Beklemmende Enge

Glück ist in diesem Roman nicht vorgesehen, schon gar nicht für das weibliche Geschlecht: Behiye und Handan heißen die zwei Teenager in Istanbul, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ihre Geschichte erzählt Perihan Magden mit beißender Kälte und eisiger Hitze zugleich. Mit "Zwei Mädchen" schreibt die Autorin eine literarisch radikale Kampfansage an eine Türkei, von der wir so noch nicht gelesen haben.
Behiye und Handan, zwei Teenager in Istanbul, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das sind die zwei Mädchen in Perihan Magdens gleichnamigem Roman.

Behiye ist die Verkörperung einer explosiven Mischung aus pubertärer Verzweiflung, Trauer und Wut. Wut auf sich selbst, auf den eigenen Körper, der ihr zu klein und eng erscheint für ihre nach Entgrenzung sich sehnende Seele. Wut auf die Welt, in der sie lebt: auf ihre Mutter, das "unverwüstliche Küchenunfallopfer", das "vom Opfersein nicht genug bekommen kann". Auf den schwächlichen Vater, kurz "Salim-Socke" genannt. Ihren Bruder Tufan, den "nationalistischfaschistischen Kommandosoldaten", der den Herrn im Hause mimt und die rebellische Schwester maßregeln will.

Doch dann begegnet Behiye der so schönen wie unschuldigen Handan, einem Mädchen in rosa Babystrickjacke, die einer Welt entstammt, in der sich alle lieben und gern haben, und Behiyes Leben verändert sich auf einen Schlag. Denn mit Handan fühlt sich Behiye zum ersten Mal ganz, mit ihr, so ist sie sich sicher, wird sie ein neuer Mensch.

Tag und Nacht verbringen die beiden zusammen, schließlich zieht Behiye bei Handan und ihrer Mutter ein. Fortan kümmert sich Behiye wie eine Raubtiermutter um ihre neue Freundin, deren Stimme sie am liebsten aufessen würde, deren Duft sie keine Sekunde entbehren kann. Sprich: Ohne Handan kann sie fortan nicht mehr leben.

Das Glück aber - daran lässt Magdens messerscharfe wie gehetzte Prosa von Anfang an keinen Zweifel aufkommen - ist bei dieser Autorin nicht vorgesehen, schon gar nicht für das weibliche Geschlecht. Denn je mehr Behiye liebt, desto mehr wachsen Angst und Misstrauen in ihr. Sie kauft ein Skalpell, um Handan gegen das Böse zu verteidigen.

Und immer öfter wird sie Handan mit Worten verletzen, die voller Hass und Verachtung sind. Verachtung für die reichen Jungs, mit denen Handan sich verabredet. Verachtung für die heile Welt der Mädchenzeitschriften, in der Handan sich zu Hause fühlt. Verachtung für Handans Mutter, die Behiye irgendwann aus der Wohnung schmeißt.

So braucht es nur noch einen kleinen letzten Auslöser, bis Behiye endgültig die Kontrolle verliert - und sich das Unglück ereignet, das man als Leser schon fast von Anfang an erwartet. Handan wird Behiye verlassen, und Behiye wird in die beklemmende Enge ihrer Familie zurückgeholt werden.

All das erzählt Perihan Magden mit beißender Kälte und eisiger Hitze zugleich, jeder Satz ein Brandsatz, gezielt gesetzt gegen eine Gesellschaft, in der Frauen keinen Platz und Männer zu viel Macht haben und wo das Leben nichts anderes ist als Kampf.

"Zwei Mädchen" ist daher Feminismus pur - und eine literarisch radikale Kampfansage an eine Türkei, von der wir so noch nicht gelesen haben.

Rezensiert von Claudia Kramatschek

Perihan Magden: Zwei Mädchen. Istanbul-Story
Roman, Aus dem Türkischen von Johannes Neuner,
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008,
324 Seiten, 9,90 Euro