Beck lehnt schwarz-gelbe Wahlrechtsreform ab

Nach Einschätzung des Parlamentarischen Geschäftsführers von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck, beseitigt der Koalitionsentwurf entgegen der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nicht das sogenannte "negative Stimmgewicht".
André Hatting: Volker Beck ist parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Beck!

Volker Beck: Guten Morgen!

Hatting: Glauben Sie, dass die Wähler verstehen, worüber sie da streiten?

Beck: Nein, das ist allein schon der Grund des Streites. Der Effekt des negativen Stimmgewichtes ist sehr schwer nachzuvollziehen, und die Effekte jetzt auch der unterschiedlichen Gesetzentwürfe, das lassen wir von Fachleuten ausrechnen, weil das überfordert dann auch den einfachen Abgeordneten – und auch mich. Also ich kann nur sagen, am Ende des Tages ist es so, dass der Koalitionsentwurf das negative Stimmgewicht nicht beseitigt.

Die Rechnung des Bundesinnenministeriums, die das behauptet haben, geht von der Annahme aus, dass die Wahlbeteiligung ständig gleich bleibt. Wenn dies sich aber ändert, dann ist das negative Stimmgewicht bei dem Entwurf der Koalition sogar noch größer als beim geltenden Recht, und ...

Hatting: Das müssen wir, Herr Beck, ganz kurz erklären. Also: Die Bundesregierung schlägt Folgendes vor – ich hoffe, ich kriege das richtig zusammen –, sie will, dass man die Landeslisten, die Stimmen der Landeslisten nicht mehr verbindet, sondern anteilig nach der Wahlbeteiligung im Bundesland die Mandate zuordnet, und dann die entsprechende Zahl der Sitze verteilt. Das würde Karlsruhe, insofern gerecht, als ja das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Ein Zuwachs an Stimmen darf nicht zu Mandatsverlusten führen, richtig?

Beck: Ja, und in diesem Modell ist es halt so, dass, wenn der Zuwachs oder die Zunahme von Stimmen in einem Bundesland darauf zurückzuführen ist, dass die Wahlbeteiligung insgesamt sich ändert, dann können negative Stimmgewichte auftreten. Das hat die Bundesregierung nicht gerechnet, sondern sie hat als Axiom stehen lassen, die Wahlbeteiligung bleibt immer gleich. Wir wissen, das ist oftmals falsch.

Und es kann sein, dass es besser ist, nicht zur Wahl zu gehen, als seine Partei zu wählen, und zwar weil man ansonsten wieder negatives Stimmgewicht hat. Das ist absurd und zum anderen – in Ihrem Beitrag klang etwas an, was nicht ganz richtig ist. Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber drei Aufgaben gestellt: Das negative Stimmgewicht abzustellen, ein verständliches Wahlrecht zu machen, und drittens hat man am 25. Februar 2009 gesagt, dass, wenn der Gesetzgeber das negative Stimmgewicht beseitigt, die jetzt bestehende Problematik der Überhangmandate sich so nicht mehr darstellen kann. Und daran ändert die Koalition nichts.
In der Vergangenheit, als das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, die Überhangmandate können verfassungskonform sein, war das in einer Zeit, wo sehr wenige auftraten. Also in den ersten zehn Wahlperioden des Deutschen Bundestages gab es insgesamt so viel Überhangmandate wie heute bei einer Bundestagswahl, und ...

Hatting: Herr Beck, jetzt erklären Sie uns doch mal bitte, was an Ihrem Vorschlag, dem Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen besser sein soll.

Beck: Unser Vorschlag macht es ganz einfach, der sagt: Eine Partei bekommt so viel Sitze im Deutschen Bundestag, wie ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Und wir verteilen zuerst mal insgesamt die Sitze an die Parteien, und erst danach an die einzelnen Bundesländer. Das führt dazu, dass, wenn Überhangmandate vorhanden sind in einem Bundesland, dass die zunächst verrechnet werden, und die bezahlt man dann mit Listenplätzen unter Umständen in einem anderen Bundesland.

Und dadurch vermeidet man Überhangmandate, und dadurch entsteht kein negatives Stimmgewicht. die Fachleute haben unisono gesagt, beim Vorschlag der Grünen gibt es das Problem des negativen Stimmgewichts nicht mehr, das ist auf null, während alle Sachverständigen auch der Koalition zugestanden haben, dass beim Koalitionsentwurf ein Rest von negativem Stimmgewicht bleibt.

Hatting: Herr Beck, also erstens fand ich ihren Vorschlag, muss ich ganz ehrlich sagen, auch nicht so wahnsinnig einfach, man muss da schon sehr genau hinhören, um ihn zu verstehen, und zweitens lautet das Gegenargument der Koalition, dass bei Ihrem Vorschlag bei der letzten Bundestagswahl es dazu geführt hätte, dass zum Beispiel in Brandenburg trotz 300.000 Stimmen für die CDU es bei der Verrechnung mit anderen Landeslisten dazu geführt hätte, dass nur ein Direktkandidat in den Bundestag gekommen wäre.

Beck: Ja, aber ich glaube, die Wählerinnen und Wähler wählen die Parteien auch und auch die Direktkandidaten – auch wenn es manchen Kandidaten vielleicht in der Eitelkeit kränkt – in erster Linie deshalb, weil sie eine Partei repräsentieren und weil sie ihre Partei, die sie gewählt haben, stark machen wollen.

Und das entscheidende Prinzip des Wahlrechts ist und muss bleiben, dass die Zusammensetzung des Deutschen Bundestags – wer hat die Mehrheit? Wer ist wie stark? Wer ist in der Minderheit? – allein vom Wähler und nicht von Nebeneffekten des Wahlrechts bestimmt werden darf.

Hatting: Herr Beck, jetzt lassen Sie uns mal ganz kurz diese ganzen arithmetischen Operationen beiseite, die sind ganz schön kompliziert. Ich möchte Ihnen noch eine andere Frage stellen: Besteht nicht auch die Gefahr einer Politisierung des Wahlrechts, dass jetzt jede Regierung – Sie haben ja schon angedroht zu klagen wieder – dass jede Regierung sich jetzt ihr Lieblingswahlrecht zusammenbastelt?

Beck: Nein, es gäbe ja noch andere Wahlmodelle, die uns vielleicht noch mehr passen würden, aber die wir einfach nicht vorgeschlagen haben. Wir haben gesagt ...

Hatting: Noch mehr passen würden?

Beck: Na ja, oder die uns weniger Probleme machen würden als anderen Parteien. Das haben wir deshalb nicht vorgeschlagen. Also wir könnten auch gut mit einer Bundesliste leben, statt 16 Landeslisten. Das entspricht aber nicht der Tradition in unserem Land und deshalb haben wir es nicht vorgeschlagen. Und was wir machen, ist der minimale Eingriff, und der erfüllt nun mal die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts.

Jedes Modell – es gibt da umfangreiche Untersuchungen – hat immer in sich einen Preis. Aber wichtig ist, dass es verfassungskonform ist. Und das erfüllt unser Gesetzentwurf, und die Frage der Überhangmandate ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein verfassungsrechtliches Problem, insbesondere dann, wenn sie auf die Mehrheitsbildung einer Koalition Einfluss haben. Und es kann nach dem jetzigen Wahlrecht, nach den Berechnungen der Mathematiker sein, wenn wir die aktuellen Umfragen der letzten Monate zugrunde legen, passieren, dass die Partei A und B eine Mehrheit bei den Wählern hat und die Parteien C und D eine Mehrheit der Sitze im Deutschen Bundestag.

Hatting: Und das soll jetzt geändert werden. Volker Beck war das, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Beck!

Beck: Bitteschön, Wiederhören!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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