Beißende Satire und Biografie, Polit-Krimi und Revue

02.07.2011
Das Drama um den australischen Netz-Aktivisten Julian Assange und seine Geheimnisbrecher-Webseite WikiLeaks ist jetzt auch eines auf der Bühne. Regisseur Wayne Harrison sucht in "Die Edelstahlratte" nach dem Mann hinter den Schlagzeilen.
Ein Mann gegen den Rest der Welt: Seine Anhänger feiern ihn als Vorkämpfer für die totale Informationsfreiheit, das Pentagon nennt ihn schlicht einen Terroristen. Das Drama um den australischen Netz-Aktivisten Julian Assange und seine Geheimnisbrecher-Webseite WikiLeaks ist jetzt auch eines auf der Bühne.
Regisseur Wayne Harrison sucht in "Die Edelstahlratte" nach dem Mann hinter den Schlagzeilen.

"Ich mag zeitgenössisches, politisches Theater, denn es kommentiert Zustände, die jetzt passieren – und nicht erst wenn sie schon weit zurückliegen.”"

Beißende Satire und Biografie, Polit-Krimi und Revue: "Die Edelstahl-Ratte" schüttelt alles ein wenig durch und das Publikum ist gerührt.

"Ein faszinierendes Porträt von Assange, der Welt in der er lebt und all seiner Widersprüche", sagen zwei Premierenbesucher, "Das Stück ist sehr ausgewogen – wir bekommen alle Informationen und können selbst entscheiden, auf welche Seite wir uns stellen wollen."

Held für die einen, Verräter für die anderen: Assange deckt auf, was andere vertuschen wollen. Dass er deshalb auch in seiner Heimat Australien umstritten ist – das ist kein Staatsgeheimnis. Aber seit die ganze Welt weiß, wer Assange ist, will die australische Regierung nichts mehr von ihm wissen. Es gab Drohungen, Julian Assange den Pass zu entziehen, seine Familienangehörigen in Australien wurden beobachtet und WikiLeaks-Befürworter ausspioniert – alles unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit.

"Das ist bitter enttäuschend, eine Schande für Australien. Heutzutage verlangen wir – wie Assange - von unserer Regierung mehr Offenheit und die Wahrheit"," sagen zwei Premierenbesucher. ""Aber die australische Regierung hat den Staatsbürger Assange einfach im Stich gelassen. Sie hätte hinter ihm stehen müssen, statt ihn zu verurteilen – nur weil die Amerikaner das von uns erwartet haben."

Im Bühnenstück spielt der australische Theater- und Fernsehdarsteller Darren Weller Julian Assange – als einsamen Idealisten mit allzu menschlichen Fehlern. Platinblond, charismatisch und täuschend ähnlich.

""Ich habe mir immer wieder Interviews und Dokumentationen auf Youtube angesehen und selbst noch im Bett Tonbänder abgehört. Assange hat eine einzigartige Stimme – und die wollte ich genau treffen ...”"

Um die Bühne herum: ein Berg aus veröffentlichten Geheimdokumenten. Kriegsberichte, Bankunterlagen und Diplomaten-Depeschen. Papiere, die Julian Assange und WikiLeaks weltweit zum Staatsfeind Nummer 1 gemacht haben. Auf der Bühne: Zehn Schauspieler, die in mehr als 30 Rollen schlüpfen: Assanges Mutter, US-Präsident Barack Obama, die zwei schwedischen Frauen, die Assange der sexuellen Nötigung anklagen, Russlands Staatschef Dimitri Medwedew und – als Schurke: Australiens Premierministerin Julia Gillard.

"Wer ist Julian Assange ?" fragt der Untertitel des Stücks. Eine eindeutige Antwort kann und will "Die Edelstahlratte" nicht geben. Denn das letzte Kapitel über Julian Assange und WikiLeaks – das muss erst noch geschrieben werden.

"Ich glaube niemand weiß wirklich, wer Julian Assange ist – er ist ein Rätsel", überlegt eine Zuschauerin, "es ist zu früh ihn in eine Schublade zu stecken. Deshalb war ich so neugierig auf das Stück. Ich habe mich gefragt: warum jetzt – wenn Assange doch noch soviel Leben vor sich hat?"

Es war ein nasskalter Premierenabend in Sydney. Es regnete. Trotzdem stand das das Publikum nach dem Vorhang noch lange draußen vor dem Theater in kleinen Gruppen zusammen und diskutierte: Was kostet die Wahrheit? Wie viel ist mein australischer Pass eigentlich wert? Kommt mein Land mir zu Hilfe, selbst wenn ich – wie Julian Assange - politisch unbequem bin? Fragen, die in Canberra wie ein Staatsgeheimnis behandelt werden. Aber wohl nur so lange, bis wir alles – früher oder später - auf der WikiLeaks-Webseite nachlesen können.