Begnadete Wagner-Interpretin

Von Stefan Zednik |
Klarheit, Kraft und Dramatik: dafür war Kirsten Flagstads Stimme berühmt. 34-jährig nahm sie mit der Elsa aus Lohengrin ihre erste Wagner-Rolle in Angriff. Von da ab führte ihr Weg über Oslo und Bayreuth 1935 nach New York, wo sie zum Kassenmagneten avancierte. Am 7. Dezember 1962 starb Kirsten Flagstad in Oslo.
Klarheit und Intensität, Kraft und Dramatik: Dafür war die Stimme Kirsten Flagstads berühmt. Eine Stimme, die zum Inbegriff des sogenannten "hochdramatischen Fachs" wurde, eines Stimmfaches, das nur wenige Rollen vor allem von Richard Wagner umfasst. Kirsten Flagstad wurde am 12. Juli 1895 in Norwegen geboren. Die Mutter war Pianistin, der Vater zumindest zeitweise als professioneller Dirigent beschäftigt. Singen zählte zum familiären Alltag, mit 18 debütierte Flagstad auf einer Opernbühne. In weiter Ferne lagen damals die Partien Wagners, über die sie viele Jahre später sagen wird:

"Das englische und amerikanische Publikum verbindet mich fast ausschließlich mit Wagner, doch ich habe Nedda, Mimi, Tosca, Aida, Desdemona, Margarethe, Micaela und viele andere Rollen gesungen, bevor ich zum ersten Mal Wagner sang. Ich bin keine Lehrerin und wollte es nie sein, ich habe nur zu singen und nicht zu erklären gelernt. Aber vielleicht kann ich dennoch einige Ratschläge zu Wagner-Partien geben, und mein erster Rat an junge und noch heranreifende Sänger lässt sich in wenige Worte fassen: Finger weg von Wagner!"

In der Tat ließ sich Kirsten Flagstad viel Zeit, bevor sie im Alter von fast 34 Jahren mit der "Elsa" aus "Lohengrin" die erste Rolle einer Wagner-Oper in Angriff nahm. Das Volumen ihrer Stimme – die wichtigste Voraussetzung zur Bewältigung dieser Partien – wuchs schnell, und beinahe sprunghaft führte ihr Weg über Oslo, Göteborg, Brüssel und Bayreuth 1935 nach New York. Hier wurden ihre Wagner-Aufführungen zum "box-office-draw", zum Kassenmagneten – und sie selbst zum hoch bezahlten Star jeder Gala.

"Ladies and gentlemen, it isn't often that I have the privilege of introducing such a distinguished artist as Madam Kirsten Flagstad, star of the Metropolitan Opera Company. Madam Flagstad has been acclaimed the world's greatest living soprano. She will sing an aria from Richard Wagner's opera 'The valkyrie', 'Brunhildes battle cry'."

In den späten dreißiger Jahren in New York erlebt sie den Höhepunkt ihrer Karriere, die bald darauf einen bitteren Bruch erfahren sollte. 1941 beschloss sie, gegen vielfachen Rat, die USA zu verlassen, um bei ihrem Mann in Norwegen sein zu können. Der jedoch war zumindest zeitweise Mitglied der national und antisemitisch ausgerichteten Quisling-Partei, die nach dem Überfall durch die Deutschen 1940 wichtigster Kollaborateur Hitlers geworden war. Während Tausende Europa den Rücken kehrten, ging Kirsten Flagstad in die Gegenrichtung: zurück ins besetzte Norwegen.

Auch wenn sie in den letzten Kriegsjahren nur in neutralen Ländern wie Schweden oder der Schweiz auftrat, so war ihr Ruf doch erheblich beschädigt. Ihr Mann, als Kollaborateur angeklagt, starb 1946 in Haft. Als Kirsten Flagstad im Jahr darauf in New York ein Comeback begann, wurde sie zur Zielscheibe der Kritik. Straßendemonstrationen vor oder Störungen in ihren Konzerten waren keine Seltenheit. "Eine Kämpfernatur mit Wikingerblut", wie sie selbst sich beschrieb, setzte sie ihre Arbeit trotzig fort. Mit Wilhelm Furtwängler erarbeitete sie an der Mailänder Scala 1950 den "Ring des Nibelungen", dessen Mitschnitt heute noch als vorbildliche Referenzaufnahme gilt. Dennoch begann sie sich ab 1952 langsam von der Bühne zurückzuziehen.

"Ich habe doch so lange gesungen, 38 Jahre schon, und ich möchte doch etwas Ruhe haben, um ein Privatleben zu führen. Ich singe furchtbar gern, aber es kann auch zuviel werden. Die großen Opern werde ich nicht mehr singen, auch nicht mehr nach Amerika gehen."

Rehabilitiert und in den letzten Lebensjahren mit der künstlerischen Leitung der Oper in Oslo betraut, starb Kirsten Flagstad am 7. Dezember 1962.