"Becks Brüderle"
Vor zehn Jahren kam er an die Macht, seitdem hält er sie fest - Kurt Beck. Außerhalb der Landesgrenzen zunächst ein unbekanntes Gesicht. Aber schnell prägten sich sein Bart, sein Bürstenschnitt und die Politik seiner sozialliberalen Koalition im öffentlichen Bewusstsein ein. So einzigartig wie die SPD-Koalition mit den Liberalen ist, so markant ist auch sein Politikstil.
Der Volkstribun
Liebe Genossen, liebe Genossinnen, unser Ministerpräsident Kurt Beck - aus Vilshofen ist er gerade eingeflogen sozusagen, unser Mann für die Bayern, um dort auch ein bisschen Kultur hinzubringen - herzlich willkommen lieber Kurt - Beifall
Politischer Aschermittwoch. Für Beck ein Doppelschlag. Am Vormittag bringt er den Wolferstetter Keller in Vilshofen zum Kochen, die Sozialdemokraten in der bayrischen Diaspora kriegen sich vor Begeisterung kaum ein. Am Nachmittag ein umjubeltes Heimspiel im Mainzer Kurfürstlichen Schloss. Dass CSU-Chef Stoiber mal so richtig einen auf den Deckel bekommt, dafür, dass er die Sozis für die NPD-Erfolge verantwortlich macht, ist Herzenswunsch der Basis. Kurt Beck erfüllt ihn an beiden Orten, auch wenn ihn das den letzten Rest der ohnehin angeschlagenen Stimme kostet:
Wir brauchen in dieser Bundesrepublik Deutschland sicherlich die politische Auseinandersetzung, das gehört zur Demokratie dazu. Aber wir brauchen auch das Grundverständnis, dass es, wenn es um Antidemokraten geht, um NPD und DVU oder andere dieser Art, die Demokraten und Demokratinnen zusammen stehen und nicht die Lehren aus Weimar vergessen, dass wir uns auseinanderdividieren, kaputt machen, und die machen dann den Staat kaputt, liebe Freundinnen und liebe Freunde. (Beifall) Es reicht, Herr Stoiber. Es ist höchste Zeit, dass Sie sich entschuldigen, damit die Demokraten wieder zusammenstehen können, wo sie zusammenstehen müssen. (Beifall)
Der Saal tobt, am Ende gibt es stehende Ovationen. Beck hat der gekränkten Genossen-Seele die Genugtuung verschafft, die sie braucht. Ein paar Tage später wird sich Sabine Christiansen in ihrer Talkshow zum Erstarken der Neonazis die Zähne daran ausbeißen, Beck noch einen schönen polemischen Satz zu Stoiber zu entlocken. Ein grober Keil auf einen groben Klotz - das war Aschermittwoch. Nach dem Ende der fünften Jahreszeit arbeitet der Mainzer Ministerpräsident lieber wieder am "demokratischen Konsens", statt hart gegenzuhalten.
Der Bürgerkönig
Grüß Sie, Hallo, herzlich willkommen.
Szenenwechsel - von der Landeshauptstadt Mainz ins südpfälzische Dörfchen Steinfeld. Hier, an seinem Wohnort, hält der Ministerpräsident an jedem zweiten Sonntag die so genannte "Bürgersprechstunde" ab. In Steinfeld wuchs der Maurersohn Kurt Beck auf, hier ging er zwischen 1955 und 63 in die Volksschule, von 1989 an war er Orts-Bürgermeister. Zeit der Wende und der großen politischen Umwälzungen in Ostdeutschland. Eine Wende der etwas anderen Art vollzog sich auch im tiefen Westen nahe dem Elsass, in dem Örtchen zwischen Weinreben und Wald, das bis dahin fest in CDU-Hand war. Plötzlich wollten dort alle Becks Brüderle sein.
Ja er hat’s geschafft, das schwarze Dorf zu wenden. Er ist der erste sozialdemokratische Bürgermeister hier in Steinfeld, und selbst die Schwarzen haben ihm ihre Stimme gegeben. Seither haben wir schon in der dritten Legislaturperiode eine sozialdemokratische Bürgermeisterin ...
... sagt Christine Kornmann, Becks resolute Mitarbeiterin im Wahlkreisbüro und Steinfelder SPD-Chefin. Sie organisiert die Bürgersprechstunde des Ministerpräsidenten, führt Anmeldelisten, empfängt die Ratsuchenden im holzgetäfelten Dachgeschossbüro einer Steinfelder Wohnsiedlung und dirigiert sie, wenn sie gleich in Mannschaftsstärke auftauchen, zum Warten wieder in den gefliesten Flur hinaus.
So, sie sehen: enge räumliche Verhältnisse, es war vielleicht doch besser so, sonst hätten wir uns hier totgetreten gegenseitig ...
Vier Einzelpersonen und drei Delegationen empfängt Beck an diesem Sonntagvormittag. Und das, obwohl seine Frau Geburtstag feiert und er am frühen Abend schon wieder von Mannheim nach Berlin fliegt - zuerst zu Sabine Christiansen, am Montag früh dann zum SPD-Präsidium.
Herr Bürgermeister, meine Herren Fraktionsvorsitzenden, herzlich willkommen, ich freue mich, dass wir uns begegnen und über ein paar Dinge mit einander reden können. - Ich freue mich auch, und vielen Dank, dass sie uns empfangen.
Pünktlich um halb zehn. Kurt Beck begrüßt den CDU-Bürgermeister der nahen Kurstadt Bad Bergzabern an der Südlichen Weinstraße, samt den Fraktionschefs von SPD und Freier Wählergemeinschaft. Es geht um den Umbau der Therme in dem finanziell angeschlagenen Heilbad und um einen Umgehungstunnel. Wie man die kostspieligen Eckpfeiler des Kurbetriebs in Zeiten knapper Kassen sichern kann?, dazu möchten die drei Kommunalpolitiker Tipps. Dass der Ministerpräsident sich solcher Detailfragen annimmt - ist das tatsächlich volksnah und bodenständig? Oder dient es der Selbst-Inszenierung als Bürgerkönig?
Dieses Attribut Bodenständigkeit, gegen das ich gar nichts habe, das ich aber auch nicht wie eine Monstranz vor mir hertragen möchte, dafür muss man mehr tun, als etwas inszenieren. Ich habe von meinem ersten Tag an als Abgeordneter - und jetzt auch über die mehr als zehn Jahre als Ministerpräsident - diese sonntäglichen Sprechstunden immer durchgehalten. Und wenn man an einem Vormittag zehn, zwölf unterschiedliche Problem behandelt, dann heißt es am Sonntagnachmittag aufarbeiten, die Aufträge diktieren, dann fasse ich wieder nach. Also viele Dinge sind nicht von jetzt auf nachher zu klären. Das ist schon harte Arbeit ...
... abseits von Fernsehkameras und Mikrofonen. Medien sind zu den Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten in der Dachkammer allenfalls bei der Begrüßungsszene zugelassen, alles andere findet hinter verschlossenen Türen statt. Der kleine Steinfelder Polit-Betrieb ist keine Schaufenster-Veranstaltung, obwohl er für einen SPD-Wahlkampf hervorragende Bilder liefern würde. Zufriedene Gesichter beim CDU-Bürgermeister genauso wie beim Pressesprecher eines türkischen Fußballvereins in Germersheim, der viel für die Integration von Migranten tut, dessen Existenz aber wegen der maroden Sportstätte bedroht ist:
Ich war überrascht, wie konkret der Herr Ministerpräsident auf die Sache reagiert hat, und wir nehmen eigentlich viel Gutes mit. Also, er hat uns zwei Lösungswege aufgezeigt, er hat gesagt, er will da was organisieren. Es wird ein Gespräch geben - alle Beteiligten an einen Tisch. Und dass man da versucht, Nägel mit Köpfen zu machen, und ich denke, da sind wir ein schönes Stück weiter. Wir haben wertvolle Tipps bekommen. Es war ein sehr konstruktives Gespräch, und wir gehen mit zufriedenen Gesichtern nach Hause, und das zeichnet ihn aus ...
… sagt zuletzt der CDU-Politiker, der schon mal in anderer Funktion bei Beck vorsprach:
Ich war vor Jahren schon mal da in meiner Eigenschaft als Schulelternsprecher von der Grundschule. Da ging es um Ganztagsbetreuung. Und das Projekt ist dann praktisch innerhalb eines Dreivierteljahres verwirklicht worden…
Christdemokratische Lobeshymnen auf einen SPD-Politiker in einem konservativ geprägten Bundesland - wie ist das möglich?
SWR-Chefreporter Thomas Leif hat soeben mit Kurt Beck an der Mainzer Uni eine Diskussion bestritten, in der es auch um die Inszenierung von Politik ging. Sein Erklärungsversuch:
Ich weiß von CDU Landräten, dass sie Angst haben vor seinen Begegnungen, weil er, ganz egal, ob CDU-Mehrheit oder nicht, es immer ganz schnell schafft, die Leute sehr schnell auf seine Seite zu bringen, ihre Sprache spricht und sich dabei nicht verrenken muss.
Der CDU-Bürgermeister von Bad Bergzabern nimmt es locker, dass er sich dem Verdacht aussetzt, Wahlkampf für die falsche Partei zu machen:
Für mich ist es absolut kein Problem. Kurt Beck verkörpert zwar die SPD, aber ich sag’s auch ganz offen, er ist für uns als Ministerpräsident ein Segen. Und die Parteibrille, die ist erst mal weg - zumindest vermittelt er das Gefühl. Denken wird so mancher CDUler in der Südpfalz: hoffentlich wird er’s wieder.
... stimmen die Begleiter von SPD und Freier Wählergemeinschaft in das Lob ein. Drei Männer, drei politische Richtungen - zum Ministerpräsidenten eine Meinung. Als Landesvater und Pragmatiker setzt Kurt Beck die politische Farbenlehre außer Kraft. Aber die Sozialdemokraten im Land profitieren natürlich von seinen hohen Sympathiewerten. Nach zweieinhalb Jahren haben sie laut der neuesten Umfrage im Auftrag der Ludwigshafener "Rheinpfalz" mit 41 Prozent erstmals wieder die Nase vorn.
Der Kontrahent
Bescheidene drei Prozentpunkte beträgt der Vorsprung der SPD vor der CDU, aber Kurt Beck ist bei Unions-Anhängern immerhin doppelt so beliebt wie deren Frontmann Christoph Böhr, der als hölzern und distanziert gilt. Schulterklopfend über Weinfeste zu ziehen, liegt dem promovierten Philosophen aus Trier nicht. Ende letzten Jahres wurde Böhr dennoch zum CDU-Spitzenkandidaten gekürt - nach quälendem parteiinternen Streit in Hinterzimmern und öffentlichen Regionalkonferenzen, auf denen viele Frustrierte das Unheil schon ahnten:
Von der Trendwende zugunsten der SPD reden nicht nur realitätsferne Genossen, sondern sie ist schon da. Und da meinen wir, wir könnten es uns jetzt leisten in der Situation erst mal den eigenen Vorsitzenden in aller Öffentlichkeit zu demontieren. Und da kann ich nur sagen: Gott schütze Rheinland-Pfalz!
Doch der Himmel hatte kein Einsehen. In den neuesten Umfragen hat der erst demontierte, dann wieder aufgebaute CDU-Landeschef noch einmal an Zustimmung verloren. Ein Jahr ist es noch hin bis zu den Landtagswahlen. Die Wirtschaftsdaten stehen gut für die sozialliberale Koalition, die Arbeitslosigkeit liegt im Ländervergleich unter dem Durchschnitt. Pendlerströme in alle Himmelsrichtungen machen’s möglich, die Regierung Beck verbucht es natürlich als ihren Pluspunkt. Die militärische Konversion samt Abzug Zehntausender Soldaten hat Rheinland-Pfalz auch dank massiver Bundeshilfen gut verkraftet - doch der Pluspunkt geht an die Regierung Beck. Für die CDU und ihren Spitzenkandidaten heißt das: kämpfen, noch bevor der eigentlichen Wahlkampf beginnt.
Guten Morgen …
"Hier kommt der künftige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz", so kündigen ihn seine Leute bei Besuchen in der Provinz an. Böhr als künftiger Ministerpräsident? Journalisten rechnen ihm kaum Chancen aus
Die besondere rheinland-pfälzische Konstellation besteht darin, dass sich die CDU über Jahre hin systematisch selbst zerfleischt und es eigentlich gar keine richtige Opposition gibt, die ernst zu nehmen wäre, leider auch die Grünen nicht. Und in diesem Windschatten einer oppositionsfreien Sphäre passt das sehr gut, dass SPD und FDP dieses Land in seiner Besonnenheit, Harmlosigkeit und konservativen Grundierung repräsentieren. Und Beck tut nichts, um die FDP zu verärgern, und ich glaube, der FDP wird es nie wieder besser gehen, als in einer Regierung mit der SPD.
Das Brüderle
Vor den Landtagswahlen 1991 hatte FDP-Chef Rainer Brüderle den Christdemokraten noch Koalitionstreue geschworen. Nach dem SPD-Wahlsieg mit Rudolf Scharping wechselte er behände die Seite und blieb auch in der neuen sozialliberalen Koalition Wirtschafts- und Verkehrsminister. Kurt Beck, der 1994 Rudolf Scharping nachfolgte, gab dem wendigen Liberalen Landwirtschaft und Weinbau noch dazu. Doch der FDP-Landeschef soll nicht immer Becks braves Brüderle gewesen sein, weiß Thomas Leif:
Brüderle hat in Verhandlungen, was nie einer öffentlich bemerkt hat, auch so verhandelt, bis das Blut spritzte. Er hat der SPD in den ersten vier Jahren der Regierung extrem viel abverlangt.
Das Wirtschafts- und Landwirtschafts-Ressort übernahm 1998 Hans Arthur Bauckhage, Rainer Brüderle zog für die FDP in den Bundestag ein. Zum zwölften Mal bewirbt er sich im kommenden April als FDP-Landvorsitzender, seit 22 Jahren hat er das Amt inne. Gern gibt der Ober-Liberale schon mal einen Vorgeschmack darauf, wie man sich als Juniorpartner einer mächtigen SPD im Wahlkampf um Rheinland-Pfalz behaupten will:
Es darf keine Dampfwalzenmehrheit geben, denn die Funktion der FDP als Korrektur und Gestaltung aus dem liberalen Ansatz heraus erfordert auch eine Position der Stärke der FDP. Und die Erfolge in Rheinland-Pfalz sind gemeinsame Erfolge. Und Kurt Beck wäre ein anderer Kurt Beck, wenn nicht die FDP als starker Koalitionspartner mit im Boot sitzen würde.
"Wir drängen die SPD in die Mitte", nimmt Brüderle für die Liberalen in Anspruch, doch hat man nicht den Eindruck, dass das in Rheinland-Pfalz ein besonders anstrengender Job wäre.
Der Pragmatiker
Auch ohne dass die FDP drängelt, meldet sich Kurt Beck bundespolitisch immer dann zu Wort, wenn die Politik der Berliner Spitzengenossen ihm zu linkslastig oder zu grünstichig wird. Dann nämlich sieht er die Interessen seines mittelständisch und landwirtschaftlich geprägten Landes bedroht. Beispiel Ausbildungsplatz-Abgabe: Beck hat sie verhindert, obwohl SPD-Chef Müntefering sie wollte. Beispiel Hochwasserschutzgesetz aus dem Hause Trittin: Den Entwurf hat der Pfälzer gerade kräftig verwässert, gemeinsam mit dem Brandenburger Deichgrafen Matthias Platzeck, der auch nicht möchte, dass Landwirtschaft und Neubauten aus Überschwemmungsgebieten komplett verbannt werden. "Schröder muss Wasser lassen" höhnt die taz mit Blick darauf, dass die eigenen Genossen den vom Kanzler versprochenen Schutz vor Hochwasser torpedieren. Doch Beck dementiert, dass seine Querschüsse für Verstimmung sorgen:
Meine Kollegen und Kolleginnen wissen, dass ich das nicht aus taktischen Gründen mache, nach dem Motto, man profiliert sich am besten gegen, wenn man gegen die eigenen Reihen schießt. Die wissen, wenn ich in der Sache ein Problem habe, Stichwort Grüne Gentechnik, dann geht’s um die Sache und nicht darum, sich selbst in die Medien zu katapultieren, um Karriere zu machen.
Was ihm politische Beobachter wie SWR-Chefreporter Thomas Leif ohne weiteres abnehmen:
Bei Beck hat man immer den Eindruck, dass er nicht jeden Tag mit den Füßen scharrt und sagt, ich will noch mehr Macht, sondern bei Beck hat man den Eindruck, er steht morgens auf und ist happy, dass er Ministerpräsident ist und dass er es so weit gebracht hat - im positiven Sinne. Also er ist nicht der Ehrgeizling. Es gibt diese schöne Anekdote, dass er gar nicht in gerne in Berlin ist und dass ihm dieses ganze Tam-Tam und der Trubel in Berlin eigentlich eher auf die Nerven geht. Das heißt, Politik als Show und Wichtigtuerei ist nicht seine Sache, in der Zeit geht er lieber zum Dürkheimer Wurstmarkt oder spricht mit Panzergrenadieren um 13 Uhr in der Nordeifel und fährt abends in die Südeifel und spricht dann mit irgendwelchen Reservisten.
Und zum Leidwesen seiner Berater weigert sich der gewichtige Pfälzer bis heute, sich Maßanzüge schneidern zu lassen, die ohne weiteres fünf Kilo seiner barocken Gestalt wegrationalisieren könnte. Stattdessen kauft Beck in Landau - von der Stange - da, wo er schon seinen Kommunionsanzug erstand. Kein Wunder, dass ihn Gewerkschafter und Kollegen aus seiner Zeit als Funkelektroniker und Personalratschef im Bundeswehr-Instandsetzungswerk Bad Bergzabern heutzutage problemlos wieder erkennen. Hat man ihm damals eine so steile Karriere zugetraut?
So steil nicht ganz, Ehrgeiz hat er immer gehabt. Man ist auch ein bisschen stolz hier in der Gegend, dass jemand ohne akademischen Abschluss so weit kommen kann, also auch Ministerpräsident werden kann. Kurt Beck war in unserem Haus sehr beliebt, dafür spricht auch schon, dass er als Personalratsvorsitzender gewählt wurde und immer wieder gewählt wurde, das sagt eigentlich alles.
Der Intuitionspolitiker
Politik aus dem Bauch heraus, angeregt nicht von Papieren einer Ministerialbürokratie, sondern von Begegnungen mit Menschen vor Ort - im beschaulichen Rheinland-Pfalz mag man damit Wahlen gewinnen, hält der Journalist Thomas Leif fest - ein Erfolgsrezept für Politik schlechthin ist es nicht:
Ich glaube, es ist das Erfolgsrezept für Rheinland-Pfalz, wenn man so will, sozusagen die organisierte Anspruchslosigkeit. Der Beck sagt immer, wir erfüllen unseren Job, wenn wird ordentlich regieren, keine großen Reden zu schwingen, die man selbst nachher nicht einhalten kann. Immer das Normalmaß zu halten. Und das passt gut zu Rheinland-Pfalz - unspektakulär, eher etwas zurück genommen. Und seine Rolle und seine Identität passt doch wunderbar zu diesem etwas einfach gestrickten Land, und da haben sich zwei gefunden - das Land und der Ministerpräsident.
Strebt er überhaupt nach Höherem? Eine Frage, die Kurt Beck noch häufiger gestellt wird, seit er vor anderthalb Jahren Rudolf Scharping als SPD-Bundes-Vize ablöste:
Ich habe überhaupt keine Absicht, nach Berlin zu wechseln, überhaupt keine Absicht. Jetzt darf man im Leben nie "‚nie" sagen. Es kann mal Situationen geben, die ich mir weder wünsche noch sie vorhersehe, wo man in die Pflicht genommen werden könnte. Aber ich empfände es nicht als einen Aufstieg, in Berlin Minister zu sein, dies will ich ganz offen sagen, denn der Dritte in Rom ist nicht gleich mit dem Ersten in der Provinz. Ist eine historische Erfahrung. Also ich hab gar keine Absicht, da muss sich niemand Gedanken machen.
Er würde sich also in die Pflicht nehmen lassen - für die drei Kommunalpolitiker aus Bad Bergzabern, die da strahlend über das konstruktive Gespräch Becks Sprechstunde verlassen, wäre das ein Horror-Szenario. Da stimmt auch der Christdemokrat unter ihnen vollen Herzens zu:
Er überzeugt durch seine Kompetenz. Und dementsprechend könnte der Sprung nach Berlin irgendwann vor der Tür stehen. Wir hoffen’s nicht. Das wäre für Rheinland-Pfalz wirklich ein Verlust.
Doch auch wenn sie ihm alle nachweinen würden, vom CDU-Bürgermeister bis zum Gewerkschaftsfunktionär, stolz würde es sie wohl machen: einer von uns gemütlichen, stets ein bisschen unterschätzten Rheinland-Pfälzern, schafft es wieder mal bis an die Spitze der Republik. Da fällt Glanz zurück auf die Provinz. Und anders als bei Rudolf Scharping darf man sich bei Kurt Beck wohl sicher sein, dass er auch nach dem Aufstieg in den politischen Olymp auf dem Dürkheimer Wurstmarkt noch alle Hände schütteln würde, die sich ihm entgegenstrecken.
Liebe Genossen, liebe Genossinnen, unser Ministerpräsident Kurt Beck - aus Vilshofen ist er gerade eingeflogen sozusagen, unser Mann für die Bayern, um dort auch ein bisschen Kultur hinzubringen - herzlich willkommen lieber Kurt - Beifall
Politischer Aschermittwoch. Für Beck ein Doppelschlag. Am Vormittag bringt er den Wolferstetter Keller in Vilshofen zum Kochen, die Sozialdemokraten in der bayrischen Diaspora kriegen sich vor Begeisterung kaum ein. Am Nachmittag ein umjubeltes Heimspiel im Mainzer Kurfürstlichen Schloss. Dass CSU-Chef Stoiber mal so richtig einen auf den Deckel bekommt, dafür, dass er die Sozis für die NPD-Erfolge verantwortlich macht, ist Herzenswunsch der Basis. Kurt Beck erfüllt ihn an beiden Orten, auch wenn ihn das den letzten Rest der ohnehin angeschlagenen Stimme kostet:
Wir brauchen in dieser Bundesrepublik Deutschland sicherlich die politische Auseinandersetzung, das gehört zur Demokratie dazu. Aber wir brauchen auch das Grundverständnis, dass es, wenn es um Antidemokraten geht, um NPD und DVU oder andere dieser Art, die Demokraten und Demokratinnen zusammen stehen und nicht die Lehren aus Weimar vergessen, dass wir uns auseinanderdividieren, kaputt machen, und die machen dann den Staat kaputt, liebe Freundinnen und liebe Freunde. (Beifall) Es reicht, Herr Stoiber. Es ist höchste Zeit, dass Sie sich entschuldigen, damit die Demokraten wieder zusammenstehen können, wo sie zusammenstehen müssen. (Beifall)
Der Saal tobt, am Ende gibt es stehende Ovationen. Beck hat der gekränkten Genossen-Seele die Genugtuung verschafft, die sie braucht. Ein paar Tage später wird sich Sabine Christiansen in ihrer Talkshow zum Erstarken der Neonazis die Zähne daran ausbeißen, Beck noch einen schönen polemischen Satz zu Stoiber zu entlocken. Ein grober Keil auf einen groben Klotz - das war Aschermittwoch. Nach dem Ende der fünften Jahreszeit arbeitet der Mainzer Ministerpräsident lieber wieder am "demokratischen Konsens", statt hart gegenzuhalten.
Der Bürgerkönig
Grüß Sie, Hallo, herzlich willkommen.
Szenenwechsel - von der Landeshauptstadt Mainz ins südpfälzische Dörfchen Steinfeld. Hier, an seinem Wohnort, hält der Ministerpräsident an jedem zweiten Sonntag die so genannte "Bürgersprechstunde" ab. In Steinfeld wuchs der Maurersohn Kurt Beck auf, hier ging er zwischen 1955 und 63 in die Volksschule, von 1989 an war er Orts-Bürgermeister. Zeit der Wende und der großen politischen Umwälzungen in Ostdeutschland. Eine Wende der etwas anderen Art vollzog sich auch im tiefen Westen nahe dem Elsass, in dem Örtchen zwischen Weinreben und Wald, das bis dahin fest in CDU-Hand war. Plötzlich wollten dort alle Becks Brüderle sein.
Ja er hat’s geschafft, das schwarze Dorf zu wenden. Er ist der erste sozialdemokratische Bürgermeister hier in Steinfeld, und selbst die Schwarzen haben ihm ihre Stimme gegeben. Seither haben wir schon in der dritten Legislaturperiode eine sozialdemokratische Bürgermeisterin ...
... sagt Christine Kornmann, Becks resolute Mitarbeiterin im Wahlkreisbüro und Steinfelder SPD-Chefin. Sie organisiert die Bürgersprechstunde des Ministerpräsidenten, führt Anmeldelisten, empfängt die Ratsuchenden im holzgetäfelten Dachgeschossbüro einer Steinfelder Wohnsiedlung und dirigiert sie, wenn sie gleich in Mannschaftsstärke auftauchen, zum Warten wieder in den gefliesten Flur hinaus.
So, sie sehen: enge räumliche Verhältnisse, es war vielleicht doch besser so, sonst hätten wir uns hier totgetreten gegenseitig ...
Vier Einzelpersonen und drei Delegationen empfängt Beck an diesem Sonntagvormittag. Und das, obwohl seine Frau Geburtstag feiert und er am frühen Abend schon wieder von Mannheim nach Berlin fliegt - zuerst zu Sabine Christiansen, am Montag früh dann zum SPD-Präsidium.
Herr Bürgermeister, meine Herren Fraktionsvorsitzenden, herzlich willkommen, ich freue mich, dass wir uns begegnen und über ein paar Dinge mit einander reden können. - Ich freue mich auch, und vielen Dank, dass sie uns empfangen.
Pünktlich um halb zehn. Kurt Beck begrüßt den CDU-Bürgermeister der nahen Kurstadt Bad Bergzabern an der Südlichen Weinstraße, samt den Fraktionschefs von SPD und Freier Wählergemeinschaft. Es geht um den Umbau der Therme in dem finanziell angeschlagenen Heilbad und um einen Umgehungstunnel. Wie man die kostspieligen Eckpfeiler des Kurbetriebs in Zeiten knapper Kassen sichern kann?, dazu möchten die drei Kommunalpolitiker Tipps. Dass der Ministerpräsident sich solcher Detailfragen annimmt - ist das tatsächlich volksnah und bodenständig? Oder dient es der Selbst-Inszenierung als Bürgerkönig?
Dieses Attribut Bodenständigkeit, gegen das ich gar nichts habe, das ich aber auch nicht wie eine Monstranz vor mir hertragen möchte, dafür muss man mehr tun, als etwas inszenieren. Ich habe von meinem ersten Tag an als Abgeordneter - und jetzt auch über die mehr als zehn Jahre als Ministerpräsident - diese sonntäglichen Sprechstunden immer durchgehalten. Und wenn man an einem Vormittag zehn, zwölf unterschiedliche Problem behandelt, dann heißt es am Sonntagnachmittag aufarbeiten, die Aufträge diktieren, dann fasse ich wieder nach. Also viele Dinge sind nicht von jetzt auf nachher zu klären. Das ist schon harte Arbeit ...
... abseits von Fernsehkameras und Mikrofonen. Medien sind zu den Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten in der Dachkammer allenfalls bei der Begrüßungsszene zugelassen, alles andere findet hinter verschlossenen Türen statt. Der kleine Steinfelder Polit-Betrieb ist keine Schaufenster-Veranstaltung, obwohl er für einen SPD-Wahlkampf hervorragende Bilder liefern würde. Zufriedene Gesichter beim CDU-Bürgermeister genauso wie beim Pressesprecher eines türkischen Fußballvereins in Germersheim, der viel für die Integration von Migranten tut, dessen Existenz aber wegen der maroden Sportstätte bedroht ist:
Ich war überrascht, wie konkret der Herr Ministerpräsident auf die Sache reagiert hat, und wir nehmen eigentlich viel Gutes mit. Also, er hat uns zwei Lösungswege aufgezeigt, er hat gesagt, er will da was organisieren. Es wird ein Gespräch geben - alle Beteiligten an einen Tisch. Und dass man da versucht, Nägel mit Köpfen zu machen, und ich denke, da sind wir ein schönes Stück weiter. Wir haben wertvolle Tipps bekommen. Es war ein sehr konstruktives Gespräch, und wir gehen mit zufriedenen Gesichtern nach Hause, und das zeichnet ihn aus ...
… sagt zuletzt der CDU-Politiker, der schon mal in anderer Funktion bei Beck vorsprach:
Ich war vor Jahren schon mal da in meiner Eigenschaft als Schulelternsprecher von der Grundschule. Da ging es um Ganztagsbetreuung. Und das Projekt ist dann praktisch innerhalb eines Dreivierteljahres verwirklicht worden…
Christdemokratische Lobeshymnen auf einen SPD-Politiker in einem konservativ geprägten Bundesland - wie ist das möglich?
SWR-Chefreporter Thomas Leif hat soeben mit Kurt Beck an der Mainzer Uni eine Diskussion bestritten, in der es auch um die Inszenierung von Politik ging. Sein Erklärungsversuch:
Ich weiß von CDU Landräten, dass sie Angst haben vor seinen Begegnungen, weil er, ganz egal, ob CDU-Mehrheit oder nicht, es immer ganz schnell schafft, die Leute sehr schnell auf seine Seite zu bringen, ihre Sprache spricht und sich dabei nicht verrenken muss.
Der CDU-Bürgermeister von Bad Bergzabern nimmt es locker, dass er sich dem Verdacht aussetzt, Wahlkampf für die falsche Partei zu machen:
Für mich ist es absolut kein Problem. Kurt Beck verkörpert zwar die SPD, aber ich sag’s auch ganz offen, er ist für uns als Ministerpräsident ein Segen. Und die Parteibrille, die ist erst mal weg - zumindest vermittelt er das Gefühl. Denken wird so mancher CDUler in der Südpfalz: hoffentlich wird er’s wieder.
... stimmen die Begleiter von SPD und Freier Wählergemeinschaft in das Lob ein. Drei Männer, drei politische Richtungen - zum Ministerpräsidenten eine Meinung. Als Landesvater und Pragmatiker setzt Kurt Beck die politische Farbenlehre außer Kraft. Aber die Sozialdemokraten im Land profitieren natürlich von seinen hohen Sympathiewerten. Nach zweieinhalb Jahren haben sie laut der neuesten Umfrage im Auftrag der Ludwigshafener "Rheinpfalz" mit 41 Prozent erstmals wieder die Nase vorn.
Der Kontrahent
Bescheidene drei Prozentpunkte beträgt der Vorsprung der SPD vor der CDU, aber Kurt Beck ist bei Unions-Anhängern immerhin doppelt so beliebt wie deren Frontmann Christoph Böhr, der als hölzern und distanziert gilt. Schulterklopfend über Weinfeste zu ziehen, liegt dem promovierten Philosophen aus Trier nicht. Ende letzten Jahres wurde Böhr dennoch zum CDU-Spitzenkandidaten gekürt - nach quälendem parteiinternen Streit in Hinterzimmern und öffentlichen Regionalkonferenzen, auf denen viele Frustrierte das Unheil schon ahnten:
Von der Trendwende zugunsten der SPD reden nicht nur realitätsferne Genossen, sondern sie ist schon da. Und da meinen wir, wir könnten es uns jetzt leisten in der Situation erst mal den eigenen Vorsitzenden in aller Öffentlichkeit zu demontieren. Und da kann ich nur sagen: Gott schütze Rheinland-Pfalz!
Doch der Himmel hatte kein Einsehen. In den neuesten Umfragen hat der erst demontierte, dann wieder aufgebaute CDU-Landeschef noch einmal an Zustimmung verloren. Ein Jahr ist es noch hin bis zu den Landtagswahlen. Die Wirtschaftsdaten stehen gut für die sozialliberale Koalition, die Arbeitslosigkeit liegt im Ländervergleich unter dem Durchschnitt. Pendlerströme in alle Himmelsrichtungen machen’s möglich, die Regierung Beck verbucht es natürlich als ihren Pluspunkt. Die militärische Konversion samt Abzug Zehntausender Soldaten hat Rheinland-Pfalz auch dank massiver Bundeshilfen gut verkraftet - doch der Pluspunkt geht an die Regierung Beck. Für die CDU und ihren Spitzenkandidaten heißt das: kämpfen, noch bevor der eigentlichen Wahlkampf beginnt.
Guten Morgen …
"Hier kommt der künftige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz", so kündigen ihn seine Leute bei Besuchen in der Provinz an. Böhr als künftiger Ministerpräsident? Journalisten rechnen ihm kaum Chancen aus
Die besondere rheinland-pfälzische Konstellation besteht darin, dass sich die CDU über Jahre hin systematisch selbst zerfleischt und es eigentlich gar keine richtige Opposition gibt, die ernst zu nehmen wäre, leider auch die Grünen nicht. Und in diesem Windschatten einer oppositionsfreien Sphäre passt das sehr gut, dass SPD und FDP dieses Land in seiner Besonnenheit, Harmlosigkeit und konservativen Grundierung repräsentieren. Und Beck tut nichts, um die FDP zu verärgern, und ich glaube, der FDP wird es nie wieder besser gehen, als in einer Regierung mit der SPD.
Das Brüderle
Vor den Landtagswahlen 1991 hatte FDP-Chef Rainer Brüderle den Christdemokraten noch Koalitionstreue geschworen. Nach dem SPD-Wahlsieg mit Rudolf Scharping wechselte er behände die Seite und blieb auch in der neuen sozialliberalen Koalition Wirtschafts- und Verkehrsminister. Kurt Beck, der 1994 Rudolf Scharping nachfolgte, gab dem wendigen Liberalen Landwirtschaft und Weinbau noch dazu. Doch der FDP-Landeschef soll nicht immer Becks braves Brüderle gewesen sein, weiß Thomas Leif:
Brüderle hat in Verhandlungen, was nie einer öffentlich bemerkt hat, auch so verhandelt, bis das Blut spritzte. Er hat der SPD in den ersten vier Jahren der Regierung extrem viel abverlangt.
Das Wirtschafts- und Landwirtschafts-Ressort übernahm 1998 Hans Arthur Bauckhage, Rainer Brüderle zog für die FDP in den Bundestag ein. Zum zwölften Mal bewirbt er sich im kommenden April als FDP-Landvorsitzender, seit 22 Jahren hat er das Amt inne. Gern gibt der Ober-Liberale schon mal einen Vorgeschmack darauf, wie man sich als Juniorpartner einer mächtigen SPD im Wahlkampf um Rheinland-Pfalz behaupten will:
Es darf keine Dampfwalzenmehrheit geben, denn die Funktion der FDP als Korrektur und Gestaltung aus dem liberalen Ansatz heraus erfordert auch eine Position der Stärke der FDP. Und die Erfolge in Rheinland-Pfalz sind gemeinsame Erfolge. Und Kurt Beck wäre ein anderer Kurt Beck, wenn nicht die FDP als starker Koalitionspartner mit im Boot sitzen würde.
"Wir drängen die SPD in die Mitte", nimmt Brüderle für die Liberalen in Anspruch, doch hat man nicht den Eindruck, dass das in Rheinland-Pfalz ein besonders anstrengender Job wäre.
Der Pragmatiker
Auch ohne dass die FDP drängelt, meldet sich Kurt Beck bundespolitisch immer dann zu Wort, wenn die Politik der Berliner Spitzengenossen ihm zu linkslastig oder zu grünstichig wird. Dann nämlich sieht er die Interessen seines mittelständisch und landwirtschaftlich geprägten Landes bedroht. Beispiel Ausbildungsplatz-Abgabe: Beck hat sie verhindert, obwohl SPD-Chef Müntefering sie wollte. Beispiel Hochwasserschutzgesetz aus dem Hause Trittin: Den Entwurf hat der Pfälzer gerade kräftig verwässert, gemeinsam mit dem Brandenburger Deichgrafen Matthias Platzeck, der auch nicht möchte, dass Landwirtschaft und Neubauten aus Überschwemmungsgebieten komplett verbannt werden. "Schröder muss Wasser lassen" höhnt die taz mit Blick darauf, dass die eigenen Genossen den vom Kanzler versprochenen Schutz vor Hochwasser torpedieren. Doch Beck dementiert, dass seine Querschüsse für Verstimmung sorgen:
Meine Kollegen und Kolleginnen wissen, dass ich das nicht aus taktischen Gründen mache, nach dem Motto, man profiliert sich am besten gegen, wenn man gegen die eigenen Reihen schießt. Die wissen, wenn ich in der Sache ein Problem habe, Stichwort Grüne Gentechnik, dann geht’s um die Sache und nicht darum, sich selbst in die Medien zu katapultieren, um Karriere zu machen.
Was ihm politische Beobachter wie SWR-Chefreporter Thomas Leif ohne weiteres abnehmen:
Bei Beck hat man immer den Eindruck, dass er nicht jeden Tag mit den Füßen scharrt und sagt, ich will noch mehr Macht, sondern bei Beck hat man den Eindruck, er steht morgens auf und ist happy, dass er Ministerpräsident ist und dass er es so weit gebracht hat - im positiven Sinne. Also er ist nicht der Ehrgeizling. Es gibt diese schöne Anekdote, dass er gar nicht in gerne in Berlin ist und dass ihm dieses ganze Tam-Tam und der Trubel in Berlin eigentlich eher auf die Nerven geht. Das heißt, Politik als Show und Wichtigtuerei ist nicht seine Sache, in der Zeit geht er lieber zum Dürkheimer Wurstmarkt oder spricht mit Panzergrenadieren um 13 Uhr in der Nordeifel und fährt abends in die Südeifel und spricht dann mit irgendwelchen Reservisten.
Und zum Leidwesen seiner Berater weigert sich der gewichtige Pfälzer bis heute, sich Maßanzüge schneidern zu lassen, die ohne weiteres fünf Kilo seiner barocken Gestalt wegrationalisieren könnte. Stattdessen kauft Beck in Landau - von der Stange - da, wo er schon seinen Kommunionsanzug erstand. Kein Wunder, dass ihn Gewerkschafter und Kollegen aus seiner Zeit als Funkelektroniker und Personalratschef im Bundeswehr-Instandsetzungswerk Bad Bergzabern heutzutage problemlos wieder erkennen. Hat man ihm damals eine so steile Karriere zugetraut?
So steil nicht ganz, Ehrgeiz hat er immer gehabt. Man ist auch ein bisschen stolz hier in der Gegend, dass jemand ohne akademischen Abschluss so weit kommen kann, also auch Ministerpräsident werden kann. Kurt Beck war in unserem Haus sehr beliebt, dafür spricht auch schon, dass er als Personalratsvorsitzender gewählt wurde und immer wieder gewählt wurde, das sagt eigentlich alles.
Der Intuitionspolitiker
Politik aus dem Bauch heraus, angeregt nicht von Papieren einer Ministerialbürokratie, sondern von Begegnungen mit Menschen vor Ort - im beschaulichen Rheinland-Pfalz mag man damit Wahlen gewinnen, hält der Journalist Thomas Leif fest - ein Erfolgsrezept für Politik schlechthin ist es nicht:
Ich glaube, es ist das Erfolgsrezept für Rheinland-Pfalz, wenn man so will, sozusagen die organisierte Anspruchslosigkeit. Der Beck sagt immer, wir erfüllen unseren Job, wenn wird ordentlich regieren, keine großen Reden zu schwingen, die man selbst nachher nicht einhalten kann. Immer das Normalmaß zu halten. Und das passt gut zu Rheinland-Pfalz - unspektakulär, eher etwas zurück genommen. Und seine Rolle und seine Identität passt doch wunderbar zu diesem etwas einfach gestrickten Land, und da haben sich zwei gefunden - das Land und der Ministerpräsident.
Strebt er überhaupt nach Höherem? Eine Frage, die Kurt Beck noch häufiger gestellt wird, seit er vor anderthalb Jahren Rudolf Scharping als SPD-Bundes-Vize ablöste:
Ich habe überhaupt keine Absicht, nach Berlin zu wechseln, überhaupt keine Absicht. Jetzt darf man im Leben nie "‚nie" sagen. Es kann mal Situationen geben, die ich mir weder wünsche noch sie vorhersehe, wo man in die Pflicht genommen werden könnte. Aber ich empfände es nicht als einen Aufstieg, in Berlin Minister zu sein, dies will ich ganz offen sagen, denn der Dritte in Rom ist nicht gleich mit dem Ersten in der Provinz. Ist eine historische Erfahrung. Also ich hab gar keine Absicht, da muss sich niemand Gedanken machen.
Er würde sich also in die Pflicht nehmen lassen - für die drei Kommunalpolitiker aus Bad Bergzabern, die da strahlend über das konstruktive Gespräch Becks Sprechstunde verlassen, wäre das ein Horror-Szenario. Da stimmt auch der Christdemokrat unter ihnen vollen Herzens zu:
Er überzeugt durch seine Kompetenz. Und dementsprechend könnte der Sprung nach Berlin irgendwann vor der Tür stehen. Wir hoffen’s nicht. Das wäre für Rheinland-Pfalz wirklich ein Verlust.
Doch auch wenn sie ihm alle nachweinen würden, vom CDU-Bürgermeister bis zum Gewerkschaftsfunktionär, stolz würde es sie wohl machen: einer von uns gemütlichen, stets ein bisschen unterschätzten Rheinland-Pfälzern, schafft es wieder mal bis an die Spitze der Republik. Da fällt Glanz zurück auf die Provinz. Und anders als bei Rudolf Scharping darf man sich bei Kurt Beck wohl sicher sein, dass er auch nach dem Aufstieg in den politischen Olymp auf dem Dürkheimer Wurstmarkt noch alle Hände schütteln würde, die sich ihm entgegenstrecken.