Beckett lässt sie nicht los

Von Susanne von Schenck · 23.01.2012
Erika Tophoven gehört, zusammen mit ihrem 1989 verstorbenen Mann Elmar, zu den großen Literaturübersetzern aus dem Französischen. Vierzig Jahre lang lebte sie in Paris und war mit vielen Autoren in engem Kontakt. Vor einigen Jahren zog sie nach Berlin. Ihr Lebensthema: Samuel Beckett.
"Es war ein ganz normales Übersetzerleben in großer Zurückgezogenheit und immer gebeugt über irgendeine Übersetzung. Und das Schöne daran ist, dass ich davon heute noch zehren kann, von dieser Arbeit","

sagt Erika Tophoven, 80 Jahre alt, ganz bescheiden. Dabei hat sie, gemeinsam mit ihrem Mann Elmar, so ziemlich alles übersetzt, was in der französischsprachigen Literatur der Moderne Rang und Namen hat: Nathalie Sarraute, Claude Simon, Alain Robbe-Grillet, Marguerite Duras - und immer wieder Samuel Beckett - bis heute ihr Lebensthema.

In ihrer Berliner Wohnung hat Erika Tophoven, ein zierliche kleine Dame mit grauem Kurzhaarschnitt, ein kleines Beckett-Archiv eingerichtet. Stolz zeigt auf das Premierenplakat des Berliner Schlossparktheaters von 1957: "Wir warten auf Godot", - so sollte das wohl berühmteste Stück des absurden Theaters anfangs auf Deutsch heißen. Erst später wurde daraus das allbekannte "Warten auf Godot".

Erika Tophoven, 1931 in Dessau geboren, wächst in Ostfriesland auf. Das Kriegsende erlebt sie in Sachsen, wo ihr Vater ein Gut bewirtschaftet. Er wird 1946 plötzlich von den Russen verhaftet - eine traumatische Erfahrung für die Tochter:

""Das ist wahrscheinlich das einschneidende Erlebnis in meinem Leben gewesen, denn er kam abends eben nicht zurück. Man hat ihn aus irgendeiner Sitzung heraus verhaftet und er wurde nach Bautzen in das berühmte 'Gelbe Elend' gebracht, wo er viereinhalb Jahre war. Wir haben zwischendurch kaum Nachricht gehabt, wussten nicht, ob er überhaupt noch lebte."

Nach dem Krieg lässt Erika Tophoven sich in München zur Übersetzerin ausbilden und kommt 1956 nach Paris. Schon am zweiten Tag ihres Aufenthaltes lernt sie ihren späteren Mann Elmar kennen. Er drückt ihr sogleich einen englischen Text von Samuel Beckett in die Hand: Bitte mal übersetzen. Was auf den ersten Blick so einfach wirkt, entpuppt sich schnell als hochkomplexes Werk, das der jungen Frau alles abfordert.

Mit Sam, der seit 1937 in Frankreich lebte, verband Kiki und Top, wie Beckett die beiden Tophovens nannte, dann eine 35-jährige so enge Zusammenarbeit, wie sie zwischen Übersetzer und Autor äußerst ungewöhnlich ist. Erika Tophoven kümmerte sich anfangs um Becketts englische Texte, ihr Mann um die französischen.

"Wir gingen zu Beckett eigentlich immer erst, wenn wir wirklich nicht weiter wussten. Dann nachmittags um 14.30 bis 17.30 traf man sich bei ihm, immer bei ihm, und Beckett hörte sich den Text an, was eben sehr wichtig war, dass er den Klang und den Rhythmus richtig einschätzen wollte."

Leben in Paris? Eine unsichere, freiberufliche Existenz? Das hat sich Erika Tophoven nicht erträumt. Aber sie bleibt vierzig Jahre, bekommt zwei Söhne und ärgert sich, wenn man sie schon nach ein paar Sätzen als Ausländerin erkennt. Überhaupt sind die Anfänge im Paris der Nachkriegsjahre für eine Deutsche nicht immer einfach. Nathalie Sarraute zum Beispiel will die deutschen Übersetzer anfangs nicht treffen.

Das ändert sich bald, wie Erika Tophoven in ihren kürzlich erschienen Erinnerungen erzählt: Bis zu ihrem Tod 1999 empfing Nathalie Sarraute, die Grande Dame des Nouveau Roman, sie dann auf einem Kanapee liegend, Erika Tophoven nahm auf einem knarrenden Holzschemel neben ihr Platz. Dann wurden die Übersetzungen besprochen. Unter dem Couchtisch standen Wasser und Whisky.

"Nicht dass wir uns betrunken hätten, ich selbst trinke gar nicht gern Whisky, aber zwischendurch nahm jeder mal einen stark verdünnten Schluck. Wenn wir zusammensaßen, klingelte oft das Telefon, und ich habe immer bewundert, wie sie mit alt und jung, mit Theater und Film und mit der literarischen Welt verbunden blieb."

Das Jahr 1989 bringt nicht nur eine politische Wende in Europa, sondern bedeutet auch einen Einschnitt für Erika Tophoven. In diesem Jahr sterben zuerst ihr Mann und dann Samuel Beckett - zwei auf ganz unterschiedliche Weise wichtige Bezugspersonen in ihrem Leben. Erika Tophoven übersetzt anfangs allein weiter. Aber Samuel Beckett lässt sie nicht los.

Sie erhält Zugang zu seinen bislang unveröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen über eine fünfwöchige Reise durch Deutschland, die Beckett 1936 unternommen hatte. Die Folge: Erika Tophoven zieht nach Berlin um. Dort erscheint 2005 ihr Buch "Becketts Berlin".

"Also Beckett hat mich erst in Paris festgehalten, und dann hat er mich jetzt nach Berlin geführt. Denn ich konnte nicht dieses Buch schreiben, das auf den Tagebuchaufzeichnungen basiert, ohne Berlin selber kennenzulernen, auch wenn das Berlin von heute ein anderes ist als 1936."

Becketts damalige Reise durch 22 Städte Deutschlands beschäftigt Erika Tophoven nach wie vor. Möglicherweise entsteht daraus ein neues Buch.
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