Bedenken- und gewissenlos

Von Marcus Pindur, Studio Washington · 24.06.2013
Es ist eine bizarre Flucht, und die Geschichte erscheint auf den ersten Blick so spannend wie einfach. Hier der einsame Whistleblower, der seinem Gewissen folgt und Freundin und Familie verlässt, um sein Martyrium öffentlich zu machen. Dort die herausgeforderte, rachsüchtige Großmacht USA, die all ihre Macht zum Einsatz bringt, der Goliath, der alles daran setzt, den kleinen David in seine Fänge zu bekommen.
Aber so einfach ist es eben nicht. Denn Edward Snowden ist kein Whistleblower. Er hat keine einzige illegale Praxis der amerikanischen Regierung enthüllt, keinen illegalen Übergriff der Sicherheitsbehörden belegt. All das, was wir von ihm erfahren haben, passiert innerhalb des amerikanischen Rechtsstaates und amerikanischen Rechts.

Die Datensammlungswut des amerikanischen Nationalen Sicherheitsstaates ist in der Tat fragwürdig, in ihrem Ausmaß, ihrer Geheimhaltung, ihrer juristischen Kontrolle. Verschiedene Gesetzesentwürfe, die das ändern sollen, werden bereits in beiden Häusern des Kongresses debattiert. Die Europäer sollten ihre Regierungen fragen, wie weit diese Bescheid wussten. Oder hätten Bescheid wissen können, wenn sie nur gewollt hätten.

Edward Snowden war Geheimnisträger und durch einen Eid gebunden. Er hätte sich ohne weiteres mit seinen Bedenken an den Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses wenden können. Dort melden sich jede Woche zwei bis drei Regierungsmitarbeiter, die eine politische Praxis oder das Handeln ihrer Vorgesetzten anprangern. Diese Zeugen sind durch sogenannte Whistleblower-Gesetze geschützt. Sie dürfen nicht aufgrund ihrer Aussage diskriminiert werden oder Karrierenachteile erleiden. Dies wäre nur einer von mehreren rechtsstaatlichen Wegen gewesen, die Edward Snowden offen standen.

Doch der 29-Jährige hat sich nicht für den Weg durch den Rechtsstaat entschieden. Ganz im Gegenteil, er hat sich gegen ihn versündigt. Snowden hatte eine politische Agenda, und die hat er versucht, so theatralisch und öffentlichkeitswirksam wie möglich zu befördern.

Dass es allerdings mit dem politischen Urteilsvermögen des jungen Mannes nicht weit her ist, wurde schon klar, als er erklärte, er sei nach Hongkong gekommen, weil die Stadt eine starke Tradition der freien Rede habe. Nichts könnte falscher sein. Dass er für seine Flucht die Hilfe Chinas, Russlands, Kubas und Ecuadors in Anspruch nimmt, alles Länder, die die Meinungs- und Pressefreiheit mit Füßen treten, unterstreicht bestenfalls seine politische Naivität, schlimmstenfalls seinen Zynismus. Und den Zynismus derer, die sich seiner bedienen.

Edward Snowden wird nicht von den amerikanischen Sicherheitsbehörden verfolgt, weil er sich gegen die USA gestellt hat. Sondern weil er sich bedenken- und gewissenlos über den Rechtsstaat hinweggesetzt hat. Mal sehen, wie glücklich er im ecuadorianischen Exil wird.