Beistand in der Ungewissheit

Von Josefine Janert · 22.08.2009
Bernhard Fricke arbeitet als Seelsorger im Abschiebegewahrsam in Berlin-Köpenick. Der evangelische Pfarrer feiert Gottesdienste mit Menschen, die zum größten Teil gar nicht Christen sind.
Freitagnachmittag. Pfarrer Bernhard Fricke öffnet die Tür zu seinem Arbeitszimmer. Der Schreibtisch des 51-Jährigen steht im Keller des Abschiebegewahrsams in Berlin-Köpenick. In den 80er-Jahren arbeitete Fricke für die Aktion Sühnezeichen in der Gedenkstätte Majdanek. Er betreute deutsche Jugendgruppen:

"Das hat mich ganz tief geprägt und beeinflusst auch. So, dass ich für mich gesagt habe, ich muss irgendwas machen, was mit Menschenrechten zu tun hat. So etwas wie Rassismus, Ausgrenzung, das darf es in Deutschland nicht geben. Und so bin ich dann auch zur Flüchtlingsarbeit gekommen."

Bernhard Fricke kopiert ein Blatt mit Liedern und mit Sätzen aus dem Matthäus-Evangelium. Die Texte stehen in sieben Sprachen auf dem Zettel – darunter Albanisch, Russisch und Deutsch. Fricke bereitet den Gottesdienst vor, der freitags um 16 Uhr stattfindet. Ludger Hillebrand kommt herein, ein 46-jähriger Jesuit. Beide Männer kümmern sich um die Häftlinge. Sie werden nicht von den Behörden, sondern von ihren Kirchen bezahlt. Sie führen in Köpenick seelsorgerliche Gespräche. Den Inhaftierten vermitteln sie außerdem Kontakte zu Anwälten und Notaren und zu Hilfsorganisationen, die ihnen nach der Rückkehr in ihre Heimat mit Geld und anderem mehr behilflich sein können. Ludger Hillebrand:

"Ist wegen der Gefangenen wichtig, weil's hier Gefangene von beiden Konfessionen gibt. Und ich find's schön, dass hier, in diesem Feld, wo's Menschen sehr, sehr schlecht geht, die evangelische und die katholische Kirche super gut zusammenarbeiten."

Die meisten Häftlinge sind gar keine Christen. In der Abschiebehaft sitzen Atheisten, Menschen, die muslimischen oder buddhistischen Glaubens sind, oder die nicht über Religion reden. Trotzdem, so erzählt Bernhard Fricke, wenden sich viele an ihn und an Ludger Hillebrand.

"Mein großer Vorteil ist außerdem, dass ich ne Schweigepflicht habe. […] Und deshalb sagen sie ganz viel, erzählen sie ganz viel. Mir hat mal jemand gesagt: Sie sind der Erste, der mir wirklich zuhört. […] Gerade in dieser ausweglosen Situation ist es für viele wichtig, irgendeinen Grund der Hoffnung zu haben. Und viele, gerade die ganz gläubigen Muslime, nennen diesen Grund der Hoffnung Gott. Und Allah. Und das ist der Gott, den wir alle anbeten und auf den wir unsere Hoffnung setzen. Und von daher, denke ich, gibt’s da auch ne große Gemeinsamkeit."

Der Gottesdienst findet im Erdgeschoss statt – mit Blick auf die Stacheldrahtumzäunung. An der Decke flackern Neonröhren. Acht Männer und sechs Frauen betreten den langgestreckten Raum, manche zögernd, andere forsch. Mamadou Diallo findet sich heute zum ersten Mal hier ein. Er trägt das dunkle Kraushaar kurz, ein T-Shirt und eine olivgrüne Hose. Diallo ist 29 Jahre alt und Muslim. Seine Freundin, eine Marokkanerin, lebt mit der wenigen Monate alten Tochter in einem Asylantenheim in Meißen. Diallo soll in ein paar Tagen in seine Heimat Guinea abgeschoben werden. Er hatte in Dresden ein Studium begonnen, doch dann gab es Probleme mit der Aufenthaltsgenehmigung. Was er in Afrika anfangen soll, weiß er nicht. Mit leiser Stimme berichtet Mamadou Diallo von seinem Vater, der in Guinea wohnt, von dem er aber lange nichts mehr gehört hat.

"Ich weiß nicht, wie soll ich ihn da finden. Vielleicht wird er sauer, weil ich war gut in der Schule da. […] Er hat mir auch gesagt: Du musst hier bleiben, das zu Ende machen. […] Ich hab alles verlassen, bin ich hergekommen. Wenn ich zurückkomme ohne Diplom, wird er sowieso sauer."

Bernhard Fricke steht vor dem Altar, auf dem zwei Kerzen brennen. Die Gespräche verebben. Ludger Hillebrand greift nach der Gitarre, auf der er die Lieder begleitet. Fricke hält den Gottesdienst in Deutsch und Englisch. Psalmen und Gebete lesen die Gefangenen in ihren Muttersprachen.

Die Predigt ist kurz. Einige Gefangene verstehen weder Englisch noch Deutsch. Bernhard Fricke weiß, dass alle gern singen und die Gemeinschaft mit den anderen genießen. In Berlin-Köpenick teilen sich drei bis vier Menschen eine Zelle. Sie warten darauf, dass das Gericht über ihre Zukunft entscheidet. Dass sie abgeschoben werden. Dass ihr Asylantrag doch bewilligt wird oder dass es eine andere Lösung gibt. Die Ungewissheit bedrückt sie. Viele suchen nach Beistand.

Da so viele Gefangene am Gottesdienst teilnehmen möchten, folgt ein zweiter. Mamadou Diallo verabschiedet sich auf seine Zelle. Bernhard Fricke erzählt, wie er sich bei den Behörden für ihn eingesetzt hat.

"Er hat ein kleines Kind und eine Frau, mit der er nicht verheiratet ist. Ich möchte gern, und das ist mein großer Wunsch, dass die Familie zusammenbleiben kann. Und deshalb haben wir versucht, eine Vaterschaftsanerkennung und ein Sorgerecht für sie zu machen, so dass wenigstens nach deutschem Recht deutlich ist, diese Familie gehört zusammen, und man darf nicht einen Teil von dieser Familie abschieben."

Neue Häftlinge kommen in den Raum. Eine schlanke, schwarze Frau ist ganz aufgeregt. Sie heiße Miriam und stamme aus Somalia, erzählt sie. Schon am Flughafen sei sie verhaftet und in die Abschiebehaft gebracht worden. Das verstehe sie nicht, sie sei doch keine Verbrecherin.

"All these people, the police, are treating us like a killer, like an armrobber. […] I don't see, why they are treating us like this, because we are innocents. […] I want to go down to the fresh air, but they refuse.”"

Der 33-jährige Osman Hasimowitsch soll nach Bosnien abgeschoben werden. 1992 war er vor dem Krieg geflohen. Er wurde schon einmal abgeschoben und kehrte vor zwei Jahren illegal nach Berlin zurück, zu seiner Frau und den neun Kindern. Deren Zukunft ist ebenfalls ungewiss. In Bosnien will Hasimowitsch nicht leben.

""Gibt’s viele Kriminalität bei uns. Polizisten macht auch bei uns in Bosnien Kriminalität. Weil, wenn was passiert und wir rufen an und sagen: ’Du Zigeuner, halt die Schnauze, ruf nicht wieder hier. Wo warst du 92, wenn war Krieg hier? Hast du in Deutschland gewesen, hast du da gelebt, Kinder gemacht und Frau? Und jetzt wieder kommst du hier. Das kannst du vergessen.’"

Was soll mit Menschen wie Miriam, Mamadou Diallo und Osman Hasimowitsch geschehen? Die Zuwanderung nach Deutschland müsse durchaus begrenzt werden, meint Pfarrer Bernhard Fricke:

"Aber es müsste ohne Abschiebehaft gehen, auf jeden Fall. […]Dass sie Kontakte knüpfen, dass sie Beziehungen vorher haben, dass sie vielleicht auch mit Geld ausgestattet sind, um einen Start zu finden in ihrem Land. Das Allerwichtigste, würd ich sagen: Familien dürfen nicht getrennt werden. Das ist das Allerwichtigste, was ich mir wünsche.