Behinderte Kinder in Palästina

Happy End für den Jungen auf dem Rollbrett

Behinderte, palästinensische Kindern besuchen die Kindergartengruppe des Projekts Lifegate im palästinensischen Westjordanland.
Kindergartengruppe des Projekts Lifegate im palästinensischen Westjordanland: "Das ist mein Sohn, den kannst Du haben." © Deutschlandradio / Tim Aßmann
Von Tim Aßmann · 10.12.2018
Das Leben im Westjordanland ist schwierig, erst recht für beeinträchtigte Kinder. Staatliche Hilfe gibt es kaum. Viele Familien hoffen deshalb auf einen Platz bei der Initiative Lifegate, die sich seit 30 Jahren um behinderte Jungen und Mädchen kümmert.
"Ganz am Anfang meiner Tätigkeit, '88 war das, glaube ich, geht meine Bürotür auf und es wird mir auf einem Brett, auf das vier Rollen geschraubt sind, ein Junge vor den Schreibtisch gerollt, der da zusammengekauert in der Badehose drauf saß. Es war im Sommer. Und dann kommt ein Mann hinterher und sagt: Das ist mein Sohn, den kannst du haben."
Burghard Schunkert spricht von einem Schlüsselerlebnis, wenn er sich an diese Begegnung erinnert. Schunkert hat sich seit mehr als 30 Jahren der Hilfe für behinderte Kinder und Jugendliche im palästinensischen Westjordanland verschrieben. Der aus Gießen stammende Schunkert leitet Lifegate, übersetzt: das Tor zum Leben. Betrieben von einem Würzburger Verein unterhält Lifegate in Beit Jala, einem Vorort von Bethlehem, eine Behinderteneinrichtung mit Kindergarten, Schule und Werkstätten.

Freiheit im Schwimmbecken

Im Schwimmbecken der Einrichtung findet gerade Wassertherapie statt, für drei kleine, behinderte Jungen. Am Beckenrand steht die deutsche Krankenschwester Maria Zaidan: "Der Kleine, der da alleine schwimmt, das ist ein autistischer Junge. Der ist nie so lebendig, wie wenn er im Wasser ist."
Für Familien mit behinderten Kindern gibt es in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten so gut wie kein staatliches soziales Netz. Die Wartelisten für Plätze im Kindergarten oder der Schule von Lifegate sind lang.
Maria Zaidan bleibt am Fenster zu einem der Klassenzimmer stehen und deutet auf einen Jungen mit einem Kopfverband. In seinem Gesicht sind Wunden erkennbar, wo die Finger sein sollten, sieht man nur kleine Stümpfe. Hassan ist ein sogenanntes Schmetterlingskind. Er leidet an einer genetisch bedingten Hauterkrankung.

Die Finger haben sich zurückgebildet

"Wo praktisch die Haut ihre Schutzfunktion nicht ausübt und kleinste Reibungen oder Berührungen bei ihm schwerste Blasen hervorrufen können und Wunden machen. Der ist also normal mit Fingern geboren worden und durch immer wiederkehrende Wunden und Heilungsproblematiken bilden sich die Finger zurück. Das ist an den Füßen dasselbe."
Hassan ist 13 Jahre alt. In der Lifegate-Schule fühlt er sich offenkundig wohl. Er lerne gerade arabische Grammatik und sei auch gerne mit seinen Freunden zusammen, erzählt er.
Behinderte, palästinesische Kinder nehmen an der Wassertherapie von Lifegate teil.
Bei der Wassertherapie blühen viele Kinder auf.© Deutschlandradio / Tim Aßmann
In einer der Kindergartengruppen wünscht man sich singend guten Morgen. Mit dabei ist auch die fünfjährige Saja. Sie kommt seit einem knappen Jahr hierher. Saja war in der sprachlichen Entwicklung zurückgeblieben, kam im Kindergarten ihres Heimatdorfes mit Gleichaltrigen nicht mit. Die Zeit bei Lifegate tue Saja sehr gut, sagt ihre Mutter Sihan.
"Es ist ein Riesenunterschied. Saja spricht jetzt und kann sich in Gruppen einfügen. Sie ist jetzt einen Tag pro Woche im Kindergarten in unserem Dorf. Dort sagen sie, es gibt jetzt kein Problem mehr."

Vom Hilfsbedürftigen zum Familienversorger

Neben Schule und Kindergarten bietet Lifegate auch Berufsausbildungen in Werkstätten an, betreibt zum Beispiel eine Schreinerei und eine Schusterei. Dort machte, im Rollstuhl sitzend, jener junge Palästinenser eine Ausbildung, der Burghard Schunkert einst auf einem Brett vor den Schreibtisch gerollt wurde.
"Er hat eine nichtbehinderte Frau gefunden. Er hat sie geheiratet. Sie haben heute drei gesunde Kinder. Er sorgt heute für seinen über 80 Jahre alten Vater und für die Mutter."
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