Bedrohungen und Risiken in modernen Gesellschaften

Rezensiert von Jörg Plath · 23.11.2005
Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis - allerdings ist sie, absolut verstanden, eine Illusion. Das Buch über "das Prinzip Sicherheit" von Wolfgang Sofsky erzählt von den Bedrohungen und Risiken in modernen Gesellschaften und davon, welche Strategien dagegen eingesetzt werden.
Sicherheit beruhigt. Dass sie auch beunruhigen kann, zeigt Wolfgang Sofsky in seinem Buch "Das Prinzip Sicherheit". Der in Göttingen lehrende Soziologe warnt, dass totale Sicherheit die Freiheit beseitige. Die These ist nicht sehr originell - mit dem Staat entstanden in der Neuzeit die Menschenrechte, und seitdem liegen Sicherheit und Freiheit im Widerstreit miteinander.

Neu sind allerdings, so glauben viele, die Gefahren seit den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center. Im Kampf gegen den Terror haben viele Staaten der westlichen Welt ihre Befugnisse ausweiten können, weil die Bürger sich bedroht fühlen. In welche Sackgasse diese vermeintlich notwendigen Maßnahmen führen, malt Sofsky am Ende seines Buches in einem Szenario der nahen Zukunft aus: Nach einem terroristischen Anschlag mit Bakterien, Giftgas oder Nuklearstoffen riegelt der Staat die Todeszone ab und führt umfangreiche Kontrollen ein. Das soziale Leben wird erstickt, es entsteht eine "Diktatur der Angst", in der statt der Sicherheit die Unsicherheit zunimmt: "Die Zerstörung der Freiheit schafft neuen Schrecken."

Wolfgang Sofsky sieht in dem Wunsch nach Sicherheit ein Gattungsproblem: Weil der Mensch die Zukunft nicht vorhersehen könne, strebe er voller Todesangst nicht nach Freiheit, sondern nach Sicherheit. Er kalkuliere Risiken, wehre Gefahren ab, tausche bei Versicherungen Geld gegen Sicherheit und wappne sich im Kontakt mit anderen durch Rollen, Normen und Rituale. Gegen die Unsicherheiten auf den Märkten schaffe er Verfahren und Organisationen wie Gewerkschaften oder Börsenaufsichten, in der Politik monopolisiere der Staat die Gewalt.

"Das Prinzip Sicherheit" präsentiert in kurzen, apodiktischen Sätzen und mit einer kühlen, funktionalistischen Logik eine Vielzahl treffender Beobachtungen. Doch wo Sofsky auch hinblickt in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, die Angst und die Gewalt sind schon da. Gegen sie trifft der Mensch, das ist die Überzeugung des Soziologen, immer ausgefeiltere, jedoch stets nutzlose Vorkehrungen. Sofsky macht Angst und Gewalt also für das verantwortlich, was gemeinhin Fortschritt genannt wird: Er liefert eine schwarze Zivilisationsgeschichte.

In nuce lässt sich sein Vorgehen am Begriff des Staates studieren. Anfangs scheint Sofsky noch die Dialektik von Sicherheit und Freiheit entfalten zu wollen, wenn er in Übereinstimmung mit Thomas Hobbes das staatliche Gewaltmonopol als Ende des Kampfes aller gegen alle und als Voraussetzung von Wirtschaft und Gesellschaft beschreibt. Doch schon bald heißt es: "Nicht nur mit Geld zahlen die Menschen für die Fiktion der Sicherheit (!), sondern auch mit dem wertvollsten, worüber sie verfügen, mit ihrer Freiheit. Der größte Profiteur ihrer Angst ist der Staat."

Ihn nennt Sofsky dann nur noch "Sicherheitsstaat", und in ihm kann von Dialektik keine Rede mehr sein. Der "Sicherheitsstaat" bietet weder Sicherheit noch Freiheit – auch nicht gegenüber den Akteuren des Terrors, die im letzten Drittel des Essays höchst detailliert und mit beklemmender Kühle geschildert werden: Heckenschützen, Geiselnehmer, Selbstmordattentäter, Marodeure, Warlords.

Auf der einen Seite der Sicherheitsstaat, auf der anderen Terroristen: keine Freiheit, nirgends. Wo aber wäre sie zu finden? Einige Male erwähnt Sofsky den "Bürgerstaat", freilich ohne ihn zu beschreiben. Es dürfte ihm auch schwer fallen, hat er doch die menschliche Sehnsucht nach Sicherheit, nicht nach Freiheit zur anthropologischen Konstante erklärt. "Das Prinzip Sicherheit" erliegt voller Faszination der Angst und der Gewalt.


Wolfgang Sofsky: Das Prinzip Sicherheit.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005,
172 S., 16,90 Euro.