"Bei uns wird besonders teuer abgerechnet"

Karl Lauterbach im Gespräch mit Marcus Pindur |
Die Arzneimittel in Deutschland sind im Vergleich zu anderen Ländern viel zu teuer, findet Karl Lauterbach. Um dem entgegenzuwirken, wäre es einfach, den Herstellern entsprechende gesetzliche Vorgaben zu machen, sagte der SPD-Gesundheitsexperte - und kritisierte den Einfluss der Lobbygruppen.
Marcus Pindur: Unsere Krankenkassen kranken leider zunehmend an leeren Kassen. Die 70 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland werden nächstes Jahr auf breiter Front mit Beitragserhöhungen rechnen müssen. So hieß es gestern aus dem Spitzenverband der Krankenkassen. Die Gründe seien: weniger Einnahmen im Gefolge der Wirtschaftskrise und erneut galoppierende Ausgaben. – Wir sind jetzt verbunden mit dem gesundheitspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Karl Lauterbach. Guten Morgen, Herr Lauterbach!

Karl Lauterbach: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Als Beitragszahler fragt man sich ja von Jahr zu Jahr: warum kommen die Kassen nie mit ihrem Geld aus?

Lauterbach: Na ja, wir haben Zunahmen bei den Kosten für Arzneimittel im Bereich Krankenhaus und bei den Ärzten. Somit müssen im Prinzip jedes Jahr neue Sparvorschläge kommen. Wir müssen jedes Jahr die Wirtschaftlichkeitsreserven neu erheben. Sonst steigen die Beitragssätze unweigerlich an. Jetzt ist halt das Problem, dass die neue Regierung signalisiert hat, dass es dieses Jahr keine Sparvorschläge geben wird. Der Minister hat ja im Koalitionsvertrag keinerlei Sparvorschläge vorgetragen, im Gegenteil bei den Apotheken sogar weniger Wettbewerb, als wir bereits haben, angekündigt und darauf reagieren jetzt die Krankenkassen, indem sie die Beitragssätze erhöhen.

Pindur: Es ist immer davon die Rede, mehr Wettbewerb ins System zu bringen, dadurch auch mehr Kosteneffizienz. Wettbewerb entsteht aber auch maßgeblich über den Preis. Müsste man nicht wieder weg von diesem Einheitsbetrag, der im Moment gezahlt wird?

Lauterbach: Der Einheitsbeitragssatz sagt ja nichts über den Wettbewerb aus, sondern wir brauchen den Wettbewerb auf der Seite, wo das Geld ausgegeben wird. Wir brauchen beispielsweise mehr Wettbewerb zwischen den Apotheken, wir brauchen mehr Wettbewerb im Bereich der Krankenhäuser. Wir müssen uns weniger Gedanken darüber machen, wie wir den Bürgern das Geld aus der Tasche ziehen, ob mit dem Einheitsbeitragssatz, oder mit unterschiedlich hohen Beitragssätzen, und mehr Gedanken darüber machen, wo wir sparen können und wo wir die Vorbeugemedizin nach vorne bringen. Da ist schlicht, das muss man sagen, im Koalitionsvertrag nichts drin. Von daher, glaube ich, war es ein erster Fehler des Ministers, dass er klar gesagt hat, wir sparen nicht, denn das führt dazu, dass jetzt, sagen wir mal, die Kosten weglaufen und die Kassen sich auf steigende Kosten und somit einen höheren Beitragssatz einstellen.

Pindur: Die Verbandschefin der gesetzlichen Krankenkassen, Doris Pfeiffer, hat darauf hingewiesen, dass es einige wenige Spezialarzneien sind, die für den Hauptteil der Ausgabensteigerung verantwortlich sind. Wie kann man denn jetzt die Balance finden zwischen der Tatsache, dass Pharmaforschung teuer ist einerseits, und der Notwendigkeit aber andererseits, sie bezahlbar zu halten?

Lauterbach: Der Spezialpunkt ist ja der, dass diese teuren Arzneimittel in Deutschland teuerer sind als im Ausland. Es ist ja nicht so, dass wir ein Problem hätten, wenn die Medikamente, die gut und teuer sind, bei uns so teuer wären wie beispielsweise in einigen unserer Benchmark-Länder. Bei uns wird besonders teuer abgerechnet und das ist deshalb so, weil wir zu wenig Instrumente am Platz haben, die Arzneimittelfirmen dazu zu zwingen, vernünftige Preise zu bringen. Es ist ganz klar, dass dort gut verdient werden soll, aber es ist nicht einzusehen, dass das gleiche teuere Medikament in Deutschland 30 oder 40 Prozent mehr kostet als beispielsweise in den Niederlanden oder gar in der Schweiz.

Pindur: Aber das müsste doch eigentlich ganz einfach zu regulieren sein, indem man den Firmen diese Vorgaben macht und sagt: Ihr dürft das Medikament in Deutschland nicht teurer verkaufen als im Ausland?

Lauterbach: Das ist richtig, aber diese Vorgaben gibt es halt in Deutschland nicht. Da hat sich die Pharmaindustrie bisher immer durchsetzen können. Das ist eine Lobbygruppe, die sehr stark ist. Das hat bisher immer über den Bundesrat über die Union funktioniert. Die unionsregierten Länder, insbesondere Hessen, wo große Pharmafirmen ansässig sind, haben im Bundesrat schon immer die Sparvorschläge ein Stück weit gebremst und jetzt gibt es im Koalitionsvertrag keinen einzigen Sparvorschlag im Bereich Arzneimittel mehr. Von daher, glaube ich, ist das Problem noch nicht gelöst.

Pindur: Kommen wir noch mal zurück zu den Apotheken. Warum haben wir da immer noch keinen freien Wettbewerb? Das hat bei der Großen Koalition nicht geklappt, das hat vorher bei Rot-Grün nicht geklappt, dort etwas zu ändern. Was hat die Politik daran gehindert?

Lauterbach: Wir haben ja jetzt bei den Apotheken durchgesetzt, dass die Regel, wie viele Apotheken jemand besitzen kann, wenn er diese betreibt, aufgeweicht worden ist: das sogenannte Mehrbesitzverbot. Aber diese Regelungen, die wir dort geschafft haben, reichen nicht aus, und der Versandhandel und der Internethandel, das sind Regelungen, die im Ausland sehr sicher funktionieren. Die Länder, die damit gute Erfahrungen gemacht haben, kann man ja heranziehen. Das soll jetzt sogar eingeschränkt werden. Das heißt also, es ist immer wieder der Kampf der Politik gegen die Lobbygruppen und da war in der Vergangenheit die Arbeitsteilung grob gesprochen ungefähr so: die Lobbygruppen sind in der Regel über die unionsregierten Bundesländer eingedrungen. Jetzt ist es sehr problematisch, weil jetzt greifen die Lobbygruppen im Prinzip über die Bundesregierung und über die Bundesländer an, und das ist das Problem.

Pindur: Es gibt Rabattverträge der Krankenkassen mit den Arzneimittelherstellern. Die will die neue Regierung jetzt wieder einschränken mit dem Argument, da könnten dann nur Großkonzerne mithalten, mittelständische Pharmaunternehmen blieben da auf der Strecke. Sehen Sie das auch so, das Problem?

Lauterbach: Nein, das sehe ich nicht so. Die Mittelständler können beispielsweise in Arbeitsgemeinschaften anbieten. Das kennen wir ja auch aus dem Baugewerbe beispielsweise. Wenn sich Mittelständler, die man nicht unterschätzen darf, zusammentun, sind sie bei Ausschreibungen sehr stark. Es stimmt schlicht auch empirisch nicht. Bei den Ausschreibungen, die bisher stattgefunden haben, sind längst nicht alle Verträge an die großen Anbieter gegangen.

Wir müssen uns überlegen, was wir wollen: Wollen wir Wettbewerb, oder wollen wir keinen Wettbewerb? Wenn wir Wettbewerb wollen, dann müssen wir auch den Mittelstand diesem Wettbewerb aussetzen. Das wird der Mittelstand bewältigen. Wir haben auch in der Pharmaindustrie sehr starke mittelständische Unternehmen, die diesen Wettbewerb nicht scheuen müssen.