Begründer der Kritischen Theorie im Dialog
Mit dem vierten Band schließt der Suhrkamp Verlag die Dokumentation des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer ab. Die Korrespondenz gibt unter anderem Auskunft über den Neubeginn der Frankfurter Schule nach dem Krieg bis zum Tod Adornos. Über aktuelle politische Ereignisse tauschen sich die beiden Philosophen jedoch nicht per Brief aus.
Mit dem vierten Band des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno (1903-1969) und Max Horkheimer (1895-1973), der die Jahre zwischen 1950 und 1969 umfasst, wird ein Projekt abgeschlossen, das die Korrespondenz der beiden einflussreichsten Köpfe des Instituts für Sozialforschung, dessen Leiter Horkheimer seit 1930 war, präsentiert.
Ihr gemeinsam im amerikanischen Exil geschriebenes Buch „Dialektik der Aufklärung“ (1947 im Amsterdamer Querido Verlag erschienen) gilt als die bedeutendste Programmschrift der „Kritischen Theorie“. Die beiden jüdischen Intellektuellen kannten sich seit 1922.
Der Briefwechsel beginnt 1927 mit einem Brief Horkheimers, in dem er auf eine nicht erhaltene Anfrage Adornos reagiert. Adorno wollte von dem acht Jahre älteren Horkheimer wissen, wie es um seine erste Habilitationsschrift „Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre“ steht. Beide hatten bei Hans Cornelius in Frankfurt studiert und promoviert (Horkheimer 1923, Adorno 1924). Nun wollte Adorno wie vor ihm bereits Horkheimer (1925) auch bei Cornelius habilitieren. Die Sorge um seine Arbeit war nicht ganz unberechtigt – Adorno zieht den Antrag auf Anraten seines Doktorvaters noch vor der Eröffnung des Verfahrens zurück. Die „venia legendi“ erhält er 1931, als 26-Jähriger, für eine Arbeit über Kierkegaard, die von Paul Tillich und Horkheimer positiv begutachtet wird.
Der Briefwechsel zwischen dem „Mammut“ Horkheimer und dem „Nilpferd“ Adorno, der mit Adornos Tod endet, umfasst rund 1000 Briefe. Erst allmählich entwickelt sich aus der Bekanntschaft eine Freundschaft. Und bis es so weit ist, gilt es gelegentlich auch ernsthafte Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Aus Briefen, die im ersten Band (1927-1937) der Ausgabe nachzulesen sind, ist zu erfahren, dass Adorno von der Emigration des Instituts für Sozialforschung 1934 nach Amerika nichts wusste. Auch wenn er zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitglied des Instituts war, publizierte er doch in der „Zeitschrift für Sozialforschung“. Adorno emigriert 1934 zunächst nach England. Im selben Jahr nimmt Horkheimer erneut Kontakt mit ihm auf, um seinem angesammelten „Groll Luft [zu] machen“, denn es handle sich – so Horkheimer – um „eine unbestreitbare Tatsache, dass wir uns seit März 1933 nicht gesprochen haben.“ Adorno hält in seinem Antwortbrief den Groll für ungerecht und setzt sich zur „Wehr“, weil er sich im Stich gelassen fühlt. Der so entstandene Erklärungsnotstand kommt dem Briefwechsel zugute, denn die Briefschreiber geben dem jeweiligen Partner zu erkennen, in welcher persönlichen und auch in welcher Arbeitssituation sie sich befinden.
Darüber hinaus finden sich in den Briefen des ersten Bandes Einschätzungen der Exilsituation, Bewertungen der allgemeinen und der politischen Lage in Deutschland und man lässt sich auch gern über Bekannte aus. Mit Adornos Übersiedlung in die USA 1938 und der offiziellen Aufnahme ins Institut im selben Jahr ändert sich die Situation der Briefschreiber jedoch, nunmehr lässt sich vieles mündlich besprechen.
Dies ist wohl auch ein Grund dafür, dass Interna, die das Institut für Sozialforschung betreffen oder Probleme, die sich aus der wissenschaftliche Arbeit ergeben, im vierten Band des Briefwechsels nur gelegentlich eine Rolle spielen. Horkheimer war wie Adorno 1949 nach Frankfurt zurückgekehrt und nahm seine Lehre an der Universität wieder auf, der er ab 1951 als Rektor vorsteht. Adornos Integration in die deutsche Wissenslandschaft gestaltet sich hingegen schwieriger. Während Horkheimer bereits erste Erfahrungen im Umgang mit den deutschen Kollegen und Studenten sammelt, sitzt Adorno mit einem Forschungsauftrag in den USA. Über viele Seiten kann man dem Briefwechsel entnehmen, welche Schwierigkeiten es bereitet, Adorno in Frankfurt auf eine Professur zu berufen. Überhaupt überwiegen im ersten Teil der Briefe, die im vierten Band veröffentlicht sind, Einblicke in den Universitätsalltag, der sich, damals wie heute, wenig spannungsgeladen präsentiert, sodass die Lektüre phasenweise quälend langweilig wird. Dazu trägt auch bei, dass die Briefpartner ihrer Korrespondenz kaum etwas anvertrauen, was den politischen und kulturellen Alltag in Deutschland anbelangt. Kulturelle Ereignisse oder literarische Debatten werden ebenso wenig wie politische Zäsuren erwähnt (nichts über den 17. Juni 1953 oder den Mauerbau von 1961). Daraus Ignoranz gegenüber dem öffentlichen und politischen Leben in Deutschland abzuleiten, wäre falsch. Sie registrieren sehr wohl, wie sich die Welt verändert: „Die Verdüsterung der Welt schreitet beängstigend fort“, schreibt Adorno im April 1957. Vielmehr sagt das Schweigen etwas über die kommunikative Situation der Briefschreiber aus, die nicht mehr Briefen anvertrauen mussten, was sich mündlich bereden ließ.
Rezensiert von Michael Opitz
Theodor W. Adorno, Max Horkheimer: Briefwechsel. Band IV: 1950-1969
Herausgegeben von Christoph Gödde und Henri Lonitz
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
1078 Seiten, 44,90 Euro
Ihr gemeinsam im amerikanischen Exil geschriebenes Buch „Dialektik der Aufklärung“ (1947 im Amsterdamer Querido Verlag erschienen) gilt als die bedeutendste Programmschrift der „Kritischen Theorie“. Die beiden jüdischen Intellektuellen kannten sich seit 1922.
Der Briefwechsel beginnt 1927 mit einem Brief Horkheimers, in dem er auf eine nicht erhaltene Anfrage Adornos reagiert. Adorno wollte von dem acht Jahre älteren Horkheimer wissen, wie es um seine erste Habilitationsschrift „Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre“ steht. Beide hatten bei Hans Cornelius in Frankfurt studiert und promoviert (Horkheimer 1923, Adorno 1924). Nun wollte Adorno wie vor ihm bereits Horkheimer (1925) auch bei Cornelius habilitieren. Die Sorge um seine Arbeit war nicht ganz unberechtigt – Adorno zieht den Antrag auf Anraten seines Doktorvaters noch vor der Eröffnung des Verfahrens zurück. Die „venia legendi“ erhält er 1931, als 26-Jähriger, für eine Arbeit über Kierkegaard, die von Paul Tillich und Horkheimer positiv begutachtet wird.
Der Briefwechsel zwischen dem „Mammut“ Horkheimer und dem „Nilpferd“ Adorno, der mit Adornos Tod endet, umfasst rund 1000 Briefe. Erst allmählich entwickelt sich aus der Bekanntschaft eine Freundschaft. Und bis es so weit ist, gilt es gelegentlich auch ernsthafte Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Aus Briefen, die im ersten Band (1927-1937) der Ausgabe nachzulesen sind, ist zu erfahren, dass Adorno von der Emigration des Instituts für Sozialforschung 1934 nach Amerika nichts wusste. Auch wenn er zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitglied des Instituts war, publizierte er doch in der „Zeitschrift für Sozialforschung“. Adorno emigriert 1934 zunächst nach England. Im selben Jahr nimmt Horkheimer erneut Kontakt mit ihm auf, um seinem angesammelten „Groll Luft [zu] machen“, denn es handle sich – so Horkheimer – um „eine unbestreitbare Tatsache, dass wir uns seit März 1933 nicht gesprochen haben.“ Adorno hält in seinem Antwortbrief den Groll für ungerecht und setzt sich zur „Wehr“, weil er sich im Stich gelassen fühlt. Der so entstandene Erklärungsnotstand kommt dem Briefwechsel zugute, denn die Briefschreiber geben dem jeweiligen Partner zu erkennen, in welcher persönlichen und auch in welcher Arbeitssituation sie sich befinden.
Darüber hinaus finden sich in den Briefen des ersten Bandes Einschätzungen der Exilsituation, Bewertungen der allgemeinen und der politischen Lage in Deutschland und man lässt sich auch gern über Bekannte aus. Mit Adornos Übersiedlung in die USA 1938 und der offiziellen Aufnahme ins Institut im selben Jahr ändert sich die Situation der Briefschreiber jedoch, nunmehr lässt sich vieles mündlich besprechen.
Dies ist wohl auch ein Grund dafür, dass Interna, die das Institut für Sozialforschung betreffen oder Probleme, die sich aus der wissenschaftliche Arbeit ergeben, im vierten Band des Briefwechsels nur gelegentlich eine Rolle spielen. Horkheimer war wie Adorno 1949 nach Frankfurt zurückgekehrt und nahm seine Lehre an der Universität wieder auf, der er ab 1951 als Rektor vorsteht. Adornos Integration in die deutsche Wissenslandschaft gestaltet sich hingegen schwieriger. Während Horkheimer bereits erste Erfahrungen im Umgang mit den deutschen Kollegen und Studenten sammelt, sitzt Adorno mit einem Forschungsauftrag in den USA. Über viele Seiten kann man dem Briefwechsel entnehmen, welche Schwierigkeiten es bereitet, Adorno in Frankfurt auf eine Professur zu berufen. Überhaupt überwiegen im ersten Teil der Briefe, die im vierten Band veröffentlicht sind, Einblicke in den Universitätsalltag, der sich, damals wie heute, wenig spannungsgeladen präsentiert, sodass die Lektüre phasenweise quälend langweilig wird. Dazu trägt auch bei, dass die Briefpartner ihrer Korrespondenz kaum etwas anvertrauen, was den politischen und kulturellen Alltag in Deutschland anbelangt. Kulturelle Ereignisse oder literarische Debatten werden ebenso wenig wie politische Zäsuren erwähnt (nichts über den 17. Juni 1953 oder den Mauerbau von 1961). Daraus Ignoranz gegenüber dem öffentlichen und politischen Leben in Deutschland abzuleiten, wäre falsch. Sie registrieren sehr wohl, wie sich die Welt verändert: „Die Verdüsterung der Welt schreitet beängstigend fort“, schreibt Adorno im April 1957. Vielmehr sagt das Schweigen etwas über die kommunikative Situation der Briefschreiber aus, die nicht mehr Briefen anvertrauen mussten, was sich mündlich bereden ließ.
Rezensiert von Michael Opitz
Theodor W. Adorno, Max Horkheimer: Briefwechsel. Band IV: 1950-1969
Herausgegeben von Christoph Gödde und Henri Lonitz
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
1078 Seiten, 44,90 Euro