Beleidigt im Schrebergarten

Von Sven Ricklefs · 02.12.2011
Im Residenztheater ist Voltaires Geschichte eines Optimisten, der alles Übel der Welt erlebt, zwar durch Musik und Bühnenbild modernisiert. Aber die Regisseurin bleibt die Antwort schuldig, warum das Stück heute noch aktuell ist.
Warum nur ein derart seltsames Wesen wie der Mensch geschaffen worden sei, wird das Publikum am Anfang von Friederike Hellers Candide-Version von der frech ins Publikum grinsenden Fünfer-Gruppe von Schauspielern gefragt, und diese Frage wird sich am Schluss noch einmal wiederholen. Tatsächlich ist man der Erkenntnis dieses Warums nicht wirklich einen Schritt näher gerückt, bleibt dann allerdings die Frage, ob die Erkenntnis der Nicht-Erkenntnis tatsächlich so erkenntnisreich ist.

Voltaires tumber Tor Candide macht ja bekanntlich seine Tour durch die Welt der übelsten Übel, um sich am Ende von seinem Hoffnungsfrohsinn geläutert von dieser Welt zurückzuziehen und auf dem Lande Kohl zu züchten. Voltaire kämpfte dabei mit seiner ironischen Novelle gegen das von Leibnitz aufgestellte Postulat, die Welt, wie sie sei, sei die beste aller Welten. Kein Wunder, dass Candide zwischen Kriegsgreul und Naturkatastrophen so alles erdenklich Schreckliche erleben muss, um von seinem Optimismus geheilt zu werden.

Da Voltaire bei seinen Schreckensausschweifungen ziemlich frank und frei war, stand sein Buch pikanterweise bis weit ins 20. Jahrhundert hinein auf dem Index der katholischen Kirche. Trotzdem trägt man als Regisseurin die Beweislast, warum das sicher vor 250 Jahren mutige Buch nun heute unbedingt theatralisiert werden muss.

Friederike Heller verortet ihre theatrale Candide-Version stark in der Gegenwart. So hängt etwa der Bühnenhimmel im Münchner Residenztheater voller netter hübscher Plastikkonsumgüter, dazu hat sie die Hamburger Rockgruppe Kante sehr dominant in die Mitte der Bühne gesetzt. Mit dieser Gruppe, die zwischen Jazz und Rock chargiert, hat sie schon mehrfach zusammengearbeitet, in Wien etwa bei ihrer Bearbeitung von Thomas Manns Doktor Faustus oder in Dresden bei Goethes Wilhelm Meister.

Der Gestus, der Sound also ist heutig, aber letztlich erzählt Heller dann doch einfach – wenn auch auf 80 Spielminuten stark verknappt – die Lebensreise des tumben Toren Candide. Optimismus trifft auf üble Welt und zieht sich beleidigt in den Schrebergarten zurück.

Ansonsten hat Friederike Heller den ironischen Duktus ihrer Vorlage aufgenommen. Während die Figuren eher als Karikaturen denn als Charaktere gezeichnet sind, springen die Schauspieler schnell vom Erzähltext zum Dialog oder zur Spielszene. Und so hat Heller tatsächlich ästhetisch wacker eine Form gefunden und präsentiert Candide zwischen Erzählperformance und Konzert. Zudem stehen ihr Schauspieler wie Sebastian Blomberg zur Verfügung, der sich als Candide in eine Art Kasper-Hauser-mäßigen Struwwelpeter verwandelt und damit wie die anderen Schauspieler auch zu Recht beim Münchner Publikum punkten kann. Und so hätte wahrscheinlich auch Friederike Heller mit einem anderen Stück mehr ernten können, als eine gewisse Ratlosigkeit.

Weiterführende Links:

Höchst intelligenter Spaß - Friederike Heller inszeniert "Candide" nach Voltaire am Münchner Residenztheater

Mehr Mann geht nicht - Der "Doktor Faustus"-Roman des Lübecker Nationalhelden auf der Bühne seiner Heimstadt

Residenztheater München - Candide
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