Beckmann bleibt ein Außenseiter

Von Stefan Keim · 02.04.2011
In fränkischen Kleinstädten wird eine Borchert-Aufführung gespielt, die in keinem großen Theater draußen vor der Tür bleiben müsste. Beckmann, der Kriegsheimkehrer, ist längst nicht mehr ausschließlich ein Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg.
Erschrocken schaut die junge Frau ins Publikum. Es sind Zuschauer da, eine ganze Menge. Sie alarmiert ihre Kollegen, die gerade erst routiniert wie immer die Bühne aufgebaut haben. Seit Jahrzehnten spielt dieses seltsame Ensemble ein einziges Stück, Wolfgang Borcherts Drama "Draußen vor der Tür". "Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will", wie der Autor selbst im Untertitel schrieb. Sie haben schon fast 10.000 Vorstellungen hinter sich.

Beckmann, der Kriegsheimkehrer, der von Schuld zerfressen wirst, ist längst nicht mehr ausschließlich ein Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg. In ihm spiegeln sich Erlebnisse aus vielen anderen Schlachten und Kampfeinsätzen, bis heute aus Afghanistan. Er war schon bei Borchert kein Individuum, sondern ein Stellvertreter des Menschen schlechthin, ein postexpressionistischer Jedermann. Seine Seelenwunden sind die aller Soldaten, die traumatisiert zurückkommen und keinen Kontakt mehr finden, die "draußen vor der Tür" bleiben.

Die Theatergruppe, die ein Stück spielt, ist keine besonders originelle Rahmenhandlung. Dennoch funktioniert dieser Kunstgriff ausgezeichnet. So wird ein spielerischer Umgang mit dem düsteren, symbolbeladenen Text möglich. Das Fränkische Theater Schloss Maßbach ist ein Privattheater, das die Aufgabe einer Landesbühne erfüllt. Das "Intime Theater" im Schloss mit 86 Sitzplätzen ist die Basis, in dichter Folge – quasi en suite- touren die Produktionen durch die Region, gastieren in Steinfurt auf einer viel größeren Bühne und in Orten, von denen nie ein Auswärtiger zuvor gehört hat. Die Leiterin der Bühne Anne Maar ist Tochter des Kinderbuchautors Paul Maar und Enkelin der Theatergründer. Mit einem kleinen Ensemble – inklusive Gästen sind es zwölf Schauspieler – stemmt sie einen anspruchsvollen Spielplan.

Regisseur Christian Schidlowsky lässt Beckmann von allen fünf Darstellern spielen. Damit löst er die langen und oft bleischweren Monologe auf. Das Quintett verkörpert auch Beckmanns Gegenfigur, den "anderen", auf der Bühne entsteht ein lebendiger Diskurs. Mit angedeuteten Kostümen und wenigen Requisiten spielen sie die vielen Figuren des Stückes, den Tod und den lieben Gott, die Elbe, den Oberst, den Einbeinigen und viele andere. Das Konzept geht auf: Am Ende wandert die bügellose Brille – das Erkennungsmerkmal Beckmanns – von Schauspieler zu Schauspieler ohne jede Irritation.

Der Fokus liegt auf dem Inhalt: Beckmann klagt über eine Gesellschaft, die sich abschottet. Der Krieg ist weit weg, niemand will sich mit dem Grauen auseinander setzen oder auch nur in Berührung mit jemandem kommen, der damit zu tun hatte. Der Heimkehrer wird doppelt bestraft, seine Psychose klebt an ihm wie Aussatz. Sogar in einem heruntergekommenen Kabarett wird er weg geschickt, weil man keinen Anfänger gebrauchen könne. Sein Satz, irgendwo müsse ein Anfänger doch anfangen, verhallt. Man will ihn einfach nicht. Je mehr er nachfragt, umso zynischer wird die Ablehnung.

Aus dem guten Ensemble ragt – nicht nur wegen seiner Körpergröße – der schlaksige Ingo Pfeiffer heraus. Hellwach wechselt er die Spielhaltungen, agiert sprachlich sehr präzise, zeigt wie seine Kollegen große Musikalität. Regisseur Schidlowsky entwickelt mit den Schauspielern überraschenden, garstigen Witz, ohne die bittere Grundstimmung zu verlieren. In fränkischen Kleinstädten wird eine Borchert-Aufführung gespielt, die in keinem großen Theater draußen vor der Tür bleiben müsste.

Die nächsten Aufführungen: 6./7. April Schweinfurt, 9. April Bad Kissingen, 10. April Maßbach, 11./12. April Schweinfurt, 13./14. April Neuburg an der Donau, 15./16./17. April Maßbach, 18. April Lichtenfels, 19. April Ebern – weitere Aufführungen fast täglich bis 8. Mai.

Informationen des Fränkischen Theaters Schloss Maßbach