Befreiung der linken Hand
Dass ich ein umerzogener Linkshänder bin, wusste ich immer. Meine Eltern haben nie einen Hehl daraus gemacht und mir bedauernd erklärt, dass man das damals, also in den frühen siebziger Jahren der DDR, so machte.
Und trotzdem gab es in der Testung, die die Ergotherapeutin Tanja Gallardo mit mir durchführte, einige Überraschungen. Nach einer Dreiviertelstunde in ihrer Praxis, in der ich eigentlich nichts weiter gemacht hatte, als mit beiden Händen abwechselnd zu malen und zu schreiben, war ich plötzlich nicht mehr in der Lage, mit dem Auto nach Hause zu fahren. Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen und spürte eine extreme Nervosität und Gespanntheit.
Ein paar Sitzungen später kam es zu dem entscheidenden Moment für mich. Frau Gallardo ließ mich ein Jojo werfen und wenn es hochschnellte, sollte ich es mit der Wurfhand auffangen. Ich tat dies mit der rechten Hand, so wie ich fast alles in meinem Leben, was mir andere beigebracht hatten, mit der rechten Hand tat.
In dem Moment, als die rechte Hand nach dem Jojo schnappte, versuchte die linke dies ebenfalls, obwohl mein linker Arm gerade und schlaff am Körper herabhing. Meine linke Hand versuchte auf einmal das zu tun, was sie nicht durfte, über Jahrzehnte hinweg. Diese Situation war wie ein sichtbar gewordener Phantomschmerz. Also entschloss ich mich endgültig für eine Rückschulung.
Gemeinsam mit Tania Gallardo fand ich heraus, dass ich auf Grund meiner Umerziehung die Dinge, die ich nicht konnte, umging. Das heißt, ich mied zum Beispiel feinmotorische Arbeiten, weil meine Hände dann sofort anfingen zu zittern. Ich malte weder als Kind noch als Erwachsener, weil mir sowohl der Akt des Malens als auch das Ergebnis unangenehm waren.
Nur das Schreiben wollte und konnte ich nicht umgehen. Ich habe die üblichen Probleme eines umerzogenen Linkshänders. Meine Schrift war immer schon unleserlich, ich fühlte mich unwohl beim Schreiben, und ich hatte Schwierigkeiten mit der Orthografie, die ja auch Rechtschreibung heißt. Schon in meinem ersten Zeugnis 1974 betont meine damalige Lehrerin: "Da (Gregor) Linkshänder ist, musste er für Schreiben, Werken und Zeichnen besonders viel Energie und Ausdauer aufbringen, um seine Leistung zu verbessern".
Trotzdem war der Wunsch zu schreiben bereits als Kind sehr stark. Ich half mir auch hier mit einem Umweg, indem ich schon mit 14 Jahren alle privaten Texte auf einer mechanischen Schreibmaschine schrieb. Das Zweifingersystem war mühsam, aber man konnte das, was ich da tippte, hinterher lesen. Im Studium kopierte ich lieber die Mitschriften meiner Kommilitonen, weil ich wusste, dass ich mit meinen eigenen Aufzeichnungen nichts anfangen konnte. Ich litt darunter, genau wie ich später als Schriftsteller meine Kollegen beneidete, die Tagebuch führen und sich, wo sie gehen und stehen, Notizen machen.
In der Therapie habe ich gelernt, mit links zu schreiben. Ich habe schon jetzt so etwas wie eine eigene Schrift, wo früher nur Gekrakel war. Es fühlt sich richtig an. Irgendwann konnte ich auch Zeichnungen machen, die so aussahen wie ich mir das vorstellte. Ein sehr beglückender Moment, als das im Kopf und das auf dem Papier einander ähnlich war.
Es gab aber auch Frustration, wenn sich Tätigkeiten mit der linken Hand falsch anfühlten, weil ich keine Gewohnheit darin besaß, mir beispielsweise die Zähne mit links zu putzen oder das Brötchen aufzuschneiden.
Meinen im Frühjahr erschienen Roman "Abwesend" konnte ich bereits mit der richtigen Hand signieren. Für das nächste Buch recherchiere ich gerade und mache mir Notizen. Und ich mache das mit links.
Hören Sie zu dem Thema auch das Interview mit der Psychologin Johanna Barbara Sattler. Sie hat ihrer Aussage nach die erste Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder gegründet.
MP3-Audio
Ein paar Sitzungen später kam es zu dem entscheidenden Moment für mich. Frau Gallardo ließ mich ein Jojo werfen und wenn es hochschnellte, sollte ich es mit der Wurfhand auffangen. Ich tat dies mit der rechten Hand, so wie ich fast alles in meinem Leben, was mir andere beigebracht hatten, mit der rechten Hand tat.
In dem Moment, als die rechte Hand nach dem Jojo schnappte, versuchte die linke dies ebenfalls, obwohl mein linker Arm gerade und schlaff am Körper herabhing. Meine linke Hand versuchte auf einmal das zu tun, was sie nicht durfte, über Jahrzehnte hinweg. Diese Situation war wie ein sichtbar gewordener Phantomschmerz. Also entschloss ich mich endgültig für eine Rückschulung.
Gemeinsam mit Tania Gallardo fand ich heraus, dass ich auf Grund meiner Umerziehung die Dinge, die ich nicht konnte, umging. Das heißt, ich mied zum Beispiel feinmotorische Arbeiten, weil meine Hände dann sofort anfingen zu zittern. Ich malte weder als Kind noch als Erwachsener, weil mir sowohl der Akt des Malens als auch das Ergebnis unangenehm waren.
Nur das Schreiben wollte und konnte ich nicht umgehen. Ich habe die üblichen Probleme eines umerzogenen Linkshänders. Meine Schrift war immer schon unleserlich, ich fühlte mich unwohl beim Schreiben, und ich hatte Schwierigkeiten mit der Orthografie, die ja auch Rechtschreibung heißt. Schon in meinem ersten Zeugnis 1974 betont meine damalige Lehrerin: "Da (Gregor) Linkshänder ist, musste er für Schreiben, Werken und Zeichnen besonders viel Energie und Ausdauer aufbringen, um seine Leistung zu verbessern".
Trotzdem war der Wunsch zu schreiben bereits als Kind sehr stark. Ich half mir auch hier mit einem Umweg, indem ich schon mit 14 Jahren alle privaten Texte auf einer mechanischen Schreibmaschine schrieb. Das Zweifingersystem war mühsam, aber man konnte das, was ich da tippte, hinterher lesen. Im Studium kopierte ich lieber die Mitschriften meiner Kommilitonen, weil ich wusste, dass ich mit meinen eigenen Aufzeichnungen nichts anfangen konnte. Ich litt darunter, genau wie ich später als Schriftsteller meine Kollegen beneidete, die Tagebuch führen und sich, wo sie gehen und stehen, Notizen machen.
In der Therapie habe ich gelernt, mit links zu schreiben. Ich habe schon jetzt so etwas wie eine eigene Schrift, wo früher nur Gekrakel war. Es fühlt sich richtig an. Irgendwann konnte ich auch Zeichnungen machen, die so aussahen wie ich mir das vorstellte. Ein sehr beglückender Moment, als das im Kopf und das auf dem Papier einander ähnlich war.
Es gab aber auch Frustration, wenn sich Tätigkeiten mit der linken Hand falsch anfühlten, weil ich keine Gewohnheit darin besaß, mir beispielsweise die Zähne mit links zu putzen oder das Brötchen aufzuschneiden.
Meinen im Frühjahr erschienen Roman "Abwesend" konnte ich bereits mit der richtigen Hand signieren. Für das nächste Buch recherchiere ich gerade und mache mir Notizen. Und ich mache das mit links.
Hören Sie zu dem Thema auch das Interview mit der Psychologin Johanna Barbara Sattler. Sie hat ihrer Aussage nach die erste Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder gegründet.
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