Beförderung der Weltkenntnis
Das Buch, das Otto von Habsburg über Globalisierung geschrieben hat, erhebt nicht den Anspruch wissenschaftlich-systematischer Analyse. „Unsere Welt ist klein geworden“ ist ein Kommentar aus christlich-konservativer Perspektive, Appell für Selbstbehauptung Europas und Notizblock eines an Erfahrung fast überreichen Lebens.
Otto von Habsburg, geboren 1912, ist ein alter Herr. Gäbe es die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn noch, so wäre der 94-Jährige heute Kaiser, vielleicht ohne viel Macht, wie die englische Queen, aber gewiss mit moralischer Autorität. Sein Leben ist anders verlaufen. Sechs Jahre alt, machten Kriegsende und Revolution 1918 auf einmal aus dem kleinen Erzherzog einen jungen Herrn Habsburg, der mit seinen Eltern, dem letzten Kaiser und der Kaiserin, ins Exil musste.
Otto von Habsburg hat Namen und Einfluss aufgewendet, die Österreicher vor den Nazis zu warnen – wie man weiß, vergeblich. Eine nicht geringe Rolle spielte er 1943, auf der Konferenz von Ottawa, als er die alliierten Diplomaten überzeugen konnte, dass die Republik Österreich nicht Hitlers Komplize war, sondern erstes Opfer. Die Zweite Republik in Wien hat es ihm wenig gedankt. Ein Habsburger zu sein, war und ist in Österreich, wo es bis heute sozialistische Hofräte gibt, eine Belastung.
Das Buch, das Otto von Habsburg über Globalisierung geschrieben hat, erhebt nicht den Anspruch wissenschaftlich-systematischer Analyse. Es ist Kommentar aus christlich-konservativer Perspektive, Appell für Selbstbehauptung Europas und Notizblock eines an Erfahrung fast überreichen Lebens:
„Heute hat sich wohl die Freizügigkeit der Menschen stärkstens entwickelt. Aber gleichzeitig hat sich die Politik noch nicht darauf eingestellt, wie man mit dieser Problematik fertig wird. Dabei muss man sich an die Tatsache erinnern, dass, wenn man die Politik in ihren größeren Perspektiven betrachtet, dies die Kenntnis von zwei Wissenschaften, nämlich Geschichte und Geographie, von denjenigen fordert, die die Verantwortung tragen, und sei es nur als Wähler … Viele der großen Irrtümer wären niemals eingetreten, wären die Zuständigen besser informiert gewesen.“
Ja, so schreibt er. Es klingt einfach, mitunter allzu einfach und ein wenig umständlich. Aber es ist etwas dran an dem, was er sagt. So zum Beispiel, was den Nutzen der Historie für das Leben anlangt:
„Politisch Verantwortliche haben nicht das Recht, überrascht zu sein. Es ist ihre Pflicht, tatsächlich sachkundig zu sein, zumindest in den großen Linien der Politik. Heute ist die Kenntnis der Welt von entscheidender Bedeutung.“
Diese Weltkenntnis will Otto von Habsburg durch sein Buch befördern. Mit den Worten seines Urgroßvaters, des Kaisers Franz Joseph, sagt er es einmal wie im Vorbeigehen:
„Ich will die Völker vor ihrer Regierung schützen …“
Das ist nicht gemeint im Ton des Volkstribunen, sondern kommt aus der Erfahrung eines langen Lebens und der inneren Gewissheit, dass Europa seit dem Ende der Sowjetunion eine neue Chance hat, noch lange nicht vollendet ist, aber zugleich die Europäer hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Wer so lange im Europa-Parlament saß und die Pan-Europa-Bewegung leitete, der kennt Europa nicht nur aus der Zeitung.
Otto von Habsburg holt weit aus.
„Sterbender Erdteil“ -
so nennt er den Kontinent, dessen demographische Linien ins Grab weisen. Die Ursachen sieht er im Niedergang der Familie, die Homo-Ehe ist ihm Symptom des Verfalls. Zuwanderung hält er nicht für eine Lösung. Die Familie wird von der Politik alleingelassen – seltsam eigentlich, dass ein gestandener Konservativer so wenig von Werten und so viel von Transferzahlungen spricht.
Die EU ist ihm, auffallenderweise, mehr eine Sicherheitsgemeinschaft als eine Wirtschaftsunion, obwohl sie gerade in der Sicherheit ohne NATO und ohne Amerika verloren wäre:
„Europa ist in erster Linie eine Sicherheitsgemeinschaft. Diese Tatsache fordert dringend die Erweiterung, denn nur durch sie wird ... die äußere Sicherheit Europas gegenüber dem Ausdehnungswillen Russlands besser garantiert.“
Von da ist es für Habsburg nur ein Schritt zur Aufnahme der Ukraine, die für ihn seit der Orange-Revolution von 2005 eine Art Geburtsrecht in Europa besitzt. Russland sieht er einerseits als starke, gefährliche Macht, andererseits aber als so schwach, dass Moskau es hinnehmen müsste, wenn die Ukraine zu NATO und EU gehörte. Das ist indessen, wenn man Geschichte und Geographie ernst nimmt, ein gefährliches Spiel, das nicht dadurch besser wird, dass es auch in Washington angedacht wird, aber es spricht für Realismus in den meisten europäischen Hauptstädten, auch Berlin, dass man sich darauf bisher nicht so recht einlassen will. Sinnvoller ist da schon, was Otto von Habsburg für Türkei und Marokko, die zwei islamischen Hauptbewerber um europäische Zugehörigkeit, vorzuschlagen hat:
„Ein Zusammenschluss des Mashrak und eine Konföderation im Mittelmeer NEBEN dem einigen Europa wären der sicherste Weg zu einem dauernden Frieden.“
Das ist alles in allem kühn gedacht. Aber Habsburg bleibt die Antwort schuldig, wie denn die Europäische Union, deren Verfassungsvertrag erst einmal stecken geblieben ist, mit so viel größeren Aufgaben fertig werden soll.
Habsburgs Blick auf Russland ist düster. Er sieht einen neuen Totalitarismus im Entstehen:
„Es sind die gleichen Instrumente unter gleichen Bedingungen, nur mit anderen Namen, unterstützt durch die oftmals freiwillige Blindheit der freien Welt.“
Der neue Balkan liegt für ihn indessen vorerst im Kaukasus, wo es nicht nur um Tschetschenien geht, sondern auch die georgische Rebellion und die amerikanische Öl-Connection von Baku ans Mittelmeer. Was er dann allerdings vorschlägt, ist ein Rezept für Konfrontation mit Russland und gefährliche Überanstrengung:
„Was sich im 19. Jahrhundert in Europa auf dem Balkan abspielte, wiederholt sich heute im Kaukasus … eine der Gefahrenzonen der Welt. Daher wäre geboten, dass von europäischer Seite alles unternommen wird, um im Kaukasus die imperialistischen Einflüsse einzudämmen und den Völkern ihre Selbstbestimmung zu sichern.“
Da kann sich Europa nur übernehmen. Denn wer sollte die Führung übernehmen, wer die Nerven haben, wer Ziele und Mittel bestimmen? Man kann Russland nicht zugleich als gefährliches Monster und als zahnlosen Bären beschreiben.
Man findet in diesem Buch vieles, was zu Widerspruch einlädt, aber auch immer wieder kluge Einsichten. Dem Text hätte ein kritischer Lektor gut getan, auch fehlen Landkarten und ein Register. Und trotzdem liest man, was der erfahrene Politiker zu sagen hat, mit Gewinn.
Otto von Habsburg: Unsere Welt ist klein geworden – Die Globalisierung der Politik
Amalthea Verlag, Wien 2006, 283 Seiten
Otto von Habsburg hat Namen und Einfluss aufgewendet, die Österreicher vor den Nazis zu warnen – wie man weiß, vergeblich. Eine nicht geringe Rolle spielte er 1943, auf der Konferenz von Ottawa, als er die alliierten Diplomaten überzeugen konnte, dass die Republik Österreich nicht Hitlers Komplize war, sondern erstes Opfer. Die Zweite Republik in Wien hat es ihm wenig gedankt. Ein Habsburger zu sein, war und ist in Österreich, wo es bis heute sozialistische Hofräte gibt, eine Belastung.
Das Buch, das Otto von Habsburg über Globalisierung geschrieben hat, erhebt nicht den Anspruch wissenschaftlich-systematischer Analyse. Es ist Kommentar aus christlich-konservativer Perspektive, Appell für Selbstbehauptung Europas und Notizblock eines an Erfahrung fast überreichen Lebens:
„Heute hat sich wohl die Freizügigkeit der Menschen stärkstens entwickelt. Aber gleichzeitig hat sich die Politik noch nicht darauf eingestellt, wie man mit dieser Problematik fertig wird. Dabei muss man sich an die Tatsache erinnern, dass, wenn man die Politik in ihren größeren Perspektiven betrachtet, dies die Kenntnis von zwei Wissenschaften, nämlich Geschichte und Geographie, von denjenigen fordert, die die Verantwortung tragen, und sei es nur als Wähler … Viele der großen Irrtümer wären niemals eingetreten, wären die Zuständigen besser informiert gewesen.“
Ja, so schreibt er. Es klingt einfach, mitunter allzu einfach und ein wenig umständlich. Aber es ist etwas dran an dem, was er sagt. So zum Beispiel, was den Nutzen der Historie für das Leben anlangt:
„Politisch Verantwortliche haben nicht das Recht, überrascht zu sein. Es ist ihre Pflicht, tatsächlich sachkundig zu sein, zumindest in den großen Linien der Politik. Heute ist die Kenntnis der Welt von entscheidender Bedeutung.“
Diese Weltkenntnis will Otto von Habsburg durch sein Buch befördern. Mit den Worten seines Urgroßvaters, des Kaisers Franz Joseph, sagt er es einmal wie im Vorbeigehen:
„Ich will die Völker vor ihrer Regierung schützen …“
Das ist nicht gemeint im Ton des Volkstribunen, sondern kommt aus der Erfahrung eines langen Lebens und der inneren Gewissheit, dass Europa seit dem Ende der Sowjetunion eine neue Chance hat, noch lange nicht vollendet ist, aber zugleich die Europäer hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Wer so lange im Europa-Parlament saß und die Pan-Europa-Bewegung leitete, der kennt Europa nicht nur aus der Zeitung.
Otto von Habsburg holt weit aus.
„Sterbender Erdteil“ -
so nennt er den Kontinent, dessen demographische Linien ins Grab weisen. Die Ursachen sieht er im Niedergang der Familie, die Homo-Ehe ist ihm Symptom des Verfalls. Zuwanderung hält er nicht für eine Lösung. Die Familie wird von der Politik alleingelassen – seltsam eigentlich, dass ein gestandener Konservativer so wenig von Werten und so viel von Transferzahlungen spricht.
Die EU ist ihm, auffallenderweise, mehr eine Sicherheitsgemeinschaft als eine Wirtschaftsunion, obwohl sie gerade in der Sicherheit ohne NATO und ohne Amerika verloren wäre:
„Europa ist in erster Linie eine Sicherheitsgemeinschaft. Diese Tatsache fordert dringend die Erweiterung, denn nur durch sie wird ... die äußere Sicherheit Europas gegenüber dem Ausdehnungswillen Russlands besser garantiert.“
Von da ist es für Habsburg nur ein Schritt zur Aufnahme der Ukraine, die für ihn seit der Orange-Revolution von 2005 eine Art Geburtsrecht in Europa besitzt. Russland sieht er einerseits als starke, gefährliche Macht, andererseits aber als so schwach, dass Moskau es hinnehmen müsste, wenn die Ukraine zu NATO und EU gehörte. Das ist indessen, wenn man Geschichte und Geographie ernst nimmt, ein gefährliches Spiel, das nicht dadurch besser wird, dass es auch in Washington angedacht wird, aber es spricht für Realismus in den meisten europäischen Hauptstädten, auch Berlin, dass man sich darauf bisher nicht so recht einlassen will. Sinnvoller ist da schon, was Otto von Habsburg für Türkei und Marokko, die zwei islamischen Hauptbewerber um europäische Zugehörigkeit, vorzuschlagen hat:
„Ein Zusammenschluss des Mashrak und eine Konföderation im Mittelmeer NEBEN dem einigen Europa wären der sicherste Weg zu einem dauernden Frieden.“
Das ist alles in allem kühn gedacht. Aber Habsburg bleibt die Antwort schuldig, wie denn die Europäische Union, deren Verfassungsvertrag erst einmal stecken geblieben ist, mit so viel größeren Aufgaben fertig werden soll.
Habsburgs Blick auf Russland ist düster. Er sieht einen neuen Totalitarismus im Entstehen:
„Es sind die gleichen Instrumente unter gleichen Bedingungen, nur mit anderen Namen, unterstützt durch die oftmals freiwillige Blindheit der freien Welt.“
Der neue Balkan liegt für ihn indessen vorerst im Kaukasus, wo es nicht nur um Tschetschenien geht, sondern auch die georgische Rebellion und die amerikanische Öl-Connection von Baku ans Mittelmeer. Was er dann allerdings vorschlägt, ist ein Rezept für Konfrontation mit Russland und gefährliche Überanstrengung:
„Was sich im 19. Jahrhundert in Europa auf dem Balkan abspielte, wiederholt sich heute im Kaukasus … eine der Gefahrenzonen der Welt. Daher wäre geboten, dass von europäischer Seite alles unternommen wird, um im Kaukasus die imperialistischen Einflüsse einzudämmen und den Völkern ihre Selbstbestimmung zu sichern.“
Da kann sich Europa nur übernehmen. Denn wer sollte die Führung übernehmen, wer die Nerven haben, wer Ziele und Mittel bestimmen? Man kann Russland nicht zugleich als gefährliches Monster und als zahnlosen Bären beschreiben.
Man findet in diesem Buch vieles, was zu Widerspruch einlädt, aber auch immer wieder kluge Einsichten. Dem Text hätte ein kritischer Lektor gut getan, auch fehlen Landkarten und ein Register. Und trotzdem liest man, was der erfahrene Politiker zu sagen hat, mit Gewinn.
Otto von Habsburg: Unsere Welt ist klein geworden – Die Globalisierung der Politik
Amalthea Verlag, Wien 2006, 283 Seiten