernte Metteure. Den damals aktuellen Duden beherrschten sie im Schlaf. Metteure werden nicht mehr benötigt, also nicht mehr ausgebildet, also gibt es sie nicht mehr. Heute entsteht der Drucksatz am Computer. Der verfügt über eine automatische Rechtschreibkennung. Unbekannte Wörter kann sie anzeigen, falsche Sinnzusammenhänge nicht.
Druckfehler sind eine elementare Beschädigung des Buches und eine Beleidigung des Lesers. Sie sind eine aus Gründen der Kostenersparnis betriebene Schlamperei. Mutet man sie uns zu, da uns die stilistischen und orthografischen Fehlleistungen der Blogosphäre abgestumpft haben? Wenn wir Druckfehler in Mails und Blogs klaglos hinnehmen, werden wir auch – denkt man vielleicht – das E-Book samt seinen Druckfehlern tolerieren.
Das E-Book ist eine Bedrohung des herkömmlichen Buchs. Wollen wir das herkömmliche Buch bewahren, und ich halte dafür, muss es sich durch Qualität auszeichnen. Das fehlerfreie Druckbild gehört dazu.
Rolf Schneider ist Schriftsteller, Essayist, Publizist. Er stammt aus Chemnitz, war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift "Aufbau" in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem zuvor mit elf Kollegen in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen: u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes".
Ich sah es mit Kopfschütteln. Letzteres hat sich inzwischen verstärkt. Im Folgenden nenne ich ein paar Lesefrüchte aus jüngerer Zeit.
In einem historischen Zusammenhang stand der Begriff Haugesetz. Eigentlich ein apartes Wort. Haugesetz als Synonym für mittelalterliches Fehdewesen? Das war es nicht. Im Kontext erschloss sich, dass es vielmehr um ein Hausgesetz ging.
Anderswo hatte Nazi-Reichsmarschall Göring seine Fettsucht infolge einer Verwundung erworben, die er bei einem Lustkampf davon trug. Da der Kerl unter sexuellen Problemen litt, eignete dem Begriff eine gewisse Schlüssigkeit. Er war bloß sachlich falsch. Göring erfuhr seine Verwundung als Kriegsflieger bei einem Luftkampf. Irreführend auch, wenn bei einem muslimischen Gottesdienst hunderte Gläubiger knien, wo offensichtlich Gläubige gemeint sind.
Haben die hier aufgeführten Beispiele noch den Beigeschmack des Komischen, sind die meisten Druckfehler, auf die ich stoße, bloß verwirrend. Manche Wörter sind so verstümmelt, dass man den Sinn erraten muss. Mal fehlen ganze Wörter. Mal werden Wörter sinnlos wiederholt. Von der Interpunktion zu schweigen.
Dergleichen findet sich überall, in Zeitungen und Zeitschriften sowieso, aber auch in Büchern. Mittlerweile kenne ich kaum noch einen Verlag, dessen Produkte verlässlich druckfehlerfrei sind. Die angesehensten Häuser des Landes befinden sich darunter; das einzige Unternehmen, bei dem ich das noch nicht angetroffen habe, ist Diogenes in Zürich, aber vielleicht macht dies bloß der Zufall meiner Lektüre.
Bleibt die Frage, wie es zu solchen Zuständen kommt. Die vielen Orthografie-Änderungen, die wir die letzten 20 Jahre erfuhren, sind eine mögliche Erklärung, doch die wichtigste nicht.
Vor langer Zeit war ich Angestellter in einem großen ostdeutschen Buchverlag. Dort war eine halbe Etage reserviert für Korrektoren; ich meine, es waren deren acht. Ein Manuskript wurde von ihnen, ehe es in den Druck ging, zwecks Vorkorrektur gelesen. Die eingehenden Druckfahnen wurden von ihnen gleichfalls gelesen und anschließend noch der Umbruch. Zusätzlich las beides der zuständige Lektor, außerdem, sofern vorhanden, der Autor. DDR-Bücher waren häufig auf schlechtem Papier gedruckt, die Inhalte konnten unsäglich sein, nahezu druckfehlerfrei waren sie jedenfalls.
Heutige Verlage beschäftigen keine Korrektoren. Die Korrektur erfolgt im Outsourcing und findet bloß noch einmal statt, da die Druckerei immer gleich den Umbruch schickt. Manchmal unterbleibt die Korrektur völlig, mit verheerenden Folgen.
Die Korrektoren von früher waren gelernte Metteure. Den damals aktuellen Duden beherrschten sie im Schlaf. Metteure werden nicht mehr benötigt, also nicht mehr ausgebildet, also gibt es sie nicht mehr. Heute entsteht der Drucksatz am Computer. Der verfügt über eine automatische Rechtschreibkennung. Unbekannte Wörter kann sie anzeigen, falsche Sinnzusammenhänge nicht.
Druckfehler sind eine elementare Beschädigung des Buches und eine Beleidigung des Lesers. Sie sind eine aus Gründen der Kostenersparnis betriebene Schlamperei. Mutet man sie uns zu, da uns die stilistischen und orthografischen Fehlleistungen der Blogosphäre abgestumpft haben? Wenn wir Druckfehler in Mails und Blogs klaglos hinnehmen, werden wir auch – denkt man vielleicht – das E-Book samt seinen Druckfehlern tolerieren.
Das E-Book ist eine Bedrohung des herkömmlichen Buchs. Wollen wir das herkömmliche Buch bewahren, und ich halte dafür, muss es sich durch Qualität auszeichnen. Das fehlerfreie Druckbild gehört dazu.
Rolf Schneider ist Schriftsteller, Essayist, Publizist. Er stammt aus Chemnitz, war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift "Aufbau" in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem zuvor mit elf Kollegen in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen: u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes".

Rolf Schneider© Therese Schneider