Begegnungen mit Helmut Lachenmann (4/4)

Permanente Lust an der Verunsicherung

Der Komponist Helmut Lachenmann und Deutschlandradio-Musikredakteur Rainer Pöllmann
Der Komponist Helmut Lachenmann und Deutschlandradio-Musikredakteur Rainer Pöllmann © privat
18.11.2015
Am 27. November 2015 feiert Helmut Lachenmann seinen 80. Geburtstag – und die Musikwelt feiert einen Komponisten, der wie kaum ein anderer unsere Art des Hörens und des Denkens über Musik verändert hat. Aus diesem Anlass wiederholt Deutschlandradio Kultur vier Folgen der Reihe "Begegnungen mit Helmut Lachenmann", in denen der Komponist über seine künstlerische Entwicklung, seine Ästhetik und seine Erlebnisse mit Musikern und Institutionen spricht. Die vierte Folge behandelt die Werke der letzten beiden Jahrzehnte und die Frage, ob es sich dabei um ein Alterswerk handelt.
Helmut Lachenmann, geboren 1935 in Stuttgart, ist einer der wichtigsten und wirkungsmächtigsten Komponisten der Gegenwart, der unsere Hörgewohnheiten und unser Denken über Musik grundlegend verändert hat. Ein Komponist, der seit mehr als einem halben Jahrhundert Jahren mit seiner differenzierten Klangwelt und seinem konsequent die Gesellschaft herausfordernden Kunstbegriff Vorbild und Herausforderung für Generationen von Komponisten und Kunstschaffenden ist.
Sein Werk steht im Kontext abendländischer Musiktradition, die aber einer kritischen Reflexion unterworfen wird. Vermeintliche Sicherheiten werden in Frage gestellt, Verkrustungen und alte Gewohnheiten aufgebrochen. Nicht zuletzt ist Helmut Lachenmann auch ein scharfer und hellsichtiger Beobachter der politischen Verhältnisse, ein unerbittlicher Kämpfer die Freiheit der Kunst von inneren und äußeren Zwängen, gegen ihre Vereinnahmung und Funktionalisierung.
Im Jahr 2013 hat sich Rainer Pöllmann über mehrere Tage hinweg mit Helmut Lachenmann unterhalten – über dessen künstlerische Entwicklung und Ästhetik, aber auch über Lachenmanns Erlebnisse mit Musikern und Institutionen. Diese Gespräche flossen in die siebenteilige Sendereihe "Begegnungen mit Helmut Lachenmann" ein, die Deutschlandradio Kultur im Sommer 2014 ausstrahlte. Zum 80. Geburtstag Helmut Lachenmanns am 27. November wiederholen wir vier Folgen dieser Reihe, ergänzt durch eine O-Ton-Feature mit dem Titel "Vom Widerstand und der Magie. 80 Kapitel zu Helmut Lachenmanns 80. Geburtstag".
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kommt für Helmut Lachenmann, den über Jahrzehnte hinweg heftig Angefeindeten, die späte Anerkennung. 1997 wird die Uraufführung seiner ersten Oper zu einem unerwartet großen Erfolg. Im selben Jahr erhält er den Preis der Ernst von Siemens Musikstiftung, zahlreiche weitere Preise und Ehrungen folgenfolgen. Zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 2005 wird Lachenmann vielerorts mit Festivals, Konzerten und Symposien geehrt, und seitdem ist diese Wertschätzung eher noch gewachsen, was die Fülle von Veranstaltungen zum bevorstehenden 80. Geburtstag beweist. Helmut Lachenmann ist heute ein viel gefragter, ja geradezu verehrter Komponist.
Nach dem "Mädchen mit den Schwefelhölzern" entstehen wichtige Orchesterwerke wie "NUN" und "Schreiben", die einzelne Momente der Oper weiterdenken. Außerdem ein drittes Streichquartett, die Vokalkomposition "Got lost" und das groß besetzte Ensemblewerk "Concertini". Sind das nun Beispiele eines "Alterswerks"? Aber was heißt das bei einem Komponisten wie Helmut Lachenmann überhaupt?
In der letzten Folge der "Begegnungen" werden auch noch einmal grundlegende Fragen aufgeworfen. Über die Frage einer "Nicht-Musik", die Problematik einer von der Musikwelt an ihn gerichteten "Nicht-Erfüllungs-Erwartung" und über Komponieren als Trauma-Bewältigung. Über die die permanente Lust an der Verunsicherung und die Begeisterung darüber, was dabei entdeckt wird.
Nach der Wiederholung von vier Folgen unserer dokumentarischen Gesprächsreihe "Begegnungen" schließt sich am 18. November 2015 um 20:03 Uhr eine Hör-Collage an, die den Kosmos von Lachenmanns Leben und Musik noch einmal anders in den Blick nimmt: "Vom Widerstand und der Magie. 80 Kapitel zum 80. Geburtstag von Helmut Lachenmann".
Begegnungen mit dem Komponisten Helmut Lachenmann
Teil 4: Ein Alterswerk? Kompositionen seit 1998
Mit Ausschnitten aus folgenden Werken:
Helmut Lachenmann
"NUN" Musik für Flöte, Posaune und Orchester mit Männerstimmen
Gaby Pas-Van Riet, Flöte
Michael Svoboda, Posaune
Neue Vocalsolisten Stuttgart
WDR Sinfonieorchester Köln
Leitung: Jonathan Nott
Helmut Lachenmann
"Grido" Streichquartett Nr. 3
Arditti Quartet
Helmut Lachenmann
"Concertini" für Ensemble
Ensemble Modern Orchestra
Leitung: Brad Lubman
Helmut Lachenmann
"Got lost" Musik für Stimme und Klavier
Elisabeth Keusch, Sopran
Yukiko Sugawara, Klavier
Helmut Lachenmann
"Echo Andante"
Marino Formenti, Klavier
Richard Strauss
"Eine Alpensinfonie" für großes Orchester op. 64
Ensemble Modern Orchestra
Leitung: Markus Stenz