"Beide Sendungen waren wahnsinnig erfolgreich"

Silvia Becker im Gespräch mit Britta Bürger · 31.12.2010
Clemens Wilmenrod war mehr Entertainer als Koch. Kurt Drummer war Koch, aber kein Entertainer. Beide passten ihre Kochsendungen den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in der Bundesrepublik beziehungsweise der DDR an, sagt die Journalistin Silvia Becker.
Britta Bürger: Jörg Wagner über die Geburtsstunde der deutsch-deutschen Fernseh-Kochshows – ein Thema, mit dem sich die Journalistin Silvia Becker schon in ihrer Magisterarbeit an der Universität Hamburg befasst hat. Schönen guten Tag, Frau Becker!

Silvia Becker: Guten Tag!

Bürger: Die beiden Fernsehköche Clemens Wilmenrod und Kurt Drummer waren ja wohl sehr unterschiedliche Typen, der eine Schauspieler, der andere wirklich Koch. Wer war denn überzeugender?

Becker: Ja also Clemens Wilmenrod, wie gesagt, war gelernter Schauspieler und kein Koch, also er konnte auch wirklich überhaupt nicht kochen, der hat sich da allerlei fragwürdige Gerichte zusammengerührt. Aber er konnte sich eben wahnsinnig gut verkaufen, also er war ein prima Entertainer, hat ganz souverän vor der Kamera gestanden, war sehr sicher in seiner Sprache und hat damit eben von seinem Nichtkochenkönnen abgelenkt.

Und Kurt Drummer hat eben mit seinem Wissen überzeugt. Also der hat auch Ernährungswissenschaften studiert, hatte schon als Küchenchef in Hotels gearbeitet und er wusste genau, wie man Speisen zubereitet. Aber er war eben unsicher vor der Kamera, also man hat das gemerkt, er hat große Unsicherheiten beim Sprechen gezeigt, geriet ins Stocken, hat häufig mal Äh und Hmm gesagt, aber überzeugte eben mit dem Wissen, und Clemens Wilmenrod mit seinem Entertainment.

Bürger: Die zur Verfügung stehenden Zutaten, die waren ja in den 50er-Jahren in Ost und West nicht miteinander zu vergleichen. Mit welchen Lebensmitteln wurde also gekocht, was für Gerichte?

Becker: Ja also in Westdeutschland, die 50er-Jahre, die galten ja so als das Wirtschaftswunder. Also da mauserte sich die Gesellschaft so von der Trümmer- zur Wohlstandsgesellschaft und die Schaufenster füllten sich, also mit Lebensmitteln, auch mit technischen Innovationen. Und auch wenn sich das gar nicht jeder leisten konnte, Clemens Wilmenrod stellte das vor. Also auch Fertigprodukte, die damals ganz neu waren, Dosen-Ananas, also auch exotische Sachen. Und damit konnte Kurt Drummer in der DDR natürlich nicht dienen, also der hatte eine sehr eingeschränkte Auswahl an Zutaten und durch die Planwirtschaft kam es natürlich auch immer zu gewissen Engpässen von gewissen Lebensmitteln. Also der musste mit dem arbeiten, was es zum Zeitpunkt der Sendung eben gerade gab.

Bürger: Und war das dennoch irgendwie kreativ oder eher absurd?

Becker: Kurt Drummer war sehr kreativ. Also der hat es wirklich beherrscht, aus wenigen Zutaten trotzdem noch etwas zu zaubern und hat auch immer Alternativen angeboten. Also es war ihm durchaus bewusst, dass, wenn Menschen in den Supermarkt gehen, nicht vielleicht alles bekommen, was er in der Sendung vorträgt, und hat immer noch mal Alternativen dazu geboten.

Bürger: Zum Beispiel?

Becker: Also er sagte dann zum Beispiel, das kann man mit Kartoffeln machen oder eben auch mit Steckrüben. Oder er sagte eben nicht, nehmen Sie Lachsfilet, sondern nehmen Sie Fischfilet. Also er ließ das völlig offen, und das, was man bekommen konnte, damit hat man dann eben gearbeitet.

Bürger: Und haben die beiden ausschließlich deutsche Gerichte vorgestellt, oder gab es da auch schon Einflüsse aus anderen Ländern?

Becker: Sie haben beide auch ausländische Gerichte vorgestellt. Bei Clemens Wilmenrod war das durchaus auch exotisch, er ist ja auch der Erfinder zum Beispiel des Toast Hawaii. Also er hat da durchaus auch sehr fremde, exotische Länder präsentiert und hat damit auch so diese Reiselust, die im Westen Deutschlands dann langsam begann, schon mal auf die heimischen Teller gebracht und befriedigt. Und ja, das war auch so ein Hinweis zu, es wird alles gut, wir können auch bald alle reisen. In der DDR war das natürlich ein bisschen schwieriger, da war ja abzusehen, man kann jetzt nicht unbedingt in die exotischen Länder fahren demnächst, deswegen hat Kurt Drummer eher sich an den sozialistischen Bruderländern orientiert. Also da gab es dann eben mal Speisen aus Ungarn, zum Beispiel, da hat er eher die Länder gewählt.

Bürger: Damals gab es ja nur Schwarz-Weiß-Fernsehen, wirkte das Essen da nicht ziemlich blass? Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass einem da wirklich das Wasser im Mund zusammenlief ...

Becker: Ja, es wirkte natürlich blasser als heute, aber man muss ja bedenken, es waren auch die Anfänge des Fernsehens. Also die Menschen, das war alles neu für die und die haben das auch eigentlich, haben sich schon bemüht, das ganz schon darzustellen. Das wurde alles in Glasschüsseln angefertigt, dass man eben auch die volle Einsicht hatte in diese Schüsseln und die Speisen auch sehen konnte, wie die zubereitet wurden.

Bürger: Ein deutsch-deutsches Kochduell, übe die ersten Kochshows im Fernsehen sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur mit der Journalistin Silvia Becker, die sich die alten Sendungen aus den Archiven geholt hat. Interessant ist ja auch, dass es damals schon Männer waren, die als Fernsehkoch auftraten, zu einer Zeit, in der ja vor allem die Frauen am Herd standen. Welche Rollenbilder haben diese Sendungen vermittelt?

Becker: Ja also das klassische Rollenbild damals war eben natürlich noch, die Frau steht hinter dem Herd, die ist für das Wohl der Familie zuständig. Clemens Wilmenrod hat das auch ganz klar in seiner Sendung so vertreten, also das war einfach klar, dass er für die Frauen kocht, er hatte auch vorwiegend weibliche Zuschauer. Der DDR-Koch, Kurt Drummer, der hat auch die Männer angesprochen zum Teil, also er hat eben auch an alleinstehende Männer plädiert und hat eben auch gesagt, Männer, helft euren Frauen in der Küche! Also der war da durchaus fortschrittlicher als der Clemens Wilmenrod.

Bürger: Ja in der DDR haben ja auch mehr Frauen gearbeitet.

Becker: Genau, also das war eine enorme Doppelbelastung für die Frauen. Die haben hauptberuflich, waren eben berufstätig und mussten noch den Haushalt wuppen, und dafür hatte er aber durchaus Verständnis. Also er hat dann auch Gerichte gezaubert, die ganz schnell gingen, die wirklich schnell zu machen, damit sich das irgendwie vereinbaren ließ.

Bürger: Sie haben das schon angedeutet vorhin, dass Clemens Wilmenrod so eine Art Trendsetter war. In heutigen Kochshows, da guckt man ja auch oft ganz neidisch auf diese tolle Küchenausstattung, die die haben. Wie war die Ausstattung damals? So wie bei den meisten Leuten zu Hause, oder eben auch deutlich besser?

Becker: Bei Clemens Wilmenrod gab es da so einen kleinen Wandel. In den ganz frühen Folgen hatte er eine Küche, die durchaus auch die Bürger hatten, relativ einfach ausgestattet, auch ganz nett dekoriert. Und das wandelte sich mit den Jahren. Also plötzlich hatte er eine völlig durchgestylte Küche mit Elektroherd, mit teuren Kühlschränken, also Dingen, die sich eigentlich damals niemand leisten konnte, es war ja nach wie vor auch Nachkriegszeit. Und das hat schon verwundert.

Also das sollte vielleicht zum einen so Mut machen und sagen, es wird alles gut, bald können wir uns das alles leisten; zum anderen weiß man auch von Clemens Wilmenrod, dass er viele Werbeverträge hatte, also dass er diese Sendung auch nutzte, um durch Werbeverträge Geld zu verdienen, und hatte eben auch zum Beispiel mit dem Kühlschrankhersteller Bosch einen Werbevertrag. Und das war vielleicht auch der Grund, warum er da so an technischen Innovationen aufgefahren hat.

Bürger: Und das war keine Schleichwerbung?

Becker: Das war Schleichwerbung. Also Clemens Wilmenrod gilt als Erfinder der Schleichwerbung, weil er auch immer wieder bestimmte Zutaten im Bild hatte, für die er letztendlich dann Geld bekommen hat vom Hersteller.

Bürger: Was haben sich die Programmverantwortlichen der ARD eigentlich damals vor der ersten Kochshow so überlegt, was haben die sich davon versprochen? Da wusste man ja noch nicht, dass das jahrzehntelang ein Quotenbringer werden würde!

Becker: Ja, Kochsendungen gehören ja zu den Ratgebersendungen. Und die waren in der Nachkriegszeit einfach sehr beliebt, weil sie den Zuschauern Orientierung boten, es gab einen Nutzwert. Und das war eben in der Zeit nach diesen Kriegswirren – die Menschen hatten Schreckliches erlebt – einfach ganz wichtig, da eine offizielle Orientierung und eine Anleitung an die Hand zu bekommen. Und das war eben auch bei diesen Kochsendungen der Fall.

Bürger: Und in der DDR, was gab es da für Überlegungen? Hat man sich das einfach vom Westen abgeguckt?

Becker: In der DDR war es natürlich auch ganz klar der Fall, das war ein Propagandamittel für die Staatsführung. Also die konnten über diese Kochsendung die Bedürfnisse der Zuschauer lenken. Die haben dem Fernsehkoch auch ganz klare Vorgaben gemacht. Also wenn es zum Beispiel eine Schwemme gerade an Tomaten gab, die irgendwie weg mussten, dann musste er Rezepte mit Tomaten vorstellen. Wenn es gerade keine Südfrüchte gab wie Orangen, dann durfte er die auch nicht vorstellen, damit da einfach gar nicht diese Bedürfnisse geweckt werden bei den Zuschauern.

Bürger: Haben die Zuschauer das gedankt?

Becker: Ja also beide Sendungen waren wahnsinnig erfolgreich. Das sieht man auch an Leserbriefen, die die Menschen geschickt haben, also die haben das wirklich regelmäßig verfolgt und haben die Kochbücher gekauft, die dazu erschienen sind, also das waren wirklich beides Erfolgssendungen.

Bürger: Was ist aus den beiden Fernsehköchen der ersten Stunde geworden, wie gingen deren Karrieren weiter beziehungsweise auch zu Ende?

Becker: Ja also Clemens Wilmenrod, als seine Sendung abgesetzt wurde, das war fast ein bisschen tragisch, er verfiel dann auch in Depressionen, er hat sehr wenig Aufträge als Schauspieler bekommen. Man sagt, er litt an Magenkrebs und hat sich letztendlich in einem Münchener Krankenhaus 1967 erschossen. Kurt Drummer war dann eigentlich noch relativ erfolgreich nach der Sendung, er hat dann auch weiter als Koch gearbeitet und starb dann 2000.
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