Bedrückende Bilder eines Frontsoldaten

Von Claudia Russo |
Unter dem Titel "Triebkräfte der Erde" schuf der Künstler Fritz Winter bei einem Fronturlaub 1944 eine Serie mit 55 Arbeiten. Das, was er da zu Papier brachte, waren seltsame Stilisierungen der Natur, düstere Bilder von Vegetationen im Halbdunkel unterirdischer Räume. In der Münchener Pinakothek der Moderne entdeckt man Fritz Winter nun wieder neu - und stellt ihm andere Künstler wie Paul Klee, Franz Marc und Joseph Beuys an die Seite.
Am Anfang ist das Licht. Mächtige Sonnenstrahlen dringen durch düstere, enge Höhlen ein und fallen auf kleine, runde Pflanzensamen. Es ist das alltägliche Wunder der Natur: Feine Körner schlagen Wurzeln, neues Leben entsteht. Als der aus Westfalen stammende Bergmannssohn Fritz Winter im Jahre 1944 seine "Triebkräfte der Erde" zeichnete, kam er gerade schwer verwundet von der Front zurück – und sein Versuch, sich die Mechanismen der Natur zu erklären, wurde zu einer düster-bedrückenden Studie. Den dunklen Bilderhintergrund malte er mit einer Abklatschtechnik; darüber legte er Schicht für Schicht seine einzelnen Formen aus, die den Eindruck von Licht und Wärme vermitteln sollen. Dunkelheit und Licht - für Ausstellungskuratorin Cathrin Klingsöhr-Leroy eine wichtige Symbiose nicht nur in der Naturdarstellung von Fritz Winter, sondern auch in den Werken von Paul Klee und Franz Marc.

Cathrin Klingsöhr-Leroy: "Der Ort der Fruchtbarkeit ist das Dunkel, ist der Ort unter der Erde, ist die Nacht. Hier beginnt das Wachstum. Paul Klee hat sehr viel über seine Kunst und die Farben reflektiert und er hat diese Wachstumsideen in seine Farbtheorien übertragen. Er sagt: das Chaos ist die Dunkelheit und durch den Einfall des Lichtes beginnt die Ordnung. Von hier aus beginnt der Punkt zu wandern, der die Linie formt, der ordnet, der das Bild herstellt."

Bilder von Paul Klee wie das "Wachstum der Nachtpflanzen" aus dem Jahre 1922 oder der "Vogelgarten" von 1924 nehmen die Macht der Schöpfung bereits als Triebkraft aus dem Untergrund vorweg: Aus einem düsteren Hintergrund schießen geometrisch stilisierte Blüten hoch oder tauchen bunte Vögel auf. Klee nimmt die Natur in all ihren Formen auseinander, studiert und abstrahiert sie. Eine neue Form der Naturwahrnehmung, die Klee an seinen Bauhaus-Schüler Winter weitergibt.

Cathrin Klingsöhr-Leroy: "Klee hat das Kunstwerk als einen Organismus verstanden, der sich strukturiert, aufbaut und funktioniert wie natürliche Organismen. Und Fritz Winter hat diese gleiche Naturanschauung übernommen. Eine Naturanschauung, die davon ausgeht, dass die Erscheinungsformen der Natur nicht wichtig sind, sondern viel mehr die Struktur, das Wesen der Dinge, das dahinter steckt. Eine romantische Idee im Grunde."

Die Münchener Ausstellung "Triebkräfte der Erde" ist sperrig wie die Bilder, die sie zeigt. Sie erschließt sich dem Zuschauer erst nach und nach. Zum Beispiel über die Werke von Joseph Beuys, der den Wandel der Natur in zwei unbetitelten Zeichnungen darstellte. Bei ihm bekommen Pflanzen am Ende sogar menschliche Züge. Die Metamorphose der Natur wird zum Symbol für die Wiedergeburt einer zerstörten Gesellschaft nach der Katastrophe des Krieges. Cathrin Klingsöhr-Leroy:

Cathrin Klingsöhr-Leroy: "Ich glaube bei allen hier ausgestellten Künstlern ist diese Vorstellung präsent, dass in der Natur eine Hoffnung abzulesen ist, dass es nach der Apokalypse des Krieges einen Neuanfang gibt. Und zwar in dem Sinne, dass die Natur uns zeigt, wie sie sich immer wieder erneuert. Zyklisch. Egal was passiert, welche menschliche Katastrophe hereinbricht, die Natur wird immer wieder aufblühen."

Werner Haftmann, der Theoretiker der abstrakten Malerei in Deutschland, brachte es 1957 auf den Punkt. Er bezeichnete Fritz Winters Werke sogar als "ein wichtiges Dokument der deutschen zeitgenössischen Geschichte".

Die Ausstellung ist vom 27.10.05 bis 15.01.06 zu sehen.