"Begleiten Sie mich nach Darfur"

Seit vielen Jahren kämpft der Sudanese Daoud Hari darum, dass der Völkermord in seiner Heimat ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit rückt – und beendet wird. Deshalb hat er nun mit "Der Übersetzer" ein erschütterndes und zugleich spannendes Buch über seine Erlebnisse geschrieben.
An einem Tag kam Daoud Hari an einen einsamen Baum, nicht weit von der Grenze zum Tschad entfernt. Er fand eine Frau, die sich mit ihrem Kopftuch erhängt hatte. Unter dem Baum lagen drei Kinder, zwei von ihnen bereits verdurstet, das dritte noch am Leben. Wahrscheinlich, so vermutet Hari, hatte die Frau tagelang ohne Wasser unter dem Baum gesessen – und wahrscheinlich wollte sie ihre Kinder nicht sterben sehen und hat sich deshalb das Leben genommen. – In knappen Worten schildert Daoud Hari dieses Erlebnis; es ist nur eine von vielen quälenden Begebenheiten, über die er in seinem Buch berichtet. Nicht ohne Grund schickt der Autor auf dem Klappentext eine Warnung an seine Leser voraus: "Begleiten Sie mich nach Darfur, wenn Sie den Mut dazu haben."

Daoud Hari wurde 1974 in einem kleinen Dorf in Darfur geboren. In seinem Buch berichtet er von einer glücklichen Kindheit: von wilden Spielen im Wüstensand und davon, dass er eine Schule besuchen konnte. Später ging Hari ins Ausland, um zu jobben. Als er im Sommer 2003 mit dem Flugzeug in den Sudan zurückkehrte, schaute er aus dem Fenster und sah unter sich seine brennende Heimat. Für ihn war klar, dass er kein Gewehr in die Hand nehmen, sondern helfen wollte. Gemeinsam mit einigen Freunden kümmerte er sich um Frauen und Kinder, die auf der Flucht in den Tschad waren. Später arbeitete der heute 34-jährige als Übersetzer für die Vereinten Nationen und sammelte Beweise dafür, dass die Ereignisse in Darfur ein Völkermord sind.

Nachdem die UN ihre Ermittlungen abgeschlossen hatten, begann Daoud Hari, Journalisten illegal nach Darfur zu bringen und sie bei ihren Recherchen zu unterstützen. Davon handelt der zweite, sehr spannende Teil seines Buches. Als Hari mit dem amerikanischen Pulitzerpreisträger Paul Salopek unterwegs ist, wird er von einer Rebellengruppen verhaftet und mehrere Wochen verhört und gefoltert. Nur mit Glück entkommt er dem Tod. Er reist in die USA aus und beginnt, sein Buch zu schreiben, um die Weltöffentlichkeit aufmerksam zu machen und zum Handeln zu bewegen.

Dieses Anliegen, die Menschen wachzurütteln, ist dem Buch deutlich anzumerken. Daoud Hari druckt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen ab; und er schreibt sehr persönlich. Er schildert die Ereignisse in einer klaren Sprache, die zwischen Lakonie und Poesie pendelt; sein Hang zum Pathos wirkt nur an wenigen Stellen übertrieben. Und: Hari spricht den Leser direkt an, nennt ihn sogar mehrmals "mein Freund". Das ist ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig, und es kann wohl sein, dass manchem Leser diese appellative Ansprache auf die Nerven geht. Andererseits: Er vertraut den Lesern sehr persönliche Geschichten an wie die vom Tod seines Lieblingsbruders – da ist auch die persönliche Ansprache des Lesers durchaus naheliegend. Lässt sich der Leser auf Haris Stil ein, wird ihn dessen Bericht mehr als betroffen machen.

Schade ist allerdings, dass Hari nur wenige Erklärungen zu den Hintergründen des Geschehens in Darfur liefert. Er nennt verschiedene Ursachen – etwa die Regierung, die sich in Stammeskonflikte einmischt, das Versagen traditioneller Mechanismen der Konfliktlösung und knapper werdende Ressourcen – aber er wirft damit mehr Fragen auf, als er Antworten gibt.

Einmal allerdings beschreibt er eine Szene, die wie ein Schlüssel für die Lösung des Konflikts erscheint. Er erzählt, wie er von Rebellen verhaftet, mit seinem Fahrer Ali in der Wüste sitzt. Die Kindersoldaten, die die beiden bewachen sollen, hatten den Auftrag bekommen, sie zu erschießen. Aber nun kommen sie miteinander ins Gespräch; und Ali, der Fahrer, stellt ihnen die Frage, warum sie eigentlich tun, was sie tun. Kurze Zeit später sitzen alle unter einem Baum und reden über Gott und Welt. Und schließlich kommen die Jungen zu der Einsicht, dass der Kommandant die beiden Gefangenen eben selbst erschießen sollte, wenn er sie denn tot sehen will.

Der Kommandant erschoss Daoud Hari nicht – und so schrieb Hari dieses Buch. Es ist ein emotionaler, spannender und erschütternder Bericht aus der Krisenregion Darfur.

Rezensiert von Marcus Weber

Daoud Hari: Der Übersetzer. Leben und Sterben in Darfur.
aus dem Englischen von Elsbeth Ranke
Karl Blessing Verlag, April 2008
255 Seiten, 19,95 Euro