Bayreuth und die Eventkultur

Von Jürgen Kesting |
"Durch Sie bin ich heute auf einen Platz gestellt", so rief Richard Wagner am 22. März 1872 seinen Freunden und Gönnern zu, "wie ihn gewiß noch nie vor mir ein Künstler einnahm. Sie glauben meiner Verheißung, den Deutschen ein ihnen eigenes Theater zu gründen." Wenn die diesjährigen Festspiele auf dem Grünen Hügel mit einer Aufführung des "Parsifal" schließen, endet nach vier Jahrzehnten eine Ära: die von Wolfgang Wagner.
Eva Wagner-Pasquier hängte das Mäntelchen offenbar in den Wind, als sie sich mit ihrer Halbschwester Katharina verbündete. Im Konzept wird einfach behauptet: "Wagner in Bayreuth bedeutet höchste Authentizität." Worin diese besteht, bleibt allerdings offen. Das Ziel sind, so heißt es vage genug, "festliche Aufführungen der Werke Wagners".

Was aber ist festlich? Die Kanzlerin und Show-Stars auf dem roten Teppich - das sind die Siglen dessen, was heute als Event bezeichnet wird. Es ist zwar lästig, aber sinnvoll, noch einmal an die Ursprungs-Idee der Bayreuther Festspiele zu erinnern. "Im Kunstwerk werden wir Eins sein", hatte Richard Wagner verhießen. Mit den Worten von Friedrich Nietzsche: "Damit ein Ereignis Größe habe, müssen zwei Dinge zusammenkommen: der große Sinn derer, die es vollbringen, und der große Sinn derer, die es miterleben."

Das ist unzeitgemäßer denn je. Festspiele sind zu den für die Wirtschaft wichtigen Standort-Faktoren geworden, nicht nur in Bayreuth, sondern auch und gerade in Salzburg. Sie bieten all das, was Richard Wagner in seiner Schrift "Die Kunst und die Revolution" verwarf: "Ihr wirkliches Wesen ist die Industrie, ihr moralischer Zweck der Gelderwerb, ihr ästhetisches Vorgeben die Unterhaltung der Gelangweilten."

In Bayreuth brachte Katharina ihres Urgroßvaters "Meistersinger" mit allerlei Zitaten und Assoziationen aus dem Arsenal der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte auf die Bühne: mit Bach-Beethoven-Mozart-Wagner als Grand-Guignol-Zombies, mit Erinnerungen an Reichsparteitage und mit tausend Gags aus der Hölle des Humors.

Bayreuth watet - Stichwort "Public viewing" - zielbewusst in die Untiefen pseudodemokratischen Massenkultes - und Katharina stilisiert sich zur Ikone, wenn sie hundertfach auf der Bühne erscheint: gedoubelt von den Mitgliedern des Chors.

Pop ist das Stichwort. Es ist acht Jahre her, dass Anna Netrebko in Salzburg als Donna Anna in Mozarts "Giovanni" Sensation machte. Dass sie in diesem Jahr, weil hochschwanger, auf die Partie der Juliette in Charles Gounods "Roméo et Juliette" verzichten musste, sorgte für ebenso viele Schlagzeilen wie der Vater ihres Babys, der als Leporello auf der Bühne stand.

Ihr Ersatz, die georgische Sopranistin Nina Machaidze, erwies sich mit neckischem Augenaufschlag und lockendem Schmollmund als perfektes Double - wenn man denn überhört, dass die Stimme der 25-Jährigen in der Höhe schon scharf klingt.

Die szenische Ausstattung erinnerte Julia Spinola von der FAZ an einen dem Zirkus Roncalli entsprungenen venezianischen Maskenball. Gemacht wird, was ankommt, nicht mehr, worauf es ankommt - "opera light", wie sie vom Fernsehen ebenso gebraucht wird wie für die Unterhaltung jener Gelangweilten, die sich in Salzburg auf einem 500 Euro teuren Sessel niederlassen und im Idiom des Düsseldorfer Geldadels fragen: "Watt jibt et denn heute abend?" Vom Motto der diesjährigen Festspiele haben sie sich nicht abschrecken lassen. Es lautet: "Die Liebe und der Tod."

Jürgen Kesting, Musikkritiker und Journalist, wurde 1940 in Duisburg geboren. Nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie arbeitete er zunächst für Schallplattenfirmen, wechselte dann aber in den Journalismus. Er schreibt unter anderem für den "Stern" und die "FAZ". Außerdem publiziert er regelmäßig in Fachblättern wie "Opernwelt" und "Musik und Theater". Zu seinen wichtigsten Büchern zählt das dreibändige Standard-Werk "Die großen Sänger", das in diesem Jahr wieder neu aufgelegt wird. Viel Beachtung fanden auch seine Biografie/Monografie über Maria Callas und sein Essay über Luciano Pavarotti.