Begegnung mit der Liebe

Vorgestellt von Johannes Kaiser · 06.04.2005
Es war für Esther Freud, Urenkelin des Wiener Psychiaters, Tochter des Malers Lucian Freud, nicht leicht, in einer berühmten Familie aufzuwachsen. Sie fühlte sich, unsicher und unsichtbar. Das Schreiben gab ihr Selbstvertrauen. Fünf Romane hat sie bislang vorgelegt, allesamt autobiographisch gefärbt. So darf man wohl annehmen, dass auch ihr jüngstes Werk <em>Das Haus am Meer</em> auf eigenen Erfahrungen beruht.
Lily hat sich aus dem turbulenten London ans Meer zurückgezogen, ein kleines Haus gemietet, um sich ungestört ihrer Arbeit über den deutschen Architekten Klaus Lehmann widmen können. Der hatte vor den Nazis nach England flüchten müssen, damit eine aussichtsreiche Karriere in Deutschland aufgegeben und nie wieder richtig Fuß fassen konnte. Lily ist bewusst im selben Dorf untergeschlüpft, in dem damals Lehmanns Frau Elsa wohnte. In ihrer Tasche hat sie einen Packen Liebesbriefe des Architekten an Elsa.

Während Lily versucht, sich in dem kleinen Dorf einzuleben, erzählt uns Esther Freud parallel die Geschichte des deutschen Malers Max Meyer, eines anderen Emigranten, der zufällig in dem kleinen Dorf landet, in dem die Frau des Architekten lebt. Der scheue, schüchterne Max verliebt sich in Elsa. Eine leidenschaftliche Affäre beginnt, die jedoch ein tragisches Ende findet.

Auch die Studentin verliebt sich, nicht zuletzt weil sie sich von ihrem Londoner Freund vernachlässigt fühlt. Sie entdeckt zudem, dass sie nicht in die Stadt zurückkehren möchte, sucht sich eine Arbeit im Dorf, beschließt, ihr Leben zu ändern.

Esther Freud hat zwei Varianten eines Vertrauensbruchs, einer amour fou, entworfen, die beide völlig natürlich wirken und damit umso überraschender sind. In beiden Fällen brechen die Frauen aus dem Gefühl einer Einengung aus, befreien sich. Es geht um Verlust und Hoffung, Sehnsucht und Erfüllung – eben all jene Gefühle, die die Liebe freisetzt. Nichts wirkt gekünstelt. Eine Liebesgeschichte, wie sie jedem zustoßen könnte. Ein kleines Kunststück.

Esther Freud: Das Haus am Meer
Übersetzung Anke und Eberhard Kreutzer
Bloomsbury 2005 Berlin, 380 Seiten