Beethoven im Birkenwald

Von Hildburg Heider · 03.08.2005
Seit 1967 finden jährlich in der romantischen Burgkulisse in der finnischen Kleinstadt Savonlinna Opernfestspiele statt. Bis zu 80.000 Opernliebhaber erfreuen sich an dem besonderen Erlebnis klassischer Musik unter der Mitternachtssonne. Zeitgleich fand fünf Autostunden nördlich von Savonlinna das Kammermusikfestival in Kuhmo statt.
Im Operncafè am See versammeln sich Frühaufsteher zum Morgenritual, der Eröffnung des neuen Festspieltags, um sich bei Aidatrompeten und Künstlergespräch auf das Opernvergnügen einzustimmen. Ein wenig pathetisch, aber mit Augenzwinkern. Denn Profilsucht, Nepp und Snobismus sind hier fehl am Platz. Der kluge Festspielbesucher lässt daher Frack und Glitzerrobe daheim und rüstet sich mit Proviant und festem Schuhwerk für den langen Opernabend.

Aus allen Gassen strömen nun die Besucher zum Strand, stauen sich am Holzsteg, der die Wasserburg Olavinlinna mit dem Festland verbindet, und müssen gewundene Gänge und steile Treppen überwinden, um sich schließlich im Burghof dem Zauber der Oper hinzugeben.

Im Repertoire der Savonlinna-Festspiele dominieren die Publikumsrenner aus dem 19. Jahrhundert, denn das Festival wird nur zu jeweils 14% von der öffentlichen Hand und privaten Sponsoren unterstützt, und es muss über vier Wochen lang die 2200 Plätze allabendlich füllen.

Zur Überraschung von Festpieldirektor Jan Hultin war die Kinderoper Hunde-Kalevala bereits seit Monaten ausverkauft. Schwerer hatten es da die Vorstellungen der Offenbach-Oper Hoffmanns Erzählungen und die Neuproduktion von Aulis Sallinens Musikdrama Der Reitersmann, das zur 500-Jahrfeier der Burg im Jahr 1975 den finnischen Opernboom auslöste. Im Gegensatz zur naturalistischen Inszenierung von damals betont der junge Regisseur Vilppu Kiljunen den universellen Charakter des Dramas.

Kiljunen: "It is not only a kind of love story in the big war field. It is more a kind of universal thing for me about capacity or non-capacity of a human being to live through the dream they have. I am like a musician... My instrument is the stage and the people on the stage. ...I let the music go through myself by reading the partitura and listening the music."

Neben der Love Story auf dem Schlachtfeld interessiert Kiljunen die Fähigkeit der Personen, ihre Träume auszuleben. Er selbst fühlt sich als Musiker – Bühne und Darsteller seien seine Instrumente- und er lässt sich von der Musik durchdringen. Mit seiner ersten Oper Der Reitersmann gelang Aulis Sallinen gleich ein großer Wurf.

Sallinen: "Hier nach 30 Jahren nach der Uraufführung. Ich kann jetzt ganz ruhig konstatieren: Man hat die Möglichkeiten äußerst gut genutzt. Musikalisch ist es sehr gut realisiert hier. Das ist eine riesige Entwicklung. Wie hier in Savonlinna der Chor, das Orchester, dass hier nach 30 Jahren wie viel besser man spielt überall. Wie im Sport. Man läuft immer ein bisschen schneller."

Die diesjährige Aida – eine 20 Jahre alte, von Regisseur Juha Hemanus aufgemöbelte Produktion – bot eine Sternstunde der Oper: entfesselt durch das energische Dirigat von Alberto Hold-Garrido agierten Tänzer und Sänger, Chor und Orchester traumwandlerisch sicher auf der Riesenbühne. Diese Zuschauer aus Langenfeld und Spandau waren begeistert:

"Wir haben es durch einen Geheimtipp erfahren in der Türkei, und die haben uns hiervon vorgeschwärmt. Absolut Spitze. Erstmal die Ausstattung, dann die Musik, der Chor, es war wunderschön. ...Und wir waren bestimmt schon in vielen Opern-Air-Konzerten – das ist ein Höhepunkt!"

Wo sich Bären und Wölfe gute Nacht sagen, Moosbeeren und Birken sprießen, liegt Europas Kammermusikzentrum Nr. 1. Nach Kuhmo pilgern seit Jahrzehnten Musikfreunde aus aller Welt und lauschen, werden selbst ganz still und gehen mit glänzenden Augen im Schein der Mitternachtssonne aus dem Konzert. Der Cellist Seppo Kimanen fungiert nunmehr zum letzten Mal als künstlerischer Leiter des Kuhmo-Festivals.

Kimanen: "Wir haben das Festival am Anfang nur für die lokale Bevölkerung gemacht. Und dann hatten wir viel Freiheit: keine Kritiker, keine snobistische Publikum von Großstädte. Wir hatten volle Freiheit, allerlei Experimente zu machen und spielen, wie wir wollten. Dann ging es ganz schnell: nach 7., 8. Jahr kamen Leute von Helsinki, Südfinnland. Und nach 20 Jahren waren wir schon ganz berühmt weltweit."

Und seit 1993 schmückt sich Kuhmo mit einer wunderschönen Konzerthalle. Die schneeweiße, klar gegliederte Fassade hat Architekt Matti Heikkinen in spannungsvollem Kontrast zum Innenraum gesetzt: das Foyer mündet in eine Fensterfront mit Blick auf den waldgesäumten See, und der Zuschauerraum ist rundherum aus schimmernden Holz: vertikale Wellen schwingen sich durch den ganzen Saal, horizontal gesäumt wie ein endlos sich wiederholender Geigenkorpus.

Es flitzen die Bogen, die Klänge stürzen vom Podium, und dann verschmelzen zwei Jahrhunderte Musikgeschichte. Luigi Boccherini, den das Kuhmo-Festival zu seinem 200. Todestag mit 42 Werken ehrt, erscheint in seiner Madrider Nachtmusik plötzlich wie ein Zeitgenosse Matthew Hindsons.

Richter: "Man muss tatsächlich ein Teamworker sein. Man muss natürlich auch offen sein für andere Ideen. Das finde ich hier besonders stark. Weil wir uns um nichts anderes kümmern müssen. Die Musik ist die wichtigste Sache und das Zusammenspielen. Das ist der Geist von Kuhmo."

Mendelssohn: "Gewisse Leute kommen auf hohen Pferden, und Leute kommen ganz, ganz leise, ohne die Nase hoch zu haben, und das schmelzt alles in einem Ensemble, und die Leute kommen von die hohen Pferde nach unten, die Leute, die glauben, ich bin klein und ich bedeute nichts, atmen besser, und alle fühlen sich phantastisch."

Savonlinna Opernfestival
Kammermusikfestival Kuhmo