Behinderten-Sport-Verband kritisiert fehlende Barrierefreiheit

Friedhelm Julius Beucher im Gespräch mit Marietta Schwarz · 29.08.2012
Während in Deutschland in vielen Bereichen des Alltags Behinderte noch immer mit vielen Hürden zu kämpfen haben, herrschen nach Ansicht des Behinderten-Sport-Verbandes im Sport oft gleiche Bedingungen. Verbandschef Friedhelm Julius Beucher lobt als Vorbild für die Gleichbehandlung das Gastgeberland der Paralympics: Großbritannien.
Marietta Schwarz: Die Diskussion um Chancengleichheit wird auch bei den diesjährigen Paralympics wieder geführt. Friedhelm Julius Beucher ist Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes DBS: Müsste man diese Prämien nicht angleichen, auch als sichtbares Zeichen der Chancengleichheit?

Friedhelm Julius Beucher: Das ist einfach eine Frage der Wahrnehmung des Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft. Das ist nicht nur auf den Sport begrenzt. Dieser Drang und Wunsch nach Angleichung muss natürlich auch bezahlbar sein. Das heißt, es ist hier nicht jemand, der einfach etwas verteilt, es ist die Sporthilfe, die dieses Geld bei Sponsoren einwirbt, um es dann an die Sportler im Behinderten- und Nichtbehindertensport zu verteilen. Und es geht ja dabei nicht nur um Prämien. Es geht ja darum, dass wir Sportlerinnen und Sportler die Möglichkeit geben, praktisch ihren Sport auszuüben, losgelöst von Sorgen um ihre tägliche Lebensbewältigung.

Schwarz: Wie wichtig, Herr Beucher, sind denn Medaillen?

Beucher: Medaillen sind das Ergebnis eines Wettkampfes. Ob ich Platz Eins, Zwei oder Drei erreiche und [sie] zeigen, wo man in der Weltspitze steht. Aber ich zähle nicht nur Medaillen, ich gehe davon aus, dass derjenige, der die Qualifikation für die Paralympics erreicht, bereits zur Spitze gehört. Und wer dann noch unter den zehn Besten dieser Welt ankommt, der kann zurecht sagen, er ist Weltspitze. Der sportliche Erfolg letztlich hängt davon ab, ob man das, was man vorher trainiert hat, was man vorher an Leistung erbracht hat, genau auf die Sekunde oder manchmal auf die Hundertstelsekunde genau abrufen kann. Das ist zugleich Faszination und Tragik im Sport, das gilt für Behindertensport wie Nichtbehindertensport gleichermaßen.

Schwarz: Jetzt hat ja der Behindertensport mit einer Person wie dem Südafrikaner Oscar Pistorius inzwischen einen großen Star, der sich die Teilnahme an den Olympischen Spielen ja auch erstritten hat. Ist er ein Vorreiter für mehr Integration?

Beucher: Ich denke, die Integration des Sportlers mit Behinderung in die Gesellschaft des Sports ist längst vollzogen, seit man weiß, dass nicht die Behinderung bei den Sportlern im Mittelpunkt steht, sondern seine sportliche Leistung. Bei Oscar Pistorius kommt einfach noch hinzu, dass es ungewöhnlich ist, dass jemand mit Prothesen die Qualifikation erreicht, die notwendig ist für Menschen mit vorhandenen und gesunden Beinen.

Schwarz: Ungewöhnlich und gleichzeitig Auslöser für einen Streit, nämlich den Streit um Vorteilsnahme durch künstliche Hilfsmittel wie diese perfekten Prothesen. Manche sagen Techno-Doping dazu - Sie auch?

Beucher: Techno-Doping ist ein diskriminierendes Wort, weil Doping heißt Betrug und Unfairness. Oscar Pistorius hat keine Beine, deshalb braucht er Prothesen. Und wer seine Beine durch Prothesen ersetzt und dort keine Sprungfedern, sondern Prothesen dran hat, der betrügt nicht, sondern ersetzt schlichtweg die Beine. Die Prothesen von Oscar Pistorius können Sie im Versandhandel kaufen, das sind spezielle Hightech-Prothesen, wobei aber diese Hightech-Klassifizierung Rechnung trägt, dass man eben mit diesen Prothesen schnell laufen kann. Da gibt es auch im Bereich außerhalb des Leistungssports immer mehr und immer bessere Beispiele, wie Prothesen verlustig gekommene Hände, Arme und Beine ersetzen.

Schwarz: Auf den Werbeplakaten von ARD und ZDF, da stehen Sportler mit und ohne Handicap nebeneinander. Wie steht es denn, Herr Beucher, um Integration jenseits der Paralympics im täglichen Leben?

Beucher: Was den Leistungssport angeht, trainieren schon seit über zehn Jahren Spitzensportler mit Behinderung in den Olympiastützpunkten. Außerdem gibt es noch spezifische paralympische Stützpunkte. Unter den Sportlern ist das Denken, Fühlen und wechselseitige Wahrnehmung eigentlich schon Tagesgeschäft. Es gibt Athleten mit Behinderung, die trainieren nebeneinander mit Athleten ohne Behinderung, das hängt natürlich von der spezifischen Behinderung ab. Das ist eigentlich schon erreichte Normalität im Sport.

Schwarz: Aber in unserem täglichen Leben, ich sage jetzt in unserem als Nichtbehinderte, kommen wir doch mit Behinderten kaum in Berührung, und von vielen Sportvereinen sagt man das auch.

Beucher: Sie sprechen die Barrierefreiheit an. Die Barrieren haben wir weitgehend noch in den Köpfen. Da hilft ungemein die aktuelle gesellschaftspolitische Debatte der Inklusion, wo es um nicht mehr als um Teilhabe geht. Und diese Teilhabe haben wir sicherzustellen. Und dann stellt man nicht mehr die Frage danach: 'Hat der jetzt eine Behinderung oder hat der keine Behinderung?' Teilhabe heißt Zugang zu allen gesellschaftlichen Einrichtungen und für den Sportler natürlich auch zu allen Sportstätten.

Schwarz: In manchen Ländern gelingt diese Teilhabe ja besser. Großbritannien und Kanada werden da immer wieder als Vorbild genannt. Was machen die denn besser als Deutschland?

Beucher: Das ist eine andere Wahrnehmung. Da ist die Barriere aus den Köpfen schon raus. Wenn Sie jetzt im Moment durch London fahren, sehen Sie in einer Mischung von Selbstverständlichkeit wie auch britischem Humor große Plakate, an die Olympier gerichtet: "Thank you for your warm up." - "Danke für dieses Aufwärmen", wo dann Olympia mit gemeint ist. Das zeigt signifikant, wie Engländer denken und fühlen. Und wenn Sie weiter durch London gehen, findet im Stadtbild auch der Mensch mit Behinderung statt. Oder wie der englische Premier sagte: Wir haben tolle Olympische Spiele hingelegt und wir zeigen, dass wir jetzt noch bessere Paralympische Spiele machen. Das heißt, die nehmen auch die Herausforderung an, das Besondere in den Mittelpunkt zu stellen, nämlich, dass der Leistungssportler mit Behinderung den Platz in der Gesellschaft bekommt, der ihm zusteht, nämlich als Leistungssportler oben zu sein.

Schwarz: Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes DBS. Herr Beucher, vielen Dank!

Beucher: Gern geschehen.

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