Bei Sammlern zu Gast

Von Ute May · 28.12.2008
Sie ist schlank und hoch gewachsen, das pechschwarze Haar ist zu einem Bob geschnitten. Der Titel "Peggy Guggenheim von Oberkassel" passt eigentlich nicht zu Julia Stoschek. Doch in jenem Düsseldorfer Stadtteil hat die junge Betriebswirtin aus dem fränkischen Coburg eine denkmalgeschützte Fabrik aus der Gründerzeit zu einem angesagten Kunst-Tempel umbauen lassen.
Ein paar Stufen geht es hoch, und dann nimmt Joseph Beuys die Besucher in Empfang: Tonlos, aber eindringlich referiert er immer wieder von einem sch/w Video-Loop über seine philosophisch-künstlerisch-politischen Theorien. Soziale Plastik heißt die Arbeit von Lutz Mommartz - 1969 produziert, in der Gründerzeit der Medienkunst.

Im Damen-Klo dagegen wird es laut: Dort kämpft Kate Gilmore mit ihrem Fuß; der steckt unbeweglich im einem Eimer voll hartem Beton, der sich nur mühsam mit einem Hammer zertrümmern lässt. Wie ein Derwisch tanzt die Künstlerin auf dem Video von 2004 verzweifelt um ihren eigenen Fuß.

"Es geht um Fragilität in weitesten Sinne, im körperlichen Sinne, auch im materiellen Sinne. Beiden Themen sind sehr persönliche Setzungen von Frau Stoschek, was sie zum Anlass nahm, das zum Motto der Ausstellung zu machen","

berichtet die hauseigene Kunstwissenschaftlerin Elke Kania bei der allwöchentlichen Führung durch das denkmalgeschützte Haus.

""1907 erbaut, diente es dem Theater von Luise Dumont und Gustaf Lindemann als Werkstatt, in der nicht nur Requisiten herstellt, sondern auch zum Teil sehr große Kulissen gefertigt wurden, die über das Dach transportiert werden mussten. Man kann das Dach teilweise öffnen - ideal auch jetzt für die Einrichtung großer Installationen."

Den Umbau in ein Haus für bildende Kunst hat das renommierte Berliner Architektur-Büro Kühn / Malwetzi besorgt, das spezialisiert ist auf den Umbau von Museen – besonders für den Bereich Medienkunst.

Fragile ist die zweite Ausstellung der 2004 gegründeten privaten Sammlung. Etwa 400 Arbeiten umfasst die Sammlung von Julia Stoschek.

"Das ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass sie erst seit 2003 oder 2004 sammelt. Der Schwerpunkt liegt auf sogenannter zeitbasierter Kunst. Das können Filme sein, 8mm-, 15mm-, 16mm-Filme, Videokanal, Mehrkanal-Videoprojektionen sein, Computerkunst - im weitesten Sinn das, was man so landläufig Videokunst nennt."
Ein Schwerpunkt liegt auf den Anfängen der Medien-Kunst in den frühen 1970er Jahren. Da rupft sich der Italiener Vito Acconci 14 Minuten lang tonlos seine Bauchhaare rund um den Nabel aus. Ursprünglich als s/w Super-8-Film gedreht, ist die Nabelschau inzwischen zur Video-Endlosschleife geworden. Irgendwann muss man sich abwenden, weil allein das Betrachten Pein erzeugt.

Es ist mal totenstill, mal kreischend laut in der Ausstellung. Da fällt es schwer, sich auf einzelne Arbeiten zu konzentrieren. Zumal auf eine, die einem Elektrischen Stuhl täuschend ähnlich nachgebaut ist. Killing machine haben Janet Cardiff und George Miller ihre Apparatur genannt. Dumpfe Paukenschläge und klagende Celli begleiten das tod-bringende Werk der pneumatisch gesteuerten Werkzeuge. Gänsehaut kriecht über Arme und Rücken, wenn Elke Kania erläutert:

"Der Körperaspekt steht hier stark im Zentrum in dieser Ausstellung. Wir haben hier ja keinen Körper auf dem Exekutionsstuhl liegen. Das ist der virtuelle Körper, den man sich vorstellt, wenn die Roboter eintauchen in die Augen, in das Herz, die Genitalien - also das virtuelle Abtasten …"

Nicht der rasante Wechsel von laut und leise, auch der die Abfolge der Themen verstört: hier eine Hommage von Hannah Wilke an Das große Glas von Marcel Duchamp. Dort zeigt ein fast 30 Jahre später entstandenes Video, wie sich Patty Chang routiniert mehr als fünf Minuten die Schamhaare rasiert. Die Frage sei erlaubt, was das mit Kunst zu tun hat. Gleiches gilt für ein Video von Marina Abramovic,

"The onion: Die Künstlerin isst eine große Gemüsezwiebel auf mit allen Schalen. Das ist eine physisch sehr intensive Erfahrung, die Tränen, der Speichel, die Übelkeit."

Wenn man es aushält, kann man dem 20 Minuten lang zuschauen. Der Originalton kommt aus einer Sound-Kapsel. Trotz ihrer Begeisterung für Videokunst und deren Vorgänger gibt Julia Stoschek zu:

"Die erste Arbeit, die ich gekauft habe, war eine Malerei von Pep Agut Mon hombre es un mur. Das war, jetzt muss ich überlegen, 2002, 2003. Mich hat Kunst immer von der Künstlerseite her interessiert. So ist es immer mehr geworden. So ist die Sammlung gewachsen. Ich habe festgestellt: Sammeln ist das eine, Ausstellen, Archivieren, Dokumentieren etwas ganz Anderes."

Julia Stoschek, die gerade 33 Jahre junge Sammlerin, setzt beim Einkauf ihrer Kunstwerke auf berühmte Namen: Bruce Nauman, Chris Burden, Jan Denike, Katharina Sieverding, Terence Koh, Rosemarie Trockel, auch Pipilotti Rist oder Paul Chan. Als Urenkelin des Firmengründers der Brose-Werke und Gesellschafterin dieses Zulieferers der Auto-Industrie verfügt sie über das nötige Kapital. Beraten lässt sich die studierte Betriebswirtin in Sachen Kunst nicht.

"Ich habe ein tolles Netzwerk. Aber was den Ankauf angeht und was letztendlich in die Sammlung kommt, ist schon sehr eigenständig. Das möchte ich auch weiter gern so machen."

Da scheut Julia Stoschek auch keine Kontroverse: ein Video von Aaron Young heißt Good boy und zeigt einen Hund.

"Natürlich haben wir diesen Kampfhund, der sich in dem Seil verbeißt, aber es ist geschnitten als Loop und das ist schon für mich ein ganz anderer Ansatz, als dass es darum geht, einen Kampfhund scharf zu machen."

Der Tierschutzverein hat an dieser Arbeit noch keinen Anstoß genommen. Dafür sind die Führungen in der neuen Ausstellung der Privatsammlerin, die seit zwei Jahren bereits als Mitglied in der Ankaufkommission der Medienabteilung des New-Yorker MoMA sitzt, immer lange im voraus ausgebucht.