Becca Mancari: "The Greatest Part"

"Wir müssen kämpfen"

05:49 Minuten
Becca Mancari steht vor einem türkis anmutenden Himmel und blickt durch einen transparenten Teller ins Sonnenlicht, was auf ihrem Gesicht zu einem Lichtschlieren-Spiel führt.
Über die Geschichte sprechen, "darüber, wie Amerika entstanden ist": die Musikerin Becca Mancari. © Red Light Management/Zac Farro
Von Christa Herdering · 01.07.2020
Audio herunterladen
Becca Mancari lebt in Nashville, wo die USA mit am konservativsten sind. Auf Schwarze und queere Menschen lastet dort enormer Druck. Ihnen will die Musikerin mit ihrem neuen Album Mut machen - und liefert dazu eingängige, melancholische Melodien.
"Hier ist gerade eine echte Veränderung spürbar. Aber auch eine große, eine sehr große Aggression. Ich wurde geschlagen, ich wurde getreten – nur weil ich queer bin. Und das ist noch harmlos."

Hellwach und voller Energie

Becca Mancari ist hellwach und voller Energie. Jeden Tag gebe es Proteste in Tennessee, beinahe jeden Tag komme es zu Verhaftungen, auch in ihrem Bekanntenkreis. Aber ihre Generation werde den Wandel herbeiführen - da ist sich die Musikerin Anfang 30 sicher.
Seit über sieben Jahren wohnt sie in Nashville, Tennessee: das Zentrum der weißen Country-Musik in einem Bundesstaat mit langer Sklavenvergangenheit, in dem die Republikaner mehrheitlich gewählt werden.
"Ich lebe in einem blutroten Staat mit einem Gouverneur, dem das Schicksal der Menschen nichts bedeutet. Deshalb müssen wir kämpfen. Wir müssen über unsere Geschichte sprechen, darüber, wie Amerika entstanden ist. Wir müssen uns endlich der Vergangenheit stellen."

Aufgewachsen in einer christlichen Sekte

Sich der Vergangenheit stellen. Das ist auch das große Thema von Becca Mancaris neuem Album, "The Greatest Part". Vor über zehn Jahren kam es bei ihr zum Bruch mit der Familie: Die Eltern sind Mitglieder einer christlichen Sekte und wollen die Homosexualität ihrer Tochter nicht akzeptieren.
Becca Mancari flieht, zieht umher und landet schließlich in Nashville. An der Seite von Brittany Howard, Sängerin der Alabama Shakes, spielt sie in der Band "Bermuda Triangle" und veröffentlicht 2017 ihr Debütalbum, "Good Woman": reduzierter Indie-Folk mit einem Hauch Americana und Country.

Mut zum experimentellen Sound

Auf ihrem neuen Album ist davon nur noch wenig zu spüren. Der Sound ist experimenteller geworden. Statt Pedal-Steel-Gitarre sind nun vermehrt Drumcomputer und Sampleeffekte zu hören. Auch eine ausgefranste Noise-Gitarre bricht sich hier und da Bahn. Alles wirkt spielerischer. Leichter. Mutiger.
Doch der aufmunternde Klang ist nur die eine Seite. In ihren Texten erzählt Becca Mancari von Einsamkeit, Ablehnung und innerer Zerrissenheit. Zum Beispiel in dem Song "First Time":
"Der war einer der ersten Songs, die ich für das Album geschrieben habe. Er basiert auf einer wahren Geschichte. Ich erinnere mich noch genau an diesen einen Sommerabend in Virginia auf der Veranda, wo ich meinen Vater umarmt habe und er mich zum ersten Mal nicht zurück umarmt hat. Es war so traurig."

Ein Mann schreibt ihr Drohbriefe

Mit ihrer Musik möchte Becca Mancari Mut machen. Mut, den eigenen Weg zu gehen, auch wenn er schwierig und schmerzhaft sein kann. Noch Jahre nach der Emanzipation vom Elternhaus und von der Sekte erreichen sie Briefe eines Mannes, der ein Mitglied der Sekte ist. Er bedroht sie, will ihr einreden, dass sie auf dem falschen Weg ist und scheitern wird. Die Empörung und Wut darüber kanalisiert Becca in dem Song "Hunter":
"Er war Musiker in der Sekte und schrieb in seinen Briefen: 'Dein Leben ist sinnlos, wenn du deine Musik nicht der Gemeinde und Jesus widmest'. Oder: 'Ich weiß, was am besten für dich ist'."

Authentisch und eingängig

Tatsächlich spürt Becca Mancari aktuell wie nie zuvor, dass ihre Musik anderen Menschen helfen kann. Ohne dabei missionarisch klingen zu müssen.
Ihre sehr persönliche Art zu texten macht sie authentisch und bietet Identifikationsfläche. Gleichzeitig überfordern ihre Songs nicht, denn die Instrumentierung ist ungezwungen und die Melodien eingängig.
"Für dieses Album habe ich viel Popmusik gehört. Ich wollte einfach rausfinden, was einen Ohrwurm ausmacht. Ich möchte die Leute aufheitern, während ich gleichzeitig über die traurigsten Dinge aus meinem Leben singe."

Die Versöhnung mit den Eltern steht aus

Das Album endet mit dem Song "Forgiveness". Darin heißt es: "Forgiveness is the hardest part" – "Verzeihen ist das Schwierigste".
Mit den Eltern konnte sie noch keine Versöhnung finden. Aber mit sich selbst.
Und damit schließt sich der Kreis zum Albumtitel "The Greatest Part". Denn der großartigste Part im Leben sei, mit sich selbst im Reinen zu sein. Und das Leben leben zu können, das man für sich selbst gewählt hat.
Mehr zum Thema