Beck: Keine weiteren Truppen nach Afghanistan

Moderation: Frank Capellan |
Nach der Entsendung von Tornadoflugzeugen für den Afghanistan-Einsatz hat der SPD-Vorsitzende Kurt Beck den Einsatz zusätzlicher Bundeswehrtruppen für Kampfeinsätze ausgeschlossen. Die Aufklärungsmission der Tornados sei eine Voraussetzung dafür, bisher Erreichtes nicht zu gefährden, betonte der SPD-Politiker im Deutschlandradio Kultur.
Frank Capellan: Zu Beginn dieser Sendung um kurz nach fünf hatten wir bereits Gelegenheit zu einem Live-Gespräch mit Kurt Beck. Der SPD-Vorsitzende befindet sich zurzeit auf einer Reise durch Afghanistan an dem Tag, an dem mit der Verlegung deutscher Tornado-Aufklärungsflugzeuge an den Hindukusch begonnen wird. Ein Einsatz, der auch unter Sozialdemokraten sehr umstritten ist. Ich habe Kurt Beck zunächst gefragt, wie groß seine Sorge ist, dass Deutsche durch eine Verstärkung des militärischen Engagements verstärkt zur Zielscheibe von Terroristen werden könnten.

Kurt Beck: Ich glaube, dass wir zunächst einmal erkennen müssen: Das, was in Afghanistan geschieht, im Norden genauso wie im Süden, ist eine Mission. Und diese Mission heißt: zivil-militärisch neue Perspektiven zeigen und Aufbauhilfe leisten. Allerdings ist wahr: Die Taliban-Kräfte, teilweise auch kriminelle Kräfte, sind im Süden stärker zugange als im Norden. Aber Aufklärung zu leisten, ist eine Basis dafür, dass man nicht all das, was erreicht worden ist und was auf dem Weg gebracht worden ist, wieder verliert. Insoweit ist dieser Einsatz kein Durchbrechen dessen, was Deutschland zu leisten willens ist und was auch die Basis des ISAF-Einsatzes, also des Einsatzes der internationalen Truppen, ist.

Capellan: Und dieser Einsatz läuft so, wie Sie es erwartet haben? Wie sind Ihre ersten Eindrücke aus Afghanistan?

Beck: Man hat sehr wohl den Eindruck, den kann ich insbesondere aus dem Bereich schildern, in dem deutsche Truppen zusammen mit zivilen Helfern versuchen ihren Beitrag zu leisten - ein Riesengebiet im Übrigen, so groß wie die Bundesrepublik Deutschland annähernd. Also dort spürt man, dass etwas geschieht, dass den Menschen ein Stück Hoffnung wieder vermittelt wird, denn ein Vierteljahrhundert Kriege und Bürgerkriege haben dieses Land wirklich ins Mittelalter zurückgebombt, und insoweit, Schulen wieder aufzubauen, wir haben selber den Grundstein gelegt für eine Mädchenschule: Da spürt man, die Menschen sind dabei, und sie betrachten das als richtige Hoffnung.

Capellan: Auf der anderen Seite nimmt die Gewalt in Afghanistan wieder zu, Anschläge mehren sich, sie sind auch gegen Deutsche mittlerweile gerichtet, die Taliban bekommen wieder Aufwind. Also Ihre Analyse vielleicht doch ein wenig zu optimistisch?

Beck: Nein. Es ist auch nicht so, dass sich die Anschläge wirklich mehren. Ich habe aus den Lageberichten sowohl der ISAF als auch der deutschen Seite und des Botschafters etwas anderes vernommen. Natürlich ist die Lage ernst zu nehmen, ich will überhaupt nichts schönreden. Aber es ist weniger an Übergriffen zu spüren als in den vergangenen Jahren. Von der Frühjahrsinitiative der Taliban ist bisher nichts zu vermelden.

Ich hatte mit dem Präsidenten, mit Herrn Karsai gesprochen, am gestrigen Tag, habe gestern Abend sehr lange mit fünf Ministern seiner Regierung zusammen gesessen, aber auch mit den zivilen Helfern zwei Stunden intensiv gesprochen. Also es gibt Hoffnung, es gibt Rückschläge, wir haben sicher noch vieles vor uns, das ist keine Kurzfristmission. Aber es geht eben wirklich darum, ob eine Orientierung an Zukunft hier eine Chance hat.

Capellan: Und Sie haben keine Sorge, dass die Lage gerade für die deutschen Soldaten durch diesen Tornado-Einsatz gefährlicher werden könnte? Auch Geheimdienste hier in Deutschland haben gestern wieder davor gewarnt, gerade wegen dieses Einsatzes könnte es zu Anschlägen auch in Deutschland kommen.

Beck: Da gibt es ein Risiko, das ist nicht wegzureden, aber es ist auf der anderen Seite so, dass wir uns hier nicht ständig wegducken können, sondern wir in diesem Maße – in keinem weiteren, das habe ich auch hier betont. Also es gibt keine und kann keine zusätzlichen Truppen, die dort in Kampfhandlungen eingreifen, geben. Aber das, was wir hier leisten, das ist im Sinne einer Zukunftschance für dieses Volk. Und ich glaube, wir müssen diese Chance nutzen, denn ansonsten würde der internationale Terrorismus in der Tat einen großen Sieg feiern.

Capellan: Herr Beck, bisher war ja die deutsche Seite eher zurückhaltend, was diesen militärischen Einsatz in Afghanistan angeht. Der ehemalige Verteidigungsminister Struck hat immer wieder davor gewarnt, sich zum Beispiel in den Drogenkrieg hineinziehen zu lassen, den Drogenanbau in Afghanistan aktiv zu bekämpfen. Jetzt sind Deutsche an der gezielten Ausschaltung von Taliban beteiligt. Damit bekommt das Ganze eine andere Dimension. Wird auch dieses Drogenproblem weiterhin ausgeklammert werden oder fährt man nun eine völlig andere Linie?

Beck: Also ich möchte mich Ihrer Analyse, dass das Ganze eine andere Dimension bekommt, ausdrücklich nicht anschließen. Ich spüre, dass dieser zivil-militärische, der Aufbauansatz, deutlich an Boden gewinnt in Afghanistan, und nicht umgekehrt. Das würde ich vorwegschicken. Nein, Deutschland hat keine Verpflichtung, keinen Auftrag, und ist auch nicht diesbezüglich einbezogen in die Bekämpfung des Drogenanbaus.

Das haben die Briten übernommen, sich um diese Fragen zu kümmern, sehr komplexe Fragen, da muss man den Bauern andere Perspektiven geben, bevor man da Erfolgschancen sieht. Aber Deutschland ist auf diesem zivil-militärischen Einsatzbereich eher erfolgreich. Und wir müssen jetzt zeigen, dass viele kleine Projekte den Menschen auch Hoffnung machen und daraus eine Friedenssituation entsteht, denn die Menschen sind hier natürlich kriegsmüde.

Capellan: Herr Beck, eine Frage noch zum Schluss: Experten sagen, in Afghanistan ist es fünf vor zwölf, die Rückkehr zu Krieg und Bürgerkrieg ist kaum noch aufzuhalten. Gibt es einen Punkt, an dem Sie sich vorstellen können, wo Sie sagen würden, wir müssen kapitulieren, wir können dieses Land einfach nicht befrieden?

Beck: Ich glaube überhaupt nicht, dass wir diesem Punkt näher gekommen sind, sondern eher, dass wir Distanz zu diesem Punkt gewonnen haben. Und ich habe dabei meine Beurteilung gestützt nicht zuletzt auf ein wirklich hervorragendes Engagement, das die deutsche Botschaft hier zeigt, das zivile Organisationen hier zeigen und das unsere Bundeswehr hier im Zusammenhang mit der ISAF hier zeigt. Also es ist bei weitem nicht so, dass es den Punkt gibt unmittelbar bevorstehend, wo wir sagen, wir können nicht weiter. Das würde ja bedeuten, dass wir die Menschen im Stich lassen.

Das geht so nicht, davon bin ich überzeugt, und ich glaube, wir haben durchaus eine sehr realistische Chance, die ich eher gewachsen denn gesunken sehe, diese Auseinandersetzung zu gewinnen. Es ist auch nicht so, dass hier täglich Krieg und Bomberei ist, das ist einfach ein falscher Eindruck. Es gibt sehr gelegentlich, sehr ernst zu nehmend, aber sehr gelegentlich, wie die Fachleute sagen, Scharmützel, und dann wieder ernst zu nehmende Übergriffe. Aber es gibt eben durchaus auch die Chance, die Situation zu beherrschen. Also es gibt mehr Hoffnung, als wir jetzt negative Zeichen verbreiten müssen.

Capellan: Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.