Behutsame Annäherung

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack |
In "Im Winter ein Jahr" erzählt Oscar-Preisträgerin Caroline Link von einer Familie, in der die Total-Depression ausgebrochen ist. In "So viele Jahre liebe ich Dich" versucht die lebensfrohe Lea eine Annäherung an ihre ältere Schwester Juliette, die die letzten 15 Jahre im Gefängnis verbracht hat.
Im Winter ein Jahr
Deutschland 2008, Regie: Caroline Link, Hauptdarsteller: Karoline Herfurth, Corinna Harfouch, Hanns Zischler, Josef Bierbichler, 128 Minuten, ab 12 Jahren

"Im Winter ein Jahr" von Caroline Link basiert auf dem Roman "Aftermath" des amerikanischen Schriftstellers Scott Campbell, der hierzulande soeben unter dem deutschen Filmtitel (bei "Goldmann") veröffentlicht wurde. Es ist der vierte Spielfilm der am 2. Juni 1964 in Bad Nauheim geborenen Drehbuch-Autorin und Regisseurin.

Die nach dem Studium an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (von 1986 bis 1990) zunächst als Regie-Assistentin und Drehbuch-Autorin arbeitete. Danach Kurzfilme schuf und schließlich mit ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm - "Jenseits der Stille" – 1996 für Aufsehen sorgte und gleich mehrfach Preise einheimste (Bayerischer Filmpreis, Bundesfilmpreis, Deutscher Videopreis). Zugleich wurde sie mit diesem Film 1998 erstmals für den "Oscar" nominiert.

Spielfilm zwei war das Erich-Kästner-Kinderfilm-Remake "Pünktchen und Anton" (1999). "Nirgendwo in Afrika" entstand 2001 nach dem autobiografischen Roman von Stefanie Zweig und bekam 2003 den Auslands-"Oscar" zugesprochen.

Spielfilm vier ist die erste Enttäuschung der 44-Jährigen. Kalt und dröge erzählt sie von einer deutschen Bürgers-Familie aus der besseren Münchner Umgebung, in der die Total-Depression ausgebrochen ist. Der Vater, ein renommierter Wissenschaftler auf dem Gebiet der Bionik, der gerade ein bedeutendes Buch veröffentlicht hat (Hanns Zischler). Die Mutter, eine bekannte Innenarchitektin (Corinna Harfouch wieder mal als neurotisch-spröde Voll-Zicke).

Zwei erwachsene Kinder, Alexander/19, der ein Eliteninternat für Spitzensportler in Berchtesgaden besucht, und Lilli/22, die Tanz und Gesang studiert. Eine Vorzeige-Karriere-Familie, doch dann schlägt das Schicksal zu: Alexander hat sich im Wald erschossen. Die Familie ist traumatisiert.

Zudem: Innerfamiliär ging es aber und geht es weiterhin schon ziemlich "merkwürdig" zu, man beharkt sich mehr als dass man vernünftig und "normal" miteinander kommuniziert; Berührungen, wie auch immer, werden gerne ausgespart. Man ist meistens nur dauer-angespannt, pessimistisch, ständig doof drauf, also genervt.

Es wird (sehr) viel geredet hier. Visuell ist der "Bavaria"-Film eher eine Katastrophe. "Kleine Bilder", wie bei einem düsteren Fernsehfilm, mit viel gestelztem textlichen Aufsagen und den "typisch-gemächlichen" Bewegungen, sprich "betonten" Auf- und Abgängen. Die genervte Mama möchte ein Groß-Porträt vom verstorbenen Sohn und von der Tochter anfertigen lassen und beauftragt einen ebenso berühmten wie bodenständigen (und wahrscheinlich schwulen) Kraftkerl von Maler, der in der Nähe alleine wohnt.

Der sieht, mit geschultem Innen- beziehungsweise Psychoblick, dass er es hier mit viel ge- und verstörtem Personal zu tun hat und "mischt" sich emotional vor allem in die Belange der Tochter mit ein. Die hüpft mal überfröhlich, mal überzogen depri-schnoddrig-nölig durch die tristen Seelen-Tage und kommt mit dem Tod des geliebten Bruders überhaupt nicht klar.

So schippert dieses Grau-Ton-Drama, diese fade Tragödie, über die (viel zu langen) 120 Minuten und langweilt entsetzlich. Obwohl sich Ex-Tänzerin Karoline Herfurth ("Das Parfum") gewaltig anstrengt, die heftige wie spürbar anstrengende Dauer-Traurigkeit in allen nur möglichen erotischen Posen und Bewegungen vorzuführen beziehungsweise nahezubringen, vergeblich: Nach spätestens einer halben Stunde ist man – leider – "bedient", und dann bewegt und erklärt sich auch nicht viel mehr.

Lilli zeigt sich als nur noch penetrant-traurige Statue mit Macke. Kein Mitgefühl möglich, nur Leere pur. Trostlosigkeit, wohin man blickt und fühlt. Die einzige große Spannungsausnahme in diesem drögen Film ist das mächtige, grandiose bayerischen Urgestein Josef Bierbichler ("Winterreise").

Als Künstler mit Durchblick ist er präsent, charismatisch, sinnlich. Wenn er auftritt, ist Neugier, Interesse, Anteilnahme möglich: der Rest ist "gefühltes Dauer-Schweigen mit vielem Geplapper". Wieder eine dieser trocken-spröden, umständlich-langweiligen wie steif-kühl konstruierten deutschen Trief-Balladen als fades Betroffenheits-Kintopp…..


<im_47537>"So viele Jahre liebe ich dich"</im_47537>So viele Jahre liebe ich dich
Frankreich 2008, Regie: Phillipe Claudel, Hauptdarsteller: Kristin Scott Thomas, Elsa Zylberstein, Serge Hazanavicius, Laurent Grevill, 115 Minuten, ab 6 Jahre

"So viele Jahre liebe ich dich" ist von Philippe Claudel, einem französischen Schriftsteller und Dramatiker vom Jahrgang ’62, der hier seinen Spielfilm-Erstling vorlegt. Der Lothringer war Pädagoge/Gymnasiallehrer, der sich mit seinem sozialen Engagement hervortat: Er unterrichtete behinderte Kinder und elf Jahre lang die Inhaftierten im Gefängnis von Nancy.

Von diesen Erfahrungen handelte auch sein erstes Buch: "Das Geräusch der Schlüsselbunde". Mit seinem zweiten Roman "Die grauen Seelen" war Philippe Claudel 2003 die Sensation des französischen Bücher-Herbstes und lange Zeit die Nummer eins der Bestsellerliste.

Der dann auch bei uns erfolgreich veröffentlichte Roman bekam in Frankreich die Auszeichnung als "Buch des Jahres". Danach veröffentlichte der Autor die Romane "Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung" sowie "An meine Tochter". Claudel lehrt an der Uni von Nancy im Fachbereich Literatur und Kulturanthropologie. "Il Y A Longtemps Que Je T’aime" war im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb und erhielt den "Preis der Ökumenischen Jury".

Ein Drama um Schuld und Vergebung: Juliette war 15 Jahre im Gefängnis. Wegen Mordes. Jetzt draußen ist sie im Grunde ohne Kontakt, aber auch ohne Job, ohne Wohnung, ohne irgendeine Bindung. Über die Sozialstation des Gefängnisses wird der Kontakt zur jüngeren Schwester Léa hergestellt.

Während der Haft bestand keinerlei Kontakt, denn die Eltern haben die Verbindung zu Juliette total abgebrochen und Léa wie ein Einzelkind aufgezogen. Jetzt ist sie verheiratet, man hat zwei vietnamesische Adoptivkinder und einen Schwiegervater, der seit seinem Schlaganfall nicht mehr spricht. Hier die gutbürgerliche, zusammenhängende Bürgerfamilie, warmherzig, großzügig, mit gemütlichem Haus, dort der Neuanfang, das zweite Leben, die behutsame Annäherung.

Juliette, die offensichtlich früher mal Ärztin war, stößt auf viele Vorurteile und Berührungsängste gegenüber "so einer". Ein spannender, ein sensibler, ein berührender Menschen-Film: "Die beiden Schwestern" und das zaghafte, misstrauische, couragierte, neugierige, zärtliche Aufeinanderzugehen. "So viele Jahre liebe ich dich" ist einfühlsames, feines Schauspielerinnen-Kino.

Die Britin Kristin Scott Thomas, deren faszinierend-rätselhaftes Gesicht man aus Filmen wie "Der Pferdeflüsterer" (als Mama von Scarlett Johannson und Liebhaberin von Robert Redford) und "Der englische Patient" kennt, triumphiert hier mit ihrer außergewöhnlich sinnlich-verletzlichen Körpersprache, eine wunderbare emotionale Performance, während die bei uns noch unbekannte Elsa Zylberstein, die 1993 den "Romy-Schneider-Preis" für "talentierte französische Darstellerinnen" zugesprochen bekam, als Léa überzeugend ausdrucksstark einfühlsam mithält.

Ein in dieser Jahreszeit "passendes" Gefühlskino, ein hervorragender "November-Film", mit sehr viel angenehmer Menschen-Nähe und -Spannung. Es ist hier wie in einem guten Buch zu schmökern, von dem man einfach nicht mehr "loskommt".