Behaust - unbehaust
Der Architekt Max Frisch hat sich selbst kein Haus gebaut. Tatsächlich hat er als Architekt nur wenige Objekte entworfen und realisiert. Die Wohnung als Lebensraum spielt jedoch in seinem Leben und Werk eine wichtige Rolle.
Frisch hat Wohnungen und Häuser in der Schweiz, in Rom, Berlin, New York gekauft und verkauft, häufig den Wohnort gewechselt. Er hatte zeitweise mehrere Wohnungen gleichzeitig - und blieb so in gewisser Weise ein behaust Unbehauster - ähnlich wie seine Romanfiguren.
Frisch selbst hat in eher kargen, vom Mobiliar her zurückgenommenen Wohnungen gelebt. Seine Romanfiguren nisten sich auffallend oft in den Wohnungen ihrer Geliebten ein. Die äußere Hülle, mit der sich der Mensch umgibt, ist bei Max Frisch auch immer Schauplatz der Lebensrolle, auf die er sich einlässt. Die Immobilie steht im Spannungsverhältnis zur Freiheit des eigenen Lebensentwurfs. In der 'Langen Nacht' anlässlich von Max Frischs 100. Geburtstag begeben wir uns in Frischs Wohnungen. Hier äußern sich der Autor und Architekt, aber auch seine literarischen Figuren zu der Schwierigkeit, sich im Leben einzurichten, mit dem Unbehagen, sich etwa durch den Bau eines Hauses, dem Kauf einer Wohnung, durch Heirat und Familie festzulegen
Das Max Frisch-Archiv ist eine eigenständige wissenschaftliche Einrichtung der Max Frisch-Stiftung mit Sitz an der ETH-Bibliothek in Zürich. An der ETH Zürich, wo der weltbekannte Schriftsteller 1940 sein Diplom als Architekt in Empfang nehmen konnte, wird seit rund drei Jahrzehnten der Nachlass betreut, ergänzt und aufgearbeitet. Die vielfältigen Teilbestände sind für wissenschaftliche, literarische und publizistische Arbeiten kostenlos zugänglich.
Max Frisch wurde am 15. Mai 1911 in Zürich geboren und starb am 4. April 1991 an den Folgen eines Krebsleidens in seiner Wohnung in Zürich. 1930 begann er sein Germanistik-Studium an der Universität Zürich, das er jedoch 1933 nach dem Tod seines Vaters (1932) aus finanziellen Gründen abbrechen musste. Er arbeitete als Korrespondent für die Neue Zürcher Zeitung.
Seine erste Buchveröffentlichung Jürg Reinhart. Eine sommerliche Schicksalsfahrt erschien 1934 in der Deutschen Verlags-Anstalt Stuttgart. 1950 erscheint Das Tagebuch 1946-1949 als erstes Werk Frischs im neugegründeten Suhrkamp Verlag. Zahlreiche weitere Publikationen folgten.
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Sonderseite des Suhrkamp-Verlags zum 100. Geburtstag von Max Frisch am 15. Mai 2011
Auszug aus dem Manuskript:
* ATMO 1
Nachhallende Schritte in einem Hausflur, ein Schlüssel fährt in ein Schloss, öffnet die Tür; Schritte auf dem Korridor. Dann unter dem Text fortlaufend: Gläserklirren, Kühlschranktür öffnen. Es lässt sich jemand in einen Sessel nieder.
SPRECHER TEXT
Ich sitze in einer Wohnung: - meiner Wohnung ... Lang kann's nicht her sein, seit hier gelebt worden ist; ich sehe Reste von Burgunder in einer Flasche, Inselchen von Schimmel auf dem samtroten Wein, ferner Reste von Brot, aber ziegelhart. Im Eisschrank (ich habe nachgesehen, ohne Hunger zu haben) krümmt sich Schinken, in Kälte verdorrt und beinahe schwarz, auch etwas Käse ist noch da, rissig wie Baumrinde, grünlich, und ein Glas mit Rahm, der aber nicht mehr fließt, und in einer Schüssel schwimmt noch ein trüber Rest von Kompott, Aprikosen-Schlamm. Ferner eine Dose mit Gänseleber. Wegzehrung für eine Mumie? Ich weiß nicht, warum ich es nicht in den Kehrichteimer geworfen habe ... Ich hocke in Mantel und Mütze, weil es draußen regnet.
Dialog über den linken und rechten Kanal, akustisch etwas zurückgesetzt, wie ein halblautes Gespräch in einer Theaterloge.
* SPRECHERIN 1
Das also ist die Ausgangsposition?
* SPRECHER FRISCH
Ein Mann sitzt allein in seiner Wohnung. Er vermisst jemand, eine Frau.
* SPRECHER TEXT
Ich hocke auf der Lehne eines Polstersessels und spiele mit einem Korkenzieher ... Ich sehe: Jemand hat unsere Teppiche gerollt, mit Kampfer eingesegnet und gerollt, Schnur drum, die Fensterläden geschlossen gegen Regen und Sonne und Wind, gegen Sommer und Winter; ich öffne sie nicht. Alle Polstermöbel sind mit weißen Tüchern bedeckt. Komisch anzusehen; als spielten sie Feme. Oder wie eine Totenfeier in einem Land mit fremden Bräuchen. Auch die Aschenbecher sind geleert, sehe ich, nicht bloß geleert, sondern sogar gewaschen; alle Blumenvasen geleert und gewaschen, damit es nicht nach Fäulnis stinke ... Ich hocke noch immer in Mantel und Mütze, Hände in den Hosentaschen. Es riecht nach Staub und Bodenwichse. Von den Personen, die hier dereinst gelebt haben, steht fest: eine männlich, eine weiblich. Ich sehe Blusen im Schrank, etwas Damenwäsche, die nicht mehr in den Koffer passte oder nicht mehr Mode ist, Krawatten auf der andern Seite, drei lahme Jacken für den Herrn im Winter, zwei für den Sommer, und unten stehen die Schuhe, gereiht wie zum Appell, teils mit Leisten drin. Warum sind leere Schuhe so entsetzlich?
* SPRECHERIN 1
Ein Mann in einer verlassenen Wohnung. Und Sie fragen: Was ist geschehen?
* SPRECHER FRISCH
Ja, aber es wird nicht erzählt, was geschehen ist. Der Mann stellt sich vor, was geschehen könnte.
* SPRECHER TEXT
Abgesehen von einem Wasserhahn in der Küche, der immer schon getropft hat, ist es still. Wie in Pompeji. Auch das Telefon schweigt. Ich sehe: Sie hat den Stecker herausgezogen. Leider habe ich keine Streichhölzer. Wie still es ist, wenn man nicht raucht! Draußen die Straßenbahn, dazwischen Hupen, aber hier hinter geschlossenen Fensterläden, wo ich in Mantel und Mütze hocke auf der Lehne eines weiß verhüllten Polstersessels, während es draußen regnet, hier ist es wie in Pompeji; alles noch vorhanden, bloß die Zeit ist weg. Wie in Pompeji; man kann durch Räume schlendern, die Hände in den Hosentaschen, und sich vorstellen, wie hier einmal gelebt worden ist, bevor die heiße Asche sie verschüttet hat. Und es hallt auch (weil die Teppiche gerollt sind) wie in Pompeji -
Einmal klingelt's tatsächlich.
Ich mache nicht auf -
Der Herr meines Namens ist verreist.
* SPRECHERIN 1
Ein Herr Ihres Namens?
* SPRECHER FRISCH
Sein Name sei Gantenbein.
* SPRECHER TEXT
Ich hocke vergeblich in Mantel und Mütze, die feuerlose Pfeife im Mund...
* SPRECHERIN 1
... Mantel und Pfeife. Das sind Sie doch, Herr Frisch!
Volker Weidermann
Max Frisch
Seine Leben, seine Bücher.
2010 Kiepenheuer & Witsch
Am 15. Mai 2011 wird Max Frischs 100. Geburtstag gefeiert. Dies ist das Buch seines Lebens und seiner Bücher.
Volker Weidermann hat sich zu ihm bekannt. "Ich liebe seine Bücher", schrieb er in "Lichtjahre" über Frisch, und jetzt hat er seine Biografie geschrieben. Die Geschichte eines Jahrhundertlebens und einer ungebrochenen, geheimnisvollen und beglückenden Wirkung.
"Wir kennen Max Frisch, wenn wir seine Bücher kennen. Wir kennen seine Frauen und sein Leben, sein Unglück und sein Glück. Und in Wahrheit kennen wir natürlich nichts." Weil das so ist, brauchen wir einen, der in seinen Büchern zu Hause ist und sich in sein Leben hineingearbeitet hat. Volker Weidermann hat sich an die Recherche gemacht, Archive durchstöbert, Weggefährten getroffen, Gespräche geführt und vor allem gelesen: die großen Romane, die Theaterstücke, die frühen Texte, die Briefe, die Tagebücher. Und dann geschrieben, voller Zuneigung und doch genau und kritisch, lebendig und anschaulich, so dass sich ein facettenreiches und faszinierendes Bild ergibt.
Es zeigt zunächst einen unsicheren jungen Mann, ohne Geld und Erfolg, unglücklich in seinem Germanistikstudium, aber voller hochfliegender Pläne. Einen Schriftsteller, der schlechte Bücher voll hohlem Pathos schreibt, nationalen Gedanken anhängt - ein geistiger Landesverteidiger am Schreibtisch und in Uniform. Der schließlich Architektur studiert und in diesem Beruf nach kürzester Zeit einen märchenhaften Erfolg feiert, der aber das Schreiben nie sein lässt und über das Theater und seine Freundschaft mit Bertolt Brecht schließlich zu dem extrem modernen, kühnen, Ich-suchenden Weltschriftsteller wird, den wir heute kennen. Von "Bin oder die Reise nach Peking" (1945) führt der Weg über "Stiller", "Biedermann und die Brandstifter" und "Homo Faber" bis nach "Andorra" und schließlich zu "Montauk" und in den Weltruhm. Es ist das unglaubliche Leben eines vom Erfolg verwöhnten, eines positiv Engagierten, eines großen Liebenden, eines trotz allem mit dem Leben Hadernden - das Leben eines der besten Schriftsteller deutscher Sprache des letzten Jahrhunderts. Und wir sind dabei, in den Büchern und in seinem Leben, bei ihm - dank seines begeisterten Biografen.
Julian Schütt
Max Frisch
Biographie eines Aufstiegs. 1911-1954.
2011 Suhrkamp
Max Frisch ist der meistgelesene Schriftsteller der Schweiz, in Deutschland verkaufen sich seine Bücher in Millionenauflage. Nun zeichnet die bisher gründlichste Biografie Frischs Aufstieg bis in die Mitte der 50er-Jahre seines Jahrhunderts nach. Julian Schütt, einer der besten Kenner von Leben und Werk des Schweizer Autors, wertet dafür erstmals alle zugänglichen Quellen aus, darunter zahlreiche bislang unbekannte Briefe, Notate und Dokumente, und er hat mit vielen Zeitgenossen und Weggefährten des Dichters gesprochen. Lebendig und anschaulich erzählt er, wie Max Frisch zum Weltautor wurde.
Beide Weltkriege suchen ihn heim, auch wenn seine Heimat, die Schweiz, verschont bleibt. Der erste Krieg trübt die eigene Kindheit, beschädigt das Familienleben, der zweite zertrümmert sein schriftstellerisches Selbstverständnis. Fortan setzt er sich verschiedensten Realitäten aus, solange sie noch "glühende Objekte" sind: den Ruinen der kriegsversehrten Länder genauso wie der Liebe. Er holt das exakte Beobachten nach, sodass er bald auffällt und die Beobachteten irritiert. Es entstehen längst zu Klassikern gewordene Werke wie "Graf Öderland", das "Tagebuch 1946-1949" und "Stiller". In ihnen zeigt Max Frisch auf einzigartige Weise, dass Politik und Literatur keine Gegensätze sein müssen dabei geht er, der große Identitätssucher, stets vom Ich und oft vom eigenen Ich aus, obwohl er es jedes Mal als Glück empfindet, wenn er sich fremd ist.
Max Frisch
Sein Leben in Bildern und Texten.
Hrsg. v. Volker Hage .
2011 Suhrkamp
So kennt man Max Frisch: als ehrgeizigen und entschlossenen Schreiber, der die Schriftstellerei über alles stellte, einen an Politik und Gemeinwesen interessierten Zeitgenossen ein Weltenbummler und Getriebener, der nirgendwo richtig sesshaft wurde, der abwechselnd in Zürich, Rom, Berlin, im Tessin und in New York lebte und die häufigen Ortswechsel selbst "als Zeichen eines verfehlten Lebenslaufes" betrachtete.
Hinter den öffentlichen Großschriftsteller und Weltautor duckt sich der Privatmann: der Träumer und Rekrut in Uniform, der begeisterte Bergwanderer und begabte Aktzeichner, der liebevolle Familienvater und leidenschaftliche Verehrer der Frauen.
Dieser aufwendig gestaltete Bildband nimmt einen der ganz Großen der Literatur völlig neu in den Blick. Spiegel-Redakteur Volker Hage hat dafür über 300 Fotos aus Familienalben, Privatsammlungen und Archiven ausgewählt, Meisterfotos bedeutender Fotografen ebenso wie Schnappschüsse, viele davon kaum bekannt oder nie zuvor veröffentlicht. Texte von Max Frisch und Kommentare des Herausgebers erhellen Szenen aus dem Alltag und erläutern Lebensstationen. In bisher größtenteils unpublizierten Gesprächen kommt Max Frisch noch einmal selbst zu Wort.
Frisch selbst hat in eher kargen, vom Mobiliar her zurückgenommenen Wohnungen gelebt. Seine Romanfiguren nisten sich auffallend oft in den Wohnungen ihrer Geliebten ein. Die äußere Hülle, mit der sich der Mensch umgibt, ist bei Max Frisch auch immer Schauplatz der Lebensrolle, auf die er sich einlässt. Die Immobilie steht im Spannungsverhältnis zur Freiheit des eigenen Lebensentwurfs. In der 'Langen Nacht' anlässlich von Max Frischs 100. Geburtstag begeben wir uns in Frischs Wohnungen. Hier äußern sich der Autor und Architekt, aber auch seine literarischen Figuren zu der Schwierigkeit, sich im Leben einzurichten, mit dem Unbehagen, sich etwa durch den Bau eines Hauses, dem Kauf einer Wohnung, durch Heirat und Familie festzulegen
Das Max Frisch-Archiv ist eine eigenständige wissenschaftliche Einrichtung der Max Frisch-Stiftung mit Sitz an der ETH-Bibliothek in Zürich. An der ETH Zürich, wo der weltbekannte Schriftsteller 1940 sein Diplom als Architekt in Empfang nehmen konnte, wird seit rund drei Jahrzehnten der Nachlass betreut, ergänzt und aufgearbeitet. Die vielfältigen Teilbestände sind für wissenschaftliche, literarische und publizistische Arbeiten kostenlos zugänglich.
Max Frisch wurde am 15. Mai 1911 in Zürich geboren und starb am 4. April 1991 an den Folgen eines Krebsleidens in seiner Wohnung in Zürich. 1930 begann er sein Germanistik-Studium an der Universität Zürich, das er jedoch 1933 nach dem Tod seines Vaters (1932) aus finanziellen Gründen abbrechen musste. Er arbeitete als Korrespondent für die Neue Zürcher Zeitung.
Seine erste Buchveröffentlichung Jürg Reinhart. Eine sommerliche Schicksalsfahrt erschien 1934 in der Deutschen Verlags-Anstalt Stuttgart. 1950 erscheint Das Tagebuch 1946-1949 als erstes Werk Frischs im neugegründeten Suhrkamp Verlag. Zahlreiche weitere Publikationen folgten.
Weiterlesen ...
Sonderseite des Suhrkamp-Verlags zum 100. Geburtstag von Max Frisch am 15. Mai 2011
Auszug aus dem Manuskript:
* ATMO 1
Nachhallende Schritte in einem Hausflur, ein Schlüssel fährt in ein Schloss, öffnet die Tür; Schritte auf dem Korridor. Dann unter dem Text fortlaufend: Gläserklirren, Kühlschranktür öffnen. Es lässt sich jemand in einen Sessel nieder.
SPRECHER TEXT
Ich sitze in einer Wohnung: - meiner Wohnung ... Lang kann's nicht her sein, seit hier gelebt worden ist; ich sehe Reste von Burgunder in einer Flasche, Inselchen von Schimmel auf dem samtroten Wein, ferner Reste von Brot, aber ziegelhart. Im Eisschrank (ich habe nachgesehen, ohne Hunger zu haben) krümmt sich Schinken, in Kälte verdorrt und beinahe schwarz, auch etwas Käse ist noch da, rissig wie Baumrinde, grünlich, und ein Glas mit Rahm, der aber nicht mehr fließt, und in einer Schüssel schwimmt noch ein trüber Rest von Kompott, Aprikosen-Schlamm. Ferner eine Dose mit Gänseleber. Wegzehrung für eine Mumie? Ich weiß nicht, warum ich es nicht in den Kehrichteimer geworfen habe ... Ich hocke in Mantel und Mütze, weil es draußen regnet.
Dialog über den linken und rechten Kanal, akustisch etwas zurückgesetzt, wie ein halblautes Gespräch in einer Theaterloge.
* SPRECHERIN 1
Das also ist die Ausgangsposition?
* SPRECHER FRISCH
Ein Mann sitzt allein in seiner Wohnung. Er vermisst jemand, eine Frau.
* SPRECHER TEXT
Ich hocke auf der Lehne eines Polstersessels und spiele mit einem Korkenzieher ... Ich sehe: Jemand hat unsere Teppiche gerollt, mit Kampfer eingesegnet und gerollt, Schnur drum, die Fensterläden geschlossen gegen Regen und Sonne und Wind, gegen Sommer und Winter; ich öffne sie nicht. Alle Polstermöbel sind mit weißen Tüchern bedeckt. Komisch anzusehen; als spielten sie Feme. Oder wie eine Totenfeier in einem Land mit fremden Bräuchen. Auch die Aschenbecher sind geleert, sehe ich, nicht bloß geleert, sondern sogar gewaschen; alle Blumenvasen geleert und gewaschen, damit es nicht nach Fäulnis stinke ... Ich hocke noch immer in Mantel und Mütze, Hände in den Hosentaschen. Es riecht nach Staub und Bodenwichse. Von den Personen, die hier dereinst gelebt haben, steht fest: eine männlich, eine weiblich. Ich sehe Blusen im Schrank, etwas Damenwäsche, die nicht mehr in den Koffer passte oder nicht mehr Mode ist, Krawatten auf der andern Seite, drei lahme Jacken für den Herrn im Winter, zwei für den Sommer, und unten stehen die Schuhe, gereiht wie zum Appell, teils mit Leisten drin. Warum sind leere Schuhe so entsetzlich?
* SPRECHERIN 1
Ein Mann in einer verlassenen Wohnung. Und Sie fragen: Was ist geschehen?
* SPRECHER FRISCH
Ja, aber es wird nicht erzählt, was geschehen ist. Der Mann stellt sich vor, was geschehen könnte.
* SPRECHER TEXT
Abgesehen von einem Wasserhahn in der Küche, der immer schon getropft hat, ist es still. Wie in Pompeji. Auch das Telefon schweigt. Ich sehe: Sie hat den Stecker herausgezogen. Leider habe ich keine Streichhölzer. Wie still es ist, wenn man nicht raucht! Draußen die Straßenbahn, dazwischen Hupen, aber hier hinter geschlossenen Fensterläden, wo ich in Mantel und Mütze hocke auf der Lehne eines weiß verhüllten Polstersessels, während es draußen regnet, hier ist es wie in Pompeji; alles noch vorhanden, bloß die Zeit ist weg. Wie in Pompeji; man kann durch Räume schlendern, die Hände in den Hosentaschen, und sich vorstellen, wie hier einmal gelebt worden ist, bevor die heiße Asche sie verschüttet hat. Und es hallt auch (weil die Teppiche gerollt sind) wie in Pompeji -
Einmal klingelt's tatsächlich.
Ich mache nicht auf -
Der Herr meines Namens ist verreist.
* SPRECHERIN 1
Ein Herr Ihres Namens?
* SPRECHER FRISCH
Sein Name sei Gantenbein.
* SPRECHER TEXT
Ich hocke vergeblich in Mantel und Mütze, die feuerlose Pfeife im Mund...
* SPRECHERIN 1
... Mantel und Pfeife. Das sind Sie doch, Herr Frisch!
Volker Weidermann
Max Frisch
Seine Leben, seine Bücher.
2010 Kiepenheuer & Witsch
Am 15. Mai 2011 wird Max Frischs 100. Geburtstag gefeiert. Dies ist das Buch seines Lebens und seiner Bücher.
Volker Weidermann hat sich zu ihm bekannt. "Ich liebe seine Bücher", schrieb er in "Lichtjahre" über Frisch, und jetzt hat er seine Biografie geschrieben. Die Geschichte eines Jahrhundertlebens und einer ungebrochenen, geheimnisvollen und beglückenden Wirkung.
"Wir kennen Max Frisch, wenn wir seine Bücher kennen. Wir kennen seine Frauen und sein Leben, sein Unglück und sein Glück. Und in Wahrheit kennen wir natürlich nichts." Weil das so ist, brauchen wir einen, der in seinen Büchern zu Hause ist und sich in sein Leben hineingearbeitet hat. Volker Weidermann hat sich an die Recherche gemacht, Archive durchstöbert, Weggefährten getroffen, Gespräche geführt und vor allem gelesen: die großen Romane, die Theaterstücke, die frühen Texte, die Briefe, die Tagebücher. Und dann geschrieben, voller Zuneigung und doch genau und kritisch, lebendig und anschaulich, so dass sich ein facettenreiches und faszinierendes Bild ergibt.
Es zeigt zunächst einen unsicheren jungen Mann, ohne Geld und Erfolg, unglücklich in seinem Germanistikstudium, aber voller hochfliegender Pläne. Einen Schriftsteller, der schlechte Bücher voll hohlem Pathos schreibt, nationalen Gedanken anhängt - ein geistiger Landesverteidiger am Schreibtisch und in Uniform. Der schließlich Architektur studiert und in diesem Beruf nach kürzester Zeit einen märchenhaften Erfolg feiert, der aber das Schreiben nie sein lässt und über das Theater und seine Freundschaft mit Bertolt Brecht schließlich zu dem extrem modernen, kühnen, Ich-suchenden Weltschriftsteller wird, den wir heute kennen. Von "Bin oder die Reise nach Peking" (1945) führt der Weg über "Stiller", "Biedermann und die Brandstifter" und "Homo Faber" bis nach "Andorra" und schließlich zu "Montauk" und in den Weltruhm. Es ist das unglaubliche Leben eines vom Erfolg verwöhnten, eines positiv Engagierten, eines großen Liebenden, eines trotz allem mit dem Leben Hadernden - das Leben eines der besten Schriftsteller deutscher Sprache des letzten Jahrhunderts. Und wir sind dabei, in den Büchern und in seinem Leben, bei ihm - dank seines begeisterten Biografen.
Julian Schütt
Max Frisch
Biographie eines Aufstiegs. 1911-1954.
2011 Suhrkamp
Max Frisch ist der meistgelesene Schriftsteller der Schweiz, in Deutschland verkaufen sich seine Bücher in Millionenauflage. Nun zeichnet die bisher gründlichste Biografie Frischs Aufstieg bis in die Mitte der 50er-Jahre seines Jahrhunderts nach. Julian Schütt, einer der besten Kenner von Leben und Werk des Schweizer Autors, wertet dafür erstmals alle zugänglichen Quellen aus, darunter zahlreiche bislang unbekannte Briefe, Notate und Dokumente, und er hat mit vielen Zeitgenossen und Weggefährten des Dichters gesprochen. Lebendig und anschaulich erzählt er, wie Max Frisch zum Weltautor wurde.
Beide Weltkriege suchen ihn heim, auch wenn seine Heimat, die Schweiz, verschont bleibt. Der erste Krieg trübt die eigene Kindheit, beschädigt das Familienleben, der zweite zertrümmert sein schriftstellerisches Selbstverständnis. Fortan setzt er sich verschiedensten Realitäten aus, solange sie noch "glühende Objekte" sind: den Ruinen der kriegsversehrten Länder genauso wie der Liebe. Er holt das exakte Beobachten nach, sodass er bald auffällt und die Beobachteten irritiert. Es entstehen längst zu Klassikern gewordene Werke wie "Graf Öderland", das "Tagebuch 1946-1949" und "Stiller". In ihnen zeigt Max Frisch auf einzigartige Weise, dass Politik und Literatur keine Gegensätze sein müssen dabei geht er, der große Identitätssucher, stets vom Ich und oft vom eigenen Ich aus, obwohl er es jedes Mal als Glück empfindet, wenn er sich fremd ist.
Max Frisch
Sein Leben in Bildern und Texten.
Hrsg. v. Volker Hage .
2011 Suhrkamp
So kennt man Max Frisch: als ehrgeizigen und entschlossenen Schreiber, der die Schriftstellerei über alles stellte, einen an Politik und Gemeinwesen interessierten Zeitgenossen ein Weltenbummler und Getriebener, der nirgendwo richtig sesshaft wurde, der abwechselnd in Zürich, Rom, Berlin, im Tessin und in New York lebte und die häufigen Ortswechsel selbst "als Zeichen eines verfehlten Lebenslaufes" betrachtete.
Hinter den öffentlichen Großschriftsteller und Weltautor duckt sich der Privatmann: der Träumer und Rekrut in Uniform, der begeisterte Bergwanderer und begabte Aktzeichner, der liebevolle Familienvater und leidenschaftliche Verehrer der Frauen.
Dieser aufwendig gestaltete Bildband nimmt einen der ganz Großen der Literatur völlig neu in den Blick. Spiegel-Redakteur Volker Hage hat dafür über 300 Fotos aus Familienalben, Privatsammlungen und Archiven ausgewählt, Meisterfotos bedeutender Fotografen ebenso wie Schnappschüsse, viele davon kaum bekannt oder nie zuvor veröffentlicht. Texte von Max Frisch und Kommentare des Herausgebers erhellen Szenen aus dem Alltag und erläutern Lebensstationen. In bisher größtenteils unpublizierten Gesprächen kommt Max Frisch noch einmal selbst zu Wort.