"Bedeutende Sammelstätte für die deutsche Literatur"

Moderation: Eckhart Roelcke |
Das Literaturmuseum der Moderne in Marbach ist seit Montag zur Besichtigung freigegeben. Ab Juni ist in dem Gebäude eine Dauerausstellung zur Literatur der Moderne in Deutschland zu sehen. Ulrich Raulff vom Literaturarchiv Marbach sagte, das Museum präsentiere den Anspruch des Archivs, DIE bedeutende Sammelstätte deutschsprachiger Literatur zu sein.
Lesen Sie hier Auszüge aus dem Gespräch mit Professor Ulrich Raulff, dem Leiter des Deutschen Literaturarchivs in Marbach:

Roelcke: Heute wird das Gebäude eröffnet, man kann also die Architektur von David Chipperfield gewissermaßen "pur" betrachten, begutachten. Wir wollen nun über den Inhalt sprechen, der ab dem 6.6., ab dem 6. Juni im Literaturmuseum der Moderne zu sehen ist. Ich begrüße jetzt Prof. Ulrich Raulff, den Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Guten Tag, Herr Raulff.

Raulff: Guten Tag, Herr Roelke.

Roelcke: Das Gebäude wird heute eröffnet, das Museum mit Inhalt am 6. Juni. Die Architektur des Gebäudes wird schon jetzt hoch gelobt - Kann es sein, dass das Gebäude der Ausstellung die Show stiehlt?

Raulff: Dass das Gebäude gelobt wird, freut uns und scheint mir auch ganz berechtigt. Ob's die Schau stehlen kann, das sehen wir im Juni, wenn wir es mit Inhalt eröffnen. Heute freuen wir uns nur über ein schönes Haus.

Roelcke: Lenkt so eine frühzeitige, vorzeitige Eröffnung vom Inhalt ein bisschen ab?

Raulff: Nein, ich glaube nicht, jetzt kann man sich erstmal auf den Inhalt konzentrieren und speziell Leute, die sich für Architektur interessieren, haben jetzt die Gelegenheit, den Bau pur, also als reine Bauplastik, als Skulptur, als Kunstwerk zu erleben, und natürlich dann auch die Möglichkeit, in einem halben Jahr zu sagen: Ach, hättet ihr's doch leer gelassen, das war so schön. Das ist ja beim Jüdischen Museum in Berlin von Daniel Libeskind ähnlich so gelaufen, daher kennt man das ja auch, dass man Museen erstmal leer zeigt und dann später erst als bespieltes Museum mit Inhalt.

Roelcke: Marbach: diesen Städtenamen verbindet man in erster Linie mit dem Namen Friedrich Schiller, auch mit Eduard Mörike, mit der Schwäbischen Dichterschule. Jetzt also ein Literaturmuseum der Moderne. Wie ist diese Moderne zeitlich einzuordnen?

Raulff: Ja, das ist richtig, was Sie sagen, die Wurzeln Marbachs liegen in der sehr reichen, sehr dichten schwäbischen literarischen Kultur. Aber darüber ist Marbach im Lauf des 20. Jahrhunderts hinausgewachsen. Spätestens nach dem II. Weltkrieg hat man den Rahmen erweitert, hat man für das gesamte deutsche Sprachgebiet gesammelt und eben auch sehr viele Nachlässe aus der Emigration zurückgeholt. Insofern vertreten wir heute den Anspruch, die bedeutende Sammelstätte für die deutsche Literatur zu sein. Und das wollen wir auch im neuen Museum zur Geltung bringen. Es wird ein Museum für die Literatur der Moderne sein, d.h. 20. jahrhundert und jetzt auch schon 21. Jahrhundert, ein Museum, das praktisch bis heute bzw. bis gestern geht.

(…)

Roelcke: Was wird man denn ab Juni in dem Museum zu sehen bekommen? Sind das viele Handschriften, viel Papier?

Raulff: Es wird in der Tat viel Papier zu sehen sein. Wir schämen uns des Papiers nicht und wir fürchten nicht die Flachware. Literatur hat nun mal in erster Linie diesen Träger, es gibt jetzt natürlich auch schon Literatur in elektronischer Form und in anderer Form und es gibt verfilmte Literatur, aber für uns ist natürlich die auf Papier gedruckte und geschriebene Literatur vorrangig. Und wir werden in dem großen Raum für die Dauerausstellung "Literatur der Moderne", werden wir gar nicht mit Medien arbeiten, sondern wir werden das, was das Archiv des 20. Jahrhunderts beinhaltet, zeigen und das ist in erster Linie Papier, das sind Tagebücher, das sind Briefe, das ist gedruckte und ungedruckte Literatur. Medien kommen praktisch nur in Form eines elektronischen Führers zum Einsatz, ansonsten ist es eine sehr stille, konzentrierte und im Übrigen auch sehr schöne, sehr ästhetische Veranstaltung.

Roelcke: Welche Autoren werden im Mittelpunkt stehen?

Raulff: Es werden viele Autoren im Mittelpunkt stehen, kleine Autoren, große Autoren und dazwischen natürlich die großen Schätze, die man sehen will, die die Literatur- und Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts verändert haben, wie Kafkas Manuskript des "Prozess", oder das Manuskript von Heideggers "Sein und Zeit".

Roelcke: Ausstellungen werden heutzutage oft "inszeniert". Gibt es so etwas auch in Marbach?

Raulff: Nein, wir bleiben dem Marbacher Stil treu, der auf ein geringes Maß an Inszenierung vertraut und umso mehr auf die Aura des Originals baut.

Roelcke: Drei Literatur-Zentren gibt es in Deutschland: Wolfenbüttel mit der Aufklärung, mit Lessing, Weimar Goethe und Schiller aber auch Nietzsche und Marbach - die Moderne. Sehen Sie Marbach in dieser Genealogie, in dieser Reihe?

Raulff: Ja, das ist vollkommen richtig beschrieben und wir drei wollen unsere Zusammengehörigkeit und unsere Verbindung künftig noch stärker zum Ausdruck bringen, etwa durch die Gründung einer von uns gemeinsam herausgegebenen Zeitschrift für Ideengeschichte.

Sie können das Gespräch mit Ulrich Raulff, dem Leiter des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, bis zu sechs Wochen nach der Sendung in unserem Audio-on-Demand-Player anhören.
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