BDI fordert Abschaffung der Gewerbesteuer

16.07.2005
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ludolf von Wartenberg, hat für die Abschaffung der Gewerbesteuer plädiert. Die Gewerbesteuer sei für große Unternehmen im internationalen Vergleich "eine ungewöhnliche Belastung", sagte von Wartenberg.
Deutschlandradio Kultur: Herr von Wartenberg, sind Politiker in Deutschland nicht mutig genug?

von Wartenberg: Angesichts der Debatten über die Wehleidigkeit der Deutschen sage ich, es gehört wohl offensichtlich schon Mut dazu, heutzutage zuversichtlich aufzutreten. Zum Mut gehört aber auch Folgendes zu sagen: Ich kann das nicht innerhalb kürzester Zeit schaffen. Was ich zum Beispiel nicht richtig fand, ist der Wahlspruch‚’Ich kann die Arbeitslosigkeit innerhalb von drei oder vier Jahren halbieren'. Ein Politiker kann gar nichts. Er kann die Rahmenbedingungen mit verändern und aufgrund dieser Rahmenbedingungen wird vielleicht ein Kreislauf in Gang gesetzt, der zu neuen Arbeitsplätzen führt. Aber auch wenn eine neue Regierung jetzt antritt, sie kann nicht versprechen in einer bestimmten Zeit, in zwei, drei Jahre dazustehen. Sie soll nur die Hoffnung, die Zuversicht vermitteln, dass das Ziel, wieder an der Spitze zu sein, mit diesem Weg erreichbar ist,.

Deutschlandradio Kultur: Und das heißt, Politiker brauchen im Grunde auch Mut zur Langsamkeit, Mut, lange Strecken durchzustehen. Das ist ja sehr schwierig geworden in einer Medien-Demokratie, wie unserer. Da sind Politiker tatsächlich oft Getriebene. Wir haben das erlebt bei diversen Reformen und nach ein paar Monaten sagen alle: 'und, wo sind denn die Erfolge jetzt?'

von Wartenberg: Also ich habe ja mit einem Kollegen zusammen ein Buch geschrieben 'Investition in die Zukunft. Wie kann Deutschland den Anschluss in die globalisierte Welt wieder erreichen?' Und das Buch 'Investition in die Zukunft' beschreibt genau dieses Phänomen. Wir brauchen eine gewisse Zeit. Einige haben gesagt, wie kommt denn ein Verbandsfunktionär wie der Wartenberg dazu, nun zur Langsamkeit aufzurufen?

Deutschlandradio Kultur: Manager sagen sonst immer 'zack, zack, jetzt muss es aber schnell gehen'.

von Wartenberg: Ja, das geht nicht zack, zack. Wir brauchen Zeit, es muss wachsen. Wir haben ein föderales System mit seinen Problemen. Das muss reformiert werden, das geht nicht von heute auf morgen. Es gibt keinen einzigen Punkt, wo ich sage, durch den Kündigungsschutz oder durch die Steuersenkung oder durch die Verschiebung der Lohnzusatzkosten auf die indirekten Steuern kann ich allein ein Problem lösen. Es ist ein gesellschaftliches Problem. Das kann auch nicht nur gelöst werden damit, dass ich ein richtiges Programm von einer Partei erwarte, sondern die Gesellschaft, die Führungsgruppen einzelner gesellschaftlicher Eliten müssen mitspielen.

Deutschlandradio Kultur: Aber es ist natürlich auch die berühmte Politik der 'ruhigen Hand' nicht angesagt - also stillhalten. Und die Grenze ist natürlich auch fließend. Guckt man sich Hartz IV beispielsweise an, ist vielleicht die Unruhe, dass sich die Arbeitslosenzahlen nicht innerhalb weniger Monate verändern, unangebracht. Auf der anderen Seite, der Mut so etwas anzugehen, muss natürlich auch irgendwann belohnt werden, denn so funktioniert Politik.

von Wartenberg: Das ist richtig. In dem Fall Hartz IV oder den ganzen Hartz-Gesetzen kommen natürlich hinzu, dass wir das in einer Zeit machen mussten, die aber gleichzeitig nicht mit einem Wachstum verbunden war. In einer Wachstumsphase hätten sich die positiven Ergebnisse wahrscheinlich schneller auch sichtbar umgesetzt. Hinzu kamen erhebliche handwerkliche Fehler, die zu diesem gewaltigen Defizit von über zehn Milliarden geführt haben, die nicht einkalkuliert waren. Lassen Sie mich das anders formulieren: Ich gehe gern im Wald spazieren. Sie haben dort schnell wachsende Bäume und Sie haben langsam wachsende Bäume. Die langsam wachsenden Bäume haben ein festeres Holz. Ich brauche mehr Zeit, mehr Geduld, das sind die Eichen. Die Tannen sind schneller wachsend. Was wir brauchen zurzeit sind Verlässlichkeit darauf, die Erwartung, die Zuversicht, hier wird wirklich eine Kursänderung vorgenommen, die über die Zeit hinaus zu konstruktiven Ergebnissen führt.

Deutschlandradio Kultur: Würden Sie sich denn eine 'Maggie Merkel' wünschen?

von Wartenberg: Na, ich habe gestern mit Frau Merkel gesprochen, und sie daran erinnert, dass irgendjemand sie mit Ronald Reagan verglichen hat.

Deutschlandradio Kultur: Man hat die beiden, Maggie Thatcher und den Ronald Reagan, ja auch immer gerne in einen Zusammenhang gestellt.

von Wartenberg: Man sollte Frau Merkel sein lassen und, wie sie sich entwickelt…

Deutschlandradio Kultur: Sie wissen schon, was gemeint war, wollen Sie jemanden, der wirklich mit eisernem Besen kehrt und sagt, 'die ganze Kritik interessiert mich doch nicht, jetzt machen wir hier Reformen - und zwar beinhart'

von Wartenberg: Es gibt einen gewaltigen Unterschied im Vergleich von Frau Merkel und Frau Thatcher: Frau Thatcher lebt im englischen System, wir im deutschen System. In England haben wir ein ganz anderes Wahlrecht, wir haben ein Mehrheitswahlrecht, wir haben dort Ja oder Nein. Und selbst die Parlamentssitze im Commonwealth sind anders organisiert, da sitzt sich Regierung und Opposition gegenüber, wir haben auf dem Kontinent die runden Parlamentssitze, wo im Prinzip auch eingeladen wird, eine Lösung gemeinsam zu finden. Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Deutschlandradio Kultur: Und es ist es ein Problem? Es gibt zum Beispiel den CDU-Politiker, Peter Müller, seines Zeichens Ministerpräsident im Saarland, der sagt, 'Konsens ist meist der Feind der Erneuerun'.

von Wartenberg: Es freut mich, dass Herr Müller das sagt.

Deutschlandradio Kultur: Sie würden das aber so nicht sagen wollen?

von Wartenberg: Es gibt bestimmte Dinge, da muss entschieden werden.

Deutschlandradio Kultur: Auch wenn nicht Konsens dafür herzustellen ist?

von Wartenberg: Erst recht, wenn kein Konsens hergestellt werden kann, dann muss irgendwo entschieden werden. Manchmal ist eine schnelle Entscheidung, auch wenn sie am Anfang falsch ist richtig, besser als wenn gar keine Entscheidung getroffen wird. Darunter leidet ein bisschen unsere Diskussionskultur in Deutschland, das gebe ich zu. Ich freue mich, dass Herr Müller das sagt, weil Herr Müller ja gehandelt wird als ein zukünftiger Minister und er gilt als Vertreter des sozialpolitischen Flügels der Union. Gerade den Sozialpolitikern der Union hat man ja dieses Konsensmodell immer vorgeworfen. Wenn er davon selbst durch so ein Zitat Abstand nimmt, dann verheißt das ja eine gewisse Entscheidungsfreudigkeit.

Deutschlandradio Kultur: Reden wir jetzt nicht mal über die Politik, sondern über die Wirtschaft: Wie, Herr von Wartenberg, begreifen Sie eigentlich den bekannten Artikel 14.2 in unserem Grundgesetz: 'Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen?'

von Wartenberg: Das ist ein richtiger Anspruch, und dem müssten sich auch die Unternehmer stellen. Zur Elite, finde ich, gehört die Fähigkeit, Abstand nehmen zu können von eigenen Interessen. Wie kann ich mein eigenes Interesse einbringen zum Wohl der Gemeinschaft?

Deutschlandradio Kultur: Aber heißt es, diesen Artikel 14, Absatz 2 völlig falsch verstehen, wenn man festhält, dem Allgemeinwohl ist natürlich am besten gedient, wenn aus Profit Arbeitsplätze generiert werden?

von Wartenberg: Nein. Profit ist Voraussetzung dafür, dass Arbeitsplätze entstehen.

Deutschlandradio Kultur: Aber Profit wird nicht unbedingt zwangsläufig in Arbeitsplätze umgesetzt, wie zu beobachten war.

von Wartenberg: Nun lassen Sie uns doch folgendes Beispiel machen: Wenn gesagt wird, alles hat Vorrang was Arbeit schafft, da kann das missverstanden werden. Ich kann ja auch Arbeitsplätze schaffen indem ich meiner Frau verbiete. eine Waschmaschine zu benutzen, damit sie eine Haushaltshilfe einstellt.

Deutschlandradio Kultur: Das ist ein schönes Bild, aber es ist natürlich eine Absurdität, die den Realitäten nicht entspricht.

von Wartenberg: Es ist leider nicht so absurd, denn in England gab es lange Zeit trotz Elektro-Loks noch die Verpflichtung der Eisenbahn, Heizer zu beschäftigen, damit die Kohle geschippt wird, die aber nicht mehr benutzt wurde. Also, soweit war das Ausfluss dieser sozialistischen Idee, ‚ich schaffe Arbeit, indem ich sie einfach verordne’. Wir schaffen Arbeit dadurch, dass wir sagen ‚ wir haben eine Idee, wir haben eine Wertschöpfung - egal auf welchem Gebiet - und durch diese Wertschöpfung schaffe ich ein Produkt oder eine Dienstleistung, die auf dem Markt nachgefragt wird. Und dadurch, dass sie nachgefragt wird, entsteht Arbeit.

Deutschlandradio Kultur: Lassen wir uns, Herr von Wartenberg, mal vom Allgemeinen zum Speziellen kommen: Es liegt auf dem das Programm der Union Tisch, womit die Schwesterparteien regieren wollen, wenn es denn an ihnen wäre, dass nach den nächsten Neuwahlen zu tun. Bevor wir mal ein paar Details davon durchaus diskutieren, erst mal ganz allgemein: Ist es ein insgesamt überzeugendes, schlüssiges, mutiges Konzept - ist es also der berühmte Entwurf aus einem Guss, der da vorliegt?

von Wartenberg: Na ja, es ist ein Wahlprogramm, und es ist kein Programm des BDI. Nicht alle Wünsche, die wir haben, finden sich dort wieder.

Deutschlandradio Kultur: Wirklich begeistert klingen Sie jetzt auch nicht.

von Wartenberg: Nein, das kann bei einem Wahlprogramm auch nicht sein. Aber ich glaube, der Mainstream stimmt. An prominenter Stelle zum Beispiel, gleich zu Beginn des Wahlprogramms, wird gerade das vermittelt, was ich versuche auch zu beschreiben, was wir brauchen: Hoffnung, Zuversicht, Wachstum, die ganzen Fragen der Innovation sind sehr prominent platziert. Es gibt eine ganze Reihe von Vorstellungen, die ich gut finde. Andere, die sind unvollendet oder die müssen erst noch im Regierungsprogramm ausgearbeitet werden. Im Vergleich zu dem, was die bisherige Regierung vorgelegt hat, also das jetzige SPD-Programm, muss ich sagen, ist das, was die CDU/CSU vorgelegt hat, eindeutig vertrauenswürdiger, kalkulierbarer.

Deutschlandradio Kultur: Und im Vergleich zu dem, was Frau Merkel und ihre CDU auch schon mal an anderer Stelle, zum Beispiel auf Parteitagen und ähnlichem, an Programmatischem gesagt hat?

von Wartenberg: Natürlich war Frau Merkel oder war die CDU in manchen Punkten schon mal konkreter. Das ist noch nicht die Regierungserklärung. Es gibt einige Elemente, wo wir sagen können, ‚Herrgott noch mal, muss das nun gerade sein? Etwa, dass man bei der Frage der Lohnzusatzkosten mit der Mehrwertsteuer anfängt….

Deutschlandradio Kultur: Und, muss es gerade sein?

von Wartenberg: Also im Endeffekt möchte ich eine Mehrwertsteuererhöhung ja nicht ausschließen. Nur, es kommt darauf an, wann sie kommt. Zunächst habe ich mal die Aufgabe, die Staatsfinanzen von der Ausgabenseite her zu sanieren und jede Steuererhöhung zu vermeiden. Dann habe ich die Aufgabe, die sozialen Systeme in sich auf ihre Effizienz hin zu überprüfen. Ich glaube, dass das innerhalb des Gesundheitssektors, der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung in sich ein gewaltiges Sparpotential gibt. Und wenn das alles nicht reicht und wir dann im Endeffekt sagen, wir wollen dennoch die Lohnzusatzkosten senken - denn bekanntermaßen werden ja die sozialen Sicherungssysteme überwiegend auf der Basis des Lohnes bezahlt, deshalb sind die Lohnkosten ja so teuer im Vergleich zum Ausland - wenn das reduziert wird, dann kann in dem Umfang über eine Anhebung der indirekten Steuer gesprochen werden.

Deutschlandradio Kultur: Es geht doch tatsächlich um ein Umsteuern, um Ihr letztes Stichwort 'indirekte Steuer' aufzugreifen: Es kam doch auch immer wieder von Seiten der Unternehmer die Forderung, 'wir müssen von den direkten Steuern schlussendlich mehr auf indirekte Steuern kommen'.

von Wartenberg: Wir wollen keine höhere Gesamtbelastung haben. Die Gesamtbelastung in der Kostenkalkulation eines Unternehmens liegt insbesondere in hohen Lohnkosten. Die Lohnkosten setzen sich aus drei Elementen zusammen: Da ist das, was der Arbeitnehmer in der Hand hat, der Lohn. Es kommen dann die Steuern, die zu bezahlen sind und jetzt diskutieren wir über die 40 Prozent, die draufkommen an den Lohnzusatzkosten, für die Krankenversicherung, für die Arbeitslosenversicherung, für die Rentenversicherung, für die Pflegeversicherung. Und wenn ich diese vier Dinge reduzieren will, dann muss ich dafür einen Ersatz haben. Ich kann nicht alles der Selbstverantwortung überlassen. Der Bürger, der Arbeitnehmer hat einen bestimmten Anspruch. Ich brauche eine gewisse Solidarität aus der Solidarkasse. Aber ein großer Teil davon muss eben auch von Steuern finanziert werden. Und wenn sich das ausgleicht dadurch, dass die direkten und indirekten Steuern dafür herhalten müssen, dann könnte ich dafür Verständnis haben. Jetzt bereits zahlen wir ja Ökosteuer oder Tabaksteuer zugunsten von Pflege und zugunsten der Rente.

Deutschlandradio Kultur: Das wird ja auch nicht abgeschafft, sollte die CDU die Wahlen gewinnen.

von Wartenberg: Na ja, natürlich wäre es schön, wenn die CDU/CSU antreten könnte mit der Ansage: 'Wir schaffen die Ökosteuer ab.'

Deutschlandradio Kultur: Und die Gewerbesteuer gleich noch mit, wenn wir schon dabei sind.

von Wartenberg: Richtig, das wäre wunderbar. Das gebe ich zu, da vermissen wir etwas, gerade beim Thema Gewerbesteuer, dass die Union da nicht zuversichtlich unser Konzept verfolgt, was wir mal ausgerechnet haben. Aber auf der anderen Seite, angesichts des Haushalts von Bundesfinanzminister Eichel kann ich schon verstehen, dass man erst mal mit dem, was man einnimmt, auch an falscher Ökosteuer, kalkulieren muss. Soweit habe ich da politisches Verständnis.

Deutschlandradio Kultur: Ich komme nun zurück auf Mehrwertsteuer. Die CDU sagt ja, wenn wir die Mehrwertsteuer raufsetzen, dann können wir im Gegenzug die Lohnnebenkosten senken und dann schaffen wir Arbeitsplätze dadurch. Ist das nicht richtig?

von Wartenberg: Wenn das so wäre, wäre das in sich schlüssig. Aber es steht ja auch drin, dass ein Teil dieser Mehrwertsteuereinnahmen auf Druck der Länder an die Länder fließen wird….

Deutschlandradio Kultur: Das war der Preis, den die Ministerpräsidenten eingeklagt haben, um Merkels Konzept mitzutragen….

von Wartenberg: Das ist das, was uns am meisten stört.

Deutschlandradio Kultur: Also wir halten fest: Wenn es tatsächlich ausschließlich zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet würde - Konjunktiv 2 - dann wäre es O.K.?


von Wartenberg: Konjunktiv 2, dann wäre es O.K. Denn die Mehrwertsteuer hat ja für uns ja auch immer noch das Element des von Ihnen bereits angesprochenen Ersatzes der Gewerbesteuer. Die Gewerbesteuer ist eine im internationalen Vergleich ungewöhnliche Belastung, nur wenige Unternehmen, die das bezahlen. Die Kleinen sind draußen, die Freiberufler sind auch draußen, alle schaffen sie Arbeitsplätze, und weshalb sollen nur die Industrieunternehmen, ab einem bestimmten Umsatz zuständig sein für die Finanzierung der Gemeinden? Wir haben da ein anderes überzeugendes Konzept vorgelegt, findet zur Zeit keine Mehrheit, wir realisieren das, aber ich würde mich schon gefreut haben, wenn die Union in dem Papier deutlicher zum Ausdruck bringt, dass das auch ein Reformvorhaben wäre.

Deutschlandradio Kultur: Wie viel Freude ringt Ihnen denn der Vorschlag ab, Kombi-Lohn einzuführen - das heißt, staatliche Unterstützung für den Niedriglohn-Bereich? Wie denn nun genau es gemacht werden soll, steht ja erst mal nicht drin. Finden Sie die Idee prima?

von Wartenberg: Ja, das ist richtig. Wenn durch einen derartigen Kombi-Lohn diese Brücke geschaffen werden kann, von Sozialhilfe in den normalen Arbeitsmarkt zurück zu kommen, dann ist das der richtige Weg.

Deutschlandradio Kultur: Theoretisch klingt das ja auch wirklich überzeugend. Praktisch hat es da, wo es Modellcharakter hatte, Stichwort 'Mainzer Modell', wo es praktisch versucht wurde, etwa in Rheinland-Pfalz, eben so gut wie keine Beschäftigungseffekte gehabt.

von Wartenberg: Das ist richtig, dennoch die Idee ist gut. Also sollte man daran arbeiten es sinnvoll zu gestalten. Ich kenne keine Alternative. Wir wollen ja möglichst gerade auch für die Sozialhilfeempfänger oder diejenigen, die in kurze Arbeitslosigkeit verfallen, diese Arbeitslosigkeit möglichst kurz belassen. Häufig ist es nur möglich durch einen geringen Zuverdienst, also durch eine Teilzeitbeschäftigung das Einkommen zu verbessern. Und wenn es sich dann nicht rechnet, weil ich dann Sozialhilfe verliere, dann stimmt da was nicht. In soweit ist der Vorschlag der Union, erneut nachzudenken, ob man Kombilöhne schaffen sollte, prüfenswert.

Deutschlandradio Kultur: Im Grunde, Herr von Wartenberg, müssten Sie eigentlich auch unzufrieden sein über das, was im Wahlprogramm der CDU und der Union drin steht in Sachen Körperschaftssteuer. Jetzt liegt sie bei 25 Prozent, beim so genannten Job-Gipfel von Bundesregierung und Opposition war noch vereinbart worden, wir reduzieren sie auf 19 Prozent, die CDU hat sich jetzt auf 22 verständigt.

von Wartenberg: Wir würden eine Körperschaftssteuer bei 19 Prozent begrüßen, aber entscheidend ist, wie denn die Gegenfinanzierung ist…

Deutschlandradio Kultur: Na zum Beispiel, indem die Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen verschlechtert werden sollen - in Ihrem Sinne verschlechtern.

von Wartenberg: Es kommt nicht darauf an, wie hoch der Satz ist, sondern wie hoch die Gesamtbelastung ist. Und wenn der Satz 19 Prozent oder 22 Prozent ist, auf der anderen Seite durch Maßnahmen wie die Abschaffung der degressiven AFA…

Deutschlandradio Kultur: Halt, können wir das mal bitte auf Deutsch haben?

von Wartenberg: Ja, das ist die Abschreibung. Also ich kann bisher in Anfangsjahren nach einer Investition mehr abschreiben als in den Endjahren. Wir sind natürlich Anhänger dieses degressiven Modells der Abschreibung, weil das Neuinvestitionen befördert. Das ist ein Punkt, um den wir dann streiten müssen. Es gibt noch andere Dinge der Gegenfinanzierung, zum Beispiel die Versteuerung der Veräußerung von Kapitalanteilen, die dort moderat besteuert werden sollen. Da muss man rechnen. Ist die Körperschaftssteuersenkung 25 oder 22 Prozent wirklich eine Entlastung, oder wird diese Satzsenkung durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage so finanziert, dass die Unternehmen im Endeffekt eine höhere Gesamtbelastung haben, dann stimmt das Konzept nicht.

Deutschlandradio Kultur: Sie argumentieren jetzt, wie praktisch jeder Privatmensch, der sagt, Steuervereinfachung ist wunderbar, aber wenn es mir an den Kragen geht, dann passt es mir doch nicht so recht.

von Wartenberg: Warum soll ich nicht so argumentieren dürfen? Nein, wir fragen schon nach einem Gesamtkonzept, das muss in sich stimmig sein. Dass der Staat nichts zu verschenken hat, das wissen wir. Aber wenn an so prominenter Stelle im Programm steht, wir wollen Innovation, Wachstum fördern, dann muss ich schon einen Blick wagen auf die Belastung der Abgaben. Unternehmen können genau rechnen. Sie wollen wissen, was kommt an Gesamtbelastung raus und da spielen dann die einzelnen Komponenten schon eine Rolle. Was wird aus Gewinnen hinzugezogen und was nicht? Welche Kosten kann ich absetzen, welche nicht?

Deutschlandradio Kultur: Wer eigentlich, Herr von Wartenberg, ist für Sie, wenn Sie solche Dinge diskutieren wollen in der Union, im Moment der Ansprechpartner oder die Ansprechpartnerin? Ist es Merkel, ist es Merz, ist es Stoiber, ist es Koch? Mit wem reden Sie über Ihre Belange?

von Wartenberg: Wir reden mit Frau Merkel, mit Herrn Stoiber, mit Herrn Koch, mit Herrn Meister. Wir reden mit vielen von denen.

Deutschlandradio Kultur: Aber mit Herrn Merz nicht mehr?

von Wartenberg: Natürlich reden wir mit Herrn Merz, aber ich realisiere, dass die Meinung von Herrn Merz im Moment nicht in die aktive Unionsprogrammatik eingeht. In der aktuellen Politik, in Bezug auf das Wahlprogramm wie das ist, reden wir mit denen, die von der Parteivorsitzenden, Frau Merkel und Herrn Stoiber beauftragt worden sind, dieses Programm zu formulieren.

Deutschlandradio Kultur: Ihnen fehlt nicht so ein Kopf, ein Mensch, wo man wüsste, für den Bereich ‚Wirtschaft’, da steht die Person XYZ – so wie es halt lange Zeit der Herr Merz war.

von Wartenberg: Natürlich können wir mit Herrn Merz nach wie vor über alle Belange reden, und zwar sehr intelligent und lebendig.

Deutschlandradio Kultur: Aber er ist ja nicht mehr der beste Freund von Frau Merkel, was ja möglicherweise ein Problem ist.

von Wartenberg: Ich gestehe, ein Friedrich Merz hat eine hohe Anerkennung in der Wirtschaft - gar kein Zweifel. Aber die Unternehmer, die die Gelegenheit haben, sich mit Frau Merkel über diese Themen zu unterhalten, sind immer wieder erstaunt darüber, wie konkret sie Bescheid weiß.
Das Gespräch wurde geführt von Annette Riedel und Marie Sagenschneider.


Ludolf-Georg von Wartenberg wurde am 22. Sept. 1941 in Fürstenwalde/Spree geboren und stammt aus einer preußischen Offiziersfamilie. W. besuchte die Schulen in Hannover und studierte nach dem Abitur 1963 Volkswirtschaft und Geschichte in Hannover, Göttingen und Belfast/Nordirland. Nach dem Diplomexamen 1967 promovierte er 1970 zum Dr. rer. pol. Von 1967 bis 1972 war W. als Betriebsberater bei der Handwerkskammer Hannover tätig und anschließend bis 1976 Geschäftsführer eines Verbands der Wohnungswirtschaft. 1985-1987 war er Direktor bei der Hannover-Rückversicherungs-AG in Hannover. Politisch in der CDU engagiert seit 1967, führte W. als Vorsitzender den CDU-Kreisverband Hannover-Stadt und war stellv. Bezirksvorsitzender der CDU im Regierungsbezirk Hannover. 1970-1976 gehörte er für die CDU dem Landtag von Niedersachsen an. 1976 kam er über die niedersächsische CDU-Landesliste in den Deutschen Bundestag. März 1987 wurde W. Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Anfang Juli 1989 schied W. aus dem Bundeswirtschaftsministerium aus und trat zum 1. Jan. 1990 sein neues Amt als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, BDI, an, einem der wichtigsten verbandspolitischen Posten in Deutschland.