Beethovenjahr in Bonn: "Christus am Ölberge" mit Vorszene von Manfred Trojahn

Jesus mit menschlichen Schwächen

Jesus steht auf einem überdimensionalem Buch und sir von Wachen umstellt und mit einer Stange festgehalten.
Jesus (Kai Kluge) wird von den Wachen (Tänzerinnen und Tänzer des Folkwang Tanzstudios) gefangen genommen. © Theater Bonn / Thilo Beu
Moderation: Stefan Lang · 15.02.2020
Das Oratorium "Christus am Ölberge" komponierte Ludwig van Beethoven kurz nachdem er in seinem "Heiligenstädter Testament" seine angstbeladene Situation - er als gehörloser Komponist - formuliert. Diese Gefühlswelt spiegelt sich in der Jesus-Figur wieder.
Als Ludwig van Beethoven im Januar 1803 die Ernennung zum Hauskomponisten des Theaters an der Wien erhielt, beschäftigte er sich mit dem Plan, das Oratorium "Christus am Ölberge" zu komponieren. Die Aufführung fand an einem Dienstag in der Karwoche statt - in dieser Zeit waren keine Opernaufführungen in Wien gestattet. Und doch arbeitet Beethoven mit opernhaften Zügen, sprengt das Korsett der Oratorientradition. So gibt es zum Beispiel keinen klassischen Erzähler. Die Figuren gehen selbständig durch die Handlung.

Zum Heil der Menschheit

Das Libretto stammt von Franz Xaver Huber. Die freie Zusammenstellung der Evangelienfragmente berichtet von der Zusammenkunft Jesus mit den Jüngern im Garten Gethsemane, kurz vor seiner Verhaftung. Jesus bitter seinen Vater um Trost, sieht später dem Kreuzestod "zum Heil der Menschheit" gefasst entgegen. Jesu wird schließlich durch die Soldaten gefangengenommen. Wieder bitter er Gottvater, die Leiden mögen "rasch wie die Wolken, die ein Sturmwind treibt", vorübergehen.
Der dunkel gekleidete Petrus will die Stangen der Soldaten durchbrechen, um Jesus zu befreien.
Petrus (Seokhoon Moon) stellt sich den Soldaten (Tänzerinnen und Tänzer des Folkwang Tanzstudio) entgegen.© Theater Bonn / Thilo Beu
Die Jünger ersuchen um Erbarmen bei Jesus, und Petrus will ihn im letzten Momente retten. Doch das verhindert Jesus. Die Krieger erfassen ihn - ein Chor der Engel beschließt das Werk.

Der Mensch Jesus

Beethoven wie Huber, beiden war es wichtig, die Empfindung der Handelnden plastisch zu gestalten. Christus erscheint uns als fühlender Mensch: voller Angst vor den Qualen, vor dem Tod. Dann aber auch überzeugt vom Auftrag der göttlichen Erlösung. Dieser Zweifel an der aufgegebenen Pflicht des Vaters dominiert - Jesus als Mensch wie wir, verzweifelt, ängstlich, und doch voller Hoffnung, der Resignation folgt.
Genau diese Fassette der Figur verwirrte das damalige Publikum. Da Beethoven das Oratorium nach eigener Aussage in großer Eile innerhalb von nur 14 Tagen zu Papier brachte, überarbeitete er das Werk im Folgejahr 1804 für eine weitere Aufführung gründlich. Verleger feilten auch grob am Text.

Verzweiflung als Antriebsfeder

In der Nachbetrachtung wird oft betont, dass Beethoven das eigene Leiden, den Verlust seines Gehöres, in der Figur des Jesus wiederfand und damit seiner eigenen Verzweiflung Ausdruck gab. Darauf baut die Idee des Theaters Bonn, das Oratorium mit einer Art Vor- und Zwischenszene zu versehen.

Manfred Trojahn hat einen Text von Hugo von Hofmannsthal vertont: "Ein Brief - eine reflexive Szene". Auch darin steht eine verzweifelte und unverunsicherte Figur im Mittelpunkt, die ihre Schaffensgrundlade verloren hat, er entwickelt eine fiktive Situation: der Dichter Philipp Lord Chandos. Er befindet sich mitten in einer Schaffenskrise und sucht Halt bei seinem Lehrer und Mentor Francis Bacon.
Der Dichter liegt auf einem riesigen aufgeklappten Buch.
Der Dichter Chandos (Holger Falk) formuliert denVerlust seiner kreativen Schaffenskraft.© Theater Bonn / Thilo Beu
Er schreibt ihm einen bewegenden Brief. Der Dirigent Dirk Kaftan und der Komponist Manfred Trojahn sehen darin die Nähe zum briefähnlichen Schreiben des Beethovenschen "Heiligenstädter Testament", in dem er den Verlust seines Gehöres verarbeitet. Eine Lesung daraus wir in das Oratorium in Bonn eingebunden.
Eine Frau steht mit ausgestreckten Armen vor einem überdimensionalem, aufgeklappten Buch.
Die Vorahnung der Kreuzigung in der Inszenierung im Theater Bonn mit Ilse Eerens (Seraph).© Theater Bonn / Thilo Beu
Ein großes Buch dominiert die Bonner Aufführung. Es ist in der Inszenierung von Reinhild Hoffmann das verbindende Element: es symbolisiert den Hoffmansthal-Brief, das Heiligenstädter Testament Beethovens wie das Alte und Neue Testament.
In der Sendung werden Dirigent Dirk Kaftan und Komponist Manfred Trojahn zu Gast sein.
Gespräch zum Konzept des Abends:
Gespräch zu den Werken des Abends:
Aufzeichnung vom 8. Februar 2020 im Theater Bonn
Manfred Trojahn
"Ein Brief – eine reflexive Szene"
(Text von Hugo von Hofmannsthal)
Auszug aus dem Werk:
Ludwig van Beethoven
"Christus am Ölberge", Oratorium op. 85
Komplettes Audio:

Chandos – Holger Falk, Bariton
Jesus – Kai Kluge, Tenor
Seraph – Ilse Eerens, Sopran
Petrus – Seokhoon Moon, Bass

Chor und Extrachor des Theaters Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Leitung: Dirk Kaftan

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