Beklemmendes Psychogramm
24.12.2010
Die 75-jährige Etelka wird von ihrer Tochter, einer erfolgreichen Ärztin, nach dem Tod ihres Mannes aus dem Dorf mit nach Budapest genommen. Dort vereinsamt und verkümmert die alte Frau - und sehnt sich zurück nach der Heimat. Ein unsentimentaler Roman, zugleich aber nah an den Gefühlen seiner Protagonisten.
Magda Szabó, 1907-2007, gehört zu den bekanntesten ungarischen Autor/innen auch außerhalb Ungarns. Die Lyrikerin, Dramatikerin, Romanautorin, Lehrerin und Ministerialbeamtin wurde unter dem Stalinismus 1949 mit einem Publikationsverbot belegt und aus dem Staatsdienst entlassen. Jahrzehnte später wurde sie mit dem wichtigsten ungarischen Literaturpreis (Kossuth-Preis), dem französischen Prix Fémina und weiteren Ehrungen ausgezeichnet. Ihre Romane wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Zu den wichtigsten zählen "Die andere Esther", "Schlachtfest" und "Pilatus/Und wusch ihre Hände in Unschuld"(1963).
Der Zürcher Secessions-Verlag hat nun eine Neuübersetzung von "Pilátus" unter dem Titel "Die Elemente" herausgebracht. Die 75-jährige Etelka wird von ihrer Tochter, einer erfolgreichen Ärztin, nach dem Tod ihres Mannes Vince aus dem Dorf, in dem sie ihr Leben verbracht hat, mit nach Budapest genommen. Iza ist ihren Eltern in Zuneigung und Pflichtbewusstsein zugetan – scheinbar die ideale Tochter. Aber das Zusammenleben der beiden Frauen gestaltet sich als problematisch.
Die alte Frau vereinsamt und verkümmert in Budapest. Iza organisiert ihr eigenes Leben und das der Mutter bis ins Kleinste. Sie ist materiell großzügig, richtet freilich alles so ein, wie es ihr angemessen scheint. Persönlichen Austausch gewährt sie ihrer Mutter höchst selten. Und rasch merkt sie, dass sie es kaum aushält, so dicht mit ihrer Mutter zusammenzuleben, deren Hoffnungen und Erwartungen sie ständig wie einen leisen Vorwurf spürt.
Etelka, die der Tochter erstaunlich passiv alle Entscheidungen überlassen und sich darauf gefreut hat, Iza künftig zu verwöhnen, muss sich in einer steril-modernen Wohnung zurechtfinden, aus der alle Erinnerungen an ihr früheres Leben verbannt sind. Sie hat keine Aufgabe, keine Beschäftigung und letztlich keinen persönlichen Kontakt mehr. Hilfsangebote werden zurückgewiesen, der Haushalt wird effizient von einer Haushälterin besorgt.
Eine Reise zurück in ihre alte Heimat, die nicht mehr ihre Heimat ist, bringt Etelka der Erkenntnis näher, dass sie überflüssig geworden und ihr Lebensmit geschwunden ist, und bewegt sie zu einem unerwarteten, entscheidenden Schritt.
Der Roman ist auktorial erzählt, unsentimental und nüchtern im Duktus und zugleich sehr nah an den Persönlichkeiten und ihren Gefühlen. Er zeichnet ein außerordentlich beeindruckendes und teilweise beklemmendes Psychogramm sehr unterschiedlicher Menschen, die es gut meinen und dennoch aneinander scheitern. Denn sie können sich nicht verständigen; jede ist in ihrer eigenen Wahrnehmung gefangen. Und so läuft alles, was sie einander Gutes tun wollen, hoffnungslos ins Leere oder schlägt in sein Gegenteil um.
Wenn freilich Iza von ihrem früheren Mann als jemand beschrieben wird, die mit "fürchterlicher Disziplin" sich selbst und die Ruhe ihrer Arbeit schütze, die "einfach nur egoistisch" sei und anderen nur soviel von sich gebe, wie es ihre Arbeit nicht störe, bezieht der Roman eindeutig Stellung gegen Iza und markiert sie als eine, die alle seelisch zugrunde richtet, die ihr zu nahe kommen.
Demgegenüber werden Antal, ihr früherer Mann, und seine warmherzige neue Frau, die bereit wären, Etelka bei sich aufzunehmen, als das ideale Paar gezeichnet, das nicht mit Verstand und Pflichtgefühl, sondern mit dem Herzen arbeitet und lebt. So klischeehaft das ist und trotz einer gewissen Zeitgebundenheit der (genauen) Milieuschilderungen: "Die Elemente" schildert kraftvoll, eindrücklich und anrührend zeitlose Charaktere und Konstellationen und ist trotz seines Alters von fast 50 Jahren ein unbedingt lesenswerter Roman.
Besprochen von von Gertrud Lehnert
Magda Szabó: Die Elemente
Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer
Secession Verlag für Literatur, Zürich 2010
292 Seiten, 24,95 Euro
Der Zürcher Secessions-Verlag hat nun eine Neuübersetzung von "Pilátus" unter dem Titel "Die Elemente" herausgebracht. Die 75-jährige Etelka wird von ihrer Tochter, einer erfolgreichen Ärztin, nach dem Tod ihres Mannes Vince aus dem Dorf, in dem sie ihr Leben verbracht hat, mit nach Budapest genommen. Iza ist ihren Eltern in Zuneigung und Pflichtbewusstsein zugetan – scheinbar die ideale Tochter. Aber das Zusammenleben der beiden Frauen gestaltet sich als problematisch.
Die alte Frau vereinsamt und verkümmert in Budapest. Iza organisiert ihr eigenes Leben und das der Mutter bis ins Kleinste. Sie ist materiell großzügig, richtet freilich alles so ein, wie es ihr angemessen scheint. Persönlichen Austausch gewährt sie ihrer Mutter höchst selten. Und rasch merkt sie, dass sie es kaum aushält, so dicht mit ihrer Mutter zusammenzuleben, deren Hoffnungen und Erwartungen sie ständig wie einen leisen Vorwurf spürt.
Etelka, die der Tochter erstaunlich passiv alle Entscheidungen überlassen und sich darauf gefreut hat, Iza künftig zu verwöhnen, muss sich in einer steril-modernen Wohnung zurechtfinden, aus der alle Erinnerungen an ihr früheres Leben verbannt sind. Sie hat keine Aufgabe, keine Beschäftigung und letztlich keinen persönlichen Kontakt mehr. Hilfsangebote werden zurückgewiesen, der Haushalt wird effizient von einer Haushälterin besorgt.
Eine Reise zurück in ihre alte Heimat, die nicht mehr ihre Heimat ist, bringt Etelka der Erkenntnis näher, dass sie überflüssig geworden und ihr Lebensmit geschwunden ist, und bewegt sie zu einem unerwarteten, entscheidenden Schritt.
Der Roman ist auktorial erzählt, unsentimental und nüchtern im Duktus und zugleich sehr nah an den Persönlichkeiten und ihren Gefühlen. Er zeichnet ein außerordentlich beeindruckendes und teilweise beklemmendes Psychogramm sehr unterschiedlicher Menschen, die es gut meinen und dennoch aneinander scheitern. Denn sie können sich nicht verständigen; jede ist in ihrer eigenen Wahrnehmung gefangen. Und so läuft alles, was sie einander Gutes tun wollen, hoffnungslos ins Leere oder schlägt in sein Gegenteil um.
Wenn freilich Iza von ihrem früheren Mann als jemand beschrieben wird, die mit "fürchterlicher Disziplin" sich selbst und die Ruhe ihrer Arbeit schütze, die "einfach nur egoistisch" sei und anderen nur soviel von sich gebe, wie es ihre Arbeit nicht störe, bezieht der Roman eindeutig Stellung gegen Iza und markiert sie als eine, die alle seelisch zugrunde richtet, die ihr zu nahe kommen.
Demgegenüber werden Antal, ihr früherer Mann, und seine warmherzige neue Frau, die bereit wären, Etelka bei sich aufzunehmen, als das ideale Paar gezeichnet, das nicht mit Verstand und Pflichtgefühl, sondern mit dem Herzen arbeitet und lebt. So klischeehaft das ist und trotz einer gewissen Zeitgebundenheit der (genauen) Milieuschilderungen: "Die Elemente" schildert kraftvoll, eindrücklich und anrührend zeitlose Charaktere und Konstellationen und ist trotz seines Alters von fast 50 Jahren ein unbedingt lesenswerter Roman.
Besprochen von von Gertrud Lehnert
Magda Szabó: Die Elemente
Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer
Secession Verlag für Literatur, Zürich 2010
292 Seiten, 24,95 Euro