"Bayern war schon 1954 reif für einen SPD-Ministerpräsidenten"

Christian Ude im Gespräch mit Ulrich Ziegler · 20.04.2013
Im September will er Ministerpräsident werden, seit 20 Jahren regiert er München: Christian Ude (SPD) glaubt an eine neue Mehrheit in Bayern. Er kritisiert die "krassen" wirtschaftlichen Gegensätze im Freistaat und fordert mehr Geld für Kommunen.
Deutschlandradio Kultur: Christian Ude ist Oberbürgermeister von München, Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl in Bayern und noch Städtetagspräsident. Guten Tag, Herr Ude.

Christian Ude: Grüß Sie Gott.

Deutschlandradio Kultur: Herr Ude, die SPD hat sich für den Slogan "Das Wir entscheidet" entschieden. Könnte eigentlich auch bei der CSU auf Wahlkampfplakaten stehen. Oder nicht?

Christian Ude: Nein. Das würde ich nicht vermuten. Dann hätte sicherlich Guido Westerwelle nicht gesagt, dass es ihn an die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands erinnert. Damit macht er ja deutlich, Gemeinsinn zu betonen ist für Schwarz-Gelb nicht angesagt. Das ist eher ein rot-grünes Motto, dass wir auf Gemeinschaft und Gemeinsinn setzen und nicht auf die profitliche Durchsetzung individueller Interessen.

Deutschlandradio Kultur: Dann frage ich doch gleich mal den Oberbürgermeister, der Sie ja auch sind: Wäre es um das Wir gegangen, hätte eigentlich München die Wohnungen der GBW übernehmen können, sagt zumindest Söder – haben Sie aber nicht. Warum nicht?

Christian Ude: Weil Markus Söder Kasse machen wollte, möglichst hohen Profit für den Freistaat Bayern, der dann wieder mit seiner Finanzlage renommieren kann. Die Kommunen haben sich in Bayern – übrigens mit vielen CSU-regierten Städten – zusammengetan, um die Mieter des Freistaats davor zu retten, dass der Freistaat sie den Spekulanten und dem freien Spiel der Kräfte ausliefert.

Deutschlandradio Kultur: Aber wer sind denn die Spekulanten? Die Patrizia? Da sind Sparkassen dahinter. Das ist doch keine Heuschrecke.

Christian Ude: Aber, Entschuldigung, die Firma Patrizia kenne ich sehr gut. Sie ist natürlich ein Kapitalverwerter, der auf dem Wohnungsmarkt Wohnungsbestände aufkauft, um sie mit Gewinn für die Anleger zu verwerten. Da gehören Mieterhöhungen dazu. Da gehören Renovierungsmaßnahmen mit mietsteigernder Wirkung dazu. Da gehören vor allem Weiterverkäufe dazu. Die Patrizia ist ein seriöses Unternehmen. Das habe ich ausdrücklich anerkannt. Sie bedient sich keiner üblen Methoden, die wir auf dem Wohnungsmarkt auch kennen, aber es ist eine reine Kapitalverwertungsfirma, die allein vom Renditestreben angetrieben wird.

Deutschlandradio Kultur: Ist denn möglicherweise das Kind schon in den Brunnen gefallen oder glauben Sie, dass Sie das möglicherweise noch mal verhindern können, indem Sie über Brüssel gehen?

Christian Ude: Inzwischen vermute ich, dass es in den Brunnen gefallen ist, denn die Staatsregierung hat ja ihr skandalöses Unternehmen, der Patrizia auch noch 50 Millionen aus öffentlichen Geldern zukommen zu lassen, wieder fallenlassen wie eine heiße Kartoffel, nachdem ich Beschwerde in Brüssel eingelegt habe. Damit ist der Deal jetzt wohl nicht mehr in vergleichbarer Weise angreifbar. Und es wird vermutlich dabei bleiben. Jedenfalls fürchten das die Mieter mit Recht und mit Sorge.

Deutschlandradio Kultur: Herr Ude, ist das immer das ähnliche Spiel? Die Landesregierung entscheidet oder auch die Bundesregierung und am Schluss tragen die Kommunen dann die Folgen und müssen sozusagen die Zeche bezahlen und dann auch der Mieter?

Christian Ude: Genauso ist es. Der Freistaat hat erst das Desaster mit Milliardenschaden bei der Landesbank angerichtet, dann infolgedessen die Pflicht auferlegt bekommen, die Wohnungsbaugesellschaft zu verkaufen, damit die Landesbank die staatliche Beihilfe wenigstens zu einem Teil zurückzahlen kann. Und dieses Kaufgeschäft geht voll auf Kosten der Kommunen und der Mieter. Und die Kommunen müssen für sündteures Geld wieder öffentlichen Wohnungsbesitz erwerben und kaufen, um wenigstens den Verlust auszugleichen.

Deutschlandradio Kultur: München ist die Stadt mit den teuersten Mieten. Sie sind seit 20 Jahren Oberbürgermeister hier. Diese Entwicklung konnten Sie auch nicht verhindern.

Christian Ude: Na selbstverständlich nicht. Es wird auch kein Bürgermeister in London oder Paris verhindern können, dass die Mieten dort höher sind als im schottischen Hochland oder in der französischen Provinz. Die Attraktivität der wirtschaftlichen Wachstumszentren zieht natürlich Menschen an, die dort wohnen wollen, weil sich dort gut leben und arbeiten lässt. Und auch die Kapitalströme fließen in die Wachstumszentren, wo man sich von den Immobilien eine Wertsteigerung verspricht. Was die öffentliche Hand tun kann, ist in meiner Amtszeit von 20 Jahren geschehen.

In meiner Amtszeit sind 120.000 Wohnungen gebaut worden, allein im Münchner Stadtgebiet. Und wir können Mieterschutz fordern und selber gewährleisten. Die Forderungen an den Gesetzgeber sind allerdings leider erst nach 25 Jahren erhört worden. Jetzt vor der Wahl hat die CSU plötzlich einigen Mieterschutzbestimmungen zugestimmt, die sie sage und schreibe 25 Jahre lang abgelehnt hat.

Sanierte Altbauten im Münchner Stadtteil Lehel. Im ehemaligen Arbeiterviertel explodieren die Preise.
Sanierte Altbauten im sehr teuren Münchner Stadtteil Lehel© picture alliance / dpa / Johanna Hoelzl
"Beim Mietanstieg "eine Bremse reinhauen""
Deutschlandradio Kultur: Was meinen Sie denn da konkret?

Christian Ude: Da meine ich konkret die Begrenzung des Mietanstiegs auf 15 Prozent statt vorher 20 oder gar 30. Damit meine ich konkret das Versprechen, Umwandlung von Miethäusern in Eigentumsanlagen genehmigungspflichtig zu machen, so dass die Kommunen hier eine Bremse reinhauen können. Das fordere ich seit 1990. Und jetzt, wenige Monate vor der Landtagswahl, entdeckt auch die CSU ein Herz für Mieter.

Deutschlandradio Kultur: Sie fordern von der Kanzlerin ein kommunales Wohnungsbauprogramm. Was erwarten Sie von ihr?

Christian Ude: Also, was wir erwarten, und zwar seit Beginn der schwarz-gelben Koalition, ist, die Kürzungen bei der "sozialen Stadt" rückgängig zu machen. Es ist ein Unding, dass die Bundesregierung das Programm "soziale Stadt" zusammengekürzt hat, obwohl es heute mehr Probleme denn je in den sozialen Brennpunkten der Städte gibt. Wir müssten diese Mittel aufstocken und nicht dramatisch reduzieren, wie es leider geschehen ist.

Und dann darf der Bund sich nicht aus dem Wohnungsbau zurückziehen, wie er es getan hat mit der Begründung, in ganz Deutschland sei der Wohnungsmarkt ja ausgeglichen. Das stimmt. Es gibt Regionen mit Leerständen und es gibt Ballungsräume mit Wohnungsnot. Aber da kann man doch nicht die statistische Mitte nehmen und sagen, das schaut ja ganz nett aus, sondern man muss erkennen, dass in den Gebieten mit Zuzug einfach Wohnungsmangel herrscht und deshalb Wohnungsbau sein muss, und zwar nicht nur von teuren Wohnresidenzen, sondern erschwinglicher Wohnraum für Durchschnittsfamilien mit Kindern oder für untere Einkommensgruppen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir versuchen, das am Beispiel München deutlich zu machen: Innerhalb der Stadt wird das wahrscheinlich kaum möglich sein. Die Stadt ist einfach zugebaut. Das heißt für Sie, an den Stadtrand gehen, mit den Kommunen zusammenarbeiten und dort billige Bauflächen ausweisen? Oder in welche Richtung geht es?

Christian Ude: Ihre Einschätzung ist nicht falsch, aber sie greift der Realität etwa 20 Jahre voraus. Wir haben die nächsten 20 Jahre schon noch innerstädtische Bauflächen, wenn zum Beispiel Kasernenareale aufgegeben werden, wenn Industriebrache entsteht, wenn Altbauten baufällig werden und abgerissen werden können. Unser Planungsreferat rechnet mit ein bis zwei Dekaden, wo noch Wohnungsbau im Stadtgebiet möglich ist – natürlich bei immer knapper werdenden Flächenreserven.

Deshalb muss gleichzeitig auch im Umland gebaut werden, wobei wir ja keine Zersiedelung wollen und das Umland seine Lebensqualität verliert. Deswegen sollte es verdichteter Wohnbau längs der S-Bahn-Trassen sein.

Deutschlandradio Kultur: Kann man sich denn auch Hochhäuser in München vorstellen, die man sich heute noch nicht vorstellen kann?

Christian Ude: Das ist eine kritische Frage, was man unter Hochhäusern versteht. Es gab ja vor einigen Jahren einen Bürgerentscheid, der Hochhäuser über 100 Meter untersagt hat. Aber an die Größenordnung hat man im Wohnungsbau sowieso nie gedacht. Wir haben in München einige Hochhäuser. Die sind dann zwischen 40 und 60 Meter. Und das kann ich mir an geeigneter Stelle durchaus vorstellen. Gerade Singlehaushalte haben kein Problem damit, ein solches Appartement mit schickem Ausblick zu mieten. Für Familien mit Kleinkindern sähe es wieder anders aus.

"Es geht nicht um die Kinder von Reichen"
Deutschlandradio Kultur: Herr Ude, wenn wir davon ausgehen, dass ab 1. August die Kindergartenplatzgarantie auch in Städten wie München festgezurrt wird, so sieht es der Gesetzgeber vor, kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen, dass Erzieher, die mit 1600 Euro brutto in der Stadt wohnen, um dann Kinder von Reichen betreuen zu können. Wie lösen Sie dieses Problem?

Christian Ude: Also, es geht nicht um die Kinder von Reichen, sondern es geht um die Kinder in der Stadt. Da ist ein Drittel so bedürftig, dass sie die Kosten der Kinderbetreuung gar nicht selber zahlen müssen. Zwei Drittel sind selbstzahlende Eltern. Da sind alle Einkommensschichten vertreten.

Aber Sie haben Recht, dass der Zuzug für Dienstleistungsberufe immer schwieriger wird. Die Stadt München hat deshalb ja Gott sei Dank ihren Wohnungsbestand behalten und ausgebaut und nicht, wie der Freistaat Bayern, verscherbelt. Deswegen können wir Erzieherinnen, die wir anwerben wollen, auch mit Wohnungsangeboten ausstatten, was für sie dann sehr attraktiv ist. Denn es handelt sich hier bei den städtischen Wohnungen natürlich auch um preisgünstige Wohnungen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie werden diesen Rechtsanspruch, den die Eltern haben, zum 1. August erfüllen können?

Christian Ude: Weitestgehend, würde ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen. Wir haben das im Präsidium des Städtetags jedes Vierteljahr wieder diskutiert. Die Städte liegen weit auseinander mit ihrem Angebot. Wir sind in München schon über 60 Prozent. Das heißt, bei den Jahrgängen, die einen Rechtsanspruch haben, zwischen ein und drei Jahren Lebensalter, da könnten wir über 60 Prozent der Kinder auch in einem Betreuungsangebot unterbringen. – Nur garantiert uns kein Mensch, dass es bei 60 Prozent bleibt.

Die Bundesregierung hat, als der Krippengipfel stattgefunden hat, mit einem Bedarf von 35 Prozent gerechnet. Später ist das auf 39 Prozent erhöht worden. Und das ist im ländlichen Raum und in Kleinstädten vielleicht auch tatsächlich der Bedarf, aber in Großstädten wie München, Stuttgart, Frankfurt und im Osten erst recht – nehmen Sie Leipzig, da weiß man nicht einmal, ob 70 Prozent ausreichen. Wenn in Leipzig 75 Prozent nachgefragt werden, obwohl nur 70 da sind, dann wird es vielleicht sogar auch in Leipzig Klagen geben, weil der Rechtsanspruch nicht erfüllt wird.

Deutschlandradio Kultur: Wenn es aber stimmt, dass 400 pädagogische Fachkräfte in der Stadt fehlen und Sie gleichzeitig diesen Rechtsanspruch erfüllen wollen, wie lösen Sie dieses Problem? Indem Sie sagen, wir müssen einfach mehr Kinder auf den Betreuungsschlüssel umrechnen?

Christian Ude: Das Problem haben ja vor allem die Städte, deren Angebot weit hinter den zu erwartenden Nachfragen herhinkt. Die schwierigsten Konstellationen haben wir in Städten in einigen alten Bundesländern, vor allem im Ruhrgebiet. Da liegt das Angebot zum Teil noch unter 25 Prozent und der Bedarf könnte sogar doppelt so hoch sein. Da wird es tatsächlich zu Verwerfungen kommen und auch zu Klagen – so fürchten wir.

In München kann ich Ihnen noch nicht sagen, ob der Bedarf gedeckt werden kann oder ob da tatsächlich einige Anmeldungen nicht berücksichtigt werden können. Im schlimmsten Fall gäbe es dann Schadensersatzansprüche.

Andrea Becker, Erzieherin der Kinder-Betreuungsinitiative "Remsracker e.V.", kümmert sich in Remseck bei Ludwigsburg um das Wohl der Kinder in ihrer Gruppe.
Der Anspruch auf einen Kitaplatz kann ab August zu Klagen von Eltern führen.© AP
"Luftreinhaltung: "Das wollte man der Industrie nicht antun""
Deutschlandradio Kultur: Als Oberbürgermeister der Stadt München sind Sie auch für die gesunde Luft in der Stadt zuständig. Das haut nicht immer ganz hin. Das Thema Feinstaubbelastung ist nicht ein Problem von München allein. Es gibt EU-Richtlinien, die eigentlich vorgeben, dass Sie da deutlich und schnell runter müssen. Jetzt hat die bayerische Landesregierung gesagt, das schaffen wir nicht, wir wollen eine EU-Fristverlängerung …

Christian Ude: … hier hat es sich die EU wirklich beispiellos einfach gemacht. Sie hat nicht etwa von ihrer eigenen Befugnis Gebrauch gemacht, zum Beispiel an die Luftreinhaltung durch Fahrzeuge europaweit verbindliche Anforderungen zu stellen. Nein, das wollte man der Industrie nicht antun. Man hat gesagt, die Industrie soll mal ganz gemütlich erst den Eurostandard 4, dann 5 und irgendwann einmal in ferner Zukunft 6 erfüllen. – Sofort stellen wir Forderungen an die Kommunen. Die haben zwar überhaupt keine Instrumente, um die Luftreinhaltung zu verbessern, aber wir verlangen es.

Deutschlandradio Kultur: Etwas schon.

Christian Ude: Ja, was denn? Sie können den Verkehr umleiten. Dann kommen die Abgase an einer anderen Stelle zum Vorschein. Und Straßensperrungen an der einen oder anderen Straße wirken da wirklich nur unbeholfen. Und es gibt überhaupt gar keine Instrumente, außer Sie würden jeden Autoverkehr und jede Heizungstätigkeit untersagen. Das hat aber bisher noch niemand ernsthaft vorgeschlagen.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie können doch den Öffentlichen Nahverkehr umstellen, möglicherweise auf emissionsarme Technik.

Christian Ude: Das haben wir doch längst gemacht. Ich bitte Sie!

Deutschlandradio Kultur: Es gibt in Norwegen beispielsweise Städte, die sagen: Wer mit Elektroautos in die Stadt reinfahren möchte, der hat Privilegien. Der kann leichter einen Parkplatz finden.

Christian Ude: Nun zeigen Sie mir mal die deutsche Stadt, die in der Lage ist, ihre Busflotte auf Elektroautos umzustellen. Dann wird die gesamte Busflotte, die Sie haben, wertlos und Sie können die Summe ausrechnen, die eine neue Busflotte kostet.

Deutschlandradio Kultur: Also: Wie kriegen Sie den Feinstaub und die Stickoxide raus?

Christian Ude:Wir haben verschiedene Maßnahmen, die Sinn machen. Die Umweltzone zum Beispiel, großflächig das gesamte Stadtgebiet innerhalb des mittleren Rings von bestimmten schadstoffreichen Fahrzeugen freihalten, das bringt messbare Verbesserungen, wobei es auch immer vom Wetter abhängig ist. Wir haben schon einen Sommer gehabt, wo wir die Grenzwerte plötzlich eingehalten haben, was aber nur an der Wetterlage liegt. Und dann gibt es einen Sommer mit häufiger Inversionswetterlage, da werden die Grenzwerte überschritten. Mir hat noch niemand in Brüssel erzählen können, wie ein Bürgermeister das Wetter machen kann.

Deutschlandradio Kultur: Nein, das muss er nicht machen, aber möglicherweise können Sie ja auch als Präsident des Deutschen Städtetages versuchen, gemeinsame Forderungen an die Länder, an den Bund, auch an Brüssel zu bündeln.

Christian Ude: Das können wir nicht nur, das haben wir auch getan. Wir sagen: Wenn Brüssel dankenswerterweise die Umweltlasten in den Städten entdeckt, dann sollte es etwas gegen die Umweltbelastung tun, zum Beispiel strengere Anforderungen an den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen. Aber das geschieht nur in äußerst zögerlicher, wirtschaftsfreundlicher Art und Weise. Nur die Anforderungen an die Kommunen werden sofort gestellt.

"Ich liebe schwere Herausforderungen"
Deutschlandradio Kultur: Sie wollen gern Ministerpräsident des Landes Bayern werden. Ist eigentlich Bayern reif für einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten?

Christian Ude: Also, ich bin nie jemand gewesen, der nur bei rosigen Aussichten antritt. Ich liebe schwere Herausforderungen. Und Bayern war übrigens schon 1954 reif für einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, der auch gewählt worden ist – Professor Wilhelm Hoegner, der Vater der bayerischen Verfassung, von deren sozialer Einstellung und Fortschrittlichkeit wir heute noch leben. Also, Wilhelm Hoegner hat dem Land ausgesprochen gut getan und gezeigt, dass es auch reif ist für einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie Ministerpräsident werden sollten, wollen Sie die Polizei besser ausstatten, die Feuerwehren. Gleichzeitig haben Sie aber auch gesagt, das muss alles finanzierbar sein und darf die Schulden nicht nach oben treiben. Wie kriegen Sie das zusammen?

Christian Ude: Da bin ich zurzeit in der glücklichen Lage sagen zu können, ich befinde mich in nahtloser Übereinstimmung mit der Bundespartei, weil die deutsche Sozialdemokratie – genauso wie die Grünen übrigens – offen und ehrlich sagt, dass die Finanzausstattung der öffentlichen Hand besser werden muss, damit mehr soziale und ökologische Aufgaben erfüllt werden können.

Deutschlandradio Kultur: Also Steuererhöhungen für die Reichen.

Christian Ude: Es müssen Steuermehreinnahmen erzielt werden, sei es durch Anhebung des Spitzensteuersatzes, sei es durch Einführung einer Finanztransaktionssteuer, damit sich die Finanzspekulanten endlich an den Kosten ihrer eigenen Krisen beteiligen. Also, die SPD gibt klar Auskunft, wo sie die Einnahmen des Staates verbessern will, auch um die Kommunen zu entlasten und die Sozialstandards zu erhöhen.

Deswegen sind wir auch berechtigt, Verbesserungen zu versprechen und in Aussicht zu stellen, weil wir sagen, wie es finanziert werden soll.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, Sie wollen Bayern ins Gleichgewicht bringen. Schaut man Umfragen an, hört man, dass 80, 90 Prozent der Bayern sagen, irgendwie befinden die sich doch schon relativ gut im Gleichgewicht. Das hat auch was mit der Politik der Landesregierung zu tun. Wo ist das Ungleichgewicht, das Sie angehen wollen?

Christian Ude: Es gibt viele Bayern, die gerne hier leben. Und das tun wir auch. Die meisten wollen nach München kommen, wo seit einem halben Jahrhundert die Sozialdemokraten regieren. Und dass die Menschen sich hier wohlfühlen, hat mit dem Land und nicht mit dem aktuellen Zustand der Staatsregierung zu tun.

Dass Bayern im Gleichgewicht sei, behauptet aber fast niemand, nicht einmal die CSU-nahe Hans-Seidel-Stiftung, die in einer Untersuchung festgestellt hat: In keinem Bundesland Deutschlands ist die Kluft zwischen boomenden Regionen und strukturschwachen Gebieten so groß wie im Freistaat Bayern.

Vergleichen Sie einmal die Verhältnisse in München mit all seiner Wirtschaftskraft mit den strukturschwachen Gebieten Ostbayerns an der tschechischen Grenze, mit der nördlichen Oberpfalz, mit Teilen Frankens. Das ist ein krasser Gegensatz. Und die CSU hat es ja auch neulich zugegeben, weil sie gesagt hat, wir brauchen in Zukunft ein Heimatministerium für den ländlichen Raum. Offensichtlich hat sich bislang kein Ministerium aufgerufen gefühlt, etwas für den ländlichen Raum und die kommunale Selbstverwaltung zu tun.

Wilhelm Hoegner (1887-1980), SPD, Ministerpräsident von Bayern 1954-57
Gutes Beispiel: Wilhelm Hoegner (1887-1980), SPD, Ministerpräsident von Bayern 1954-57© dpa / picture alliance / Göbel
"Geschlossenheit der Opposition hat sich eindrucksvoll gezeigt"
Deutschlandradio Kultur: Herr Ude, ganz alleine werden Sie das nicht schaffen bei der Landtagswahl.

Christian Ude: Das ist wohl wahr.

Deutschlandradio Kultur: Da sind die Abstände zu groß. Wenn man zusammenrechnet, dann bräuchten Sie eigentlich die Freien Wähler und die Grünen. Es müssten alle gemeinsam mal losmarschieren mit einer gemeinsamen Marschrichtung. Die gibt es aber im Moment noch nicht. Warum ist das so schwer?

Christian Ude: Diese Marschrichtung gibt’s am laufenden Band.

Deutschlandradio Kultur: Nehmen wir mal die Freien Wähler. Herr Aiwanger oder Umfragen sagen, 80 Prozent der Mitglieder der Freien Wähler sind noch gar nicht überzeugt, ob sie mit der SPD gemeinsam voranschreiten wollen. Sie sind noch unentschlossen.

Christian Ude: Das war bei den FDP-Wählern vor Begründung der sozialliberalen Koalition auch so. Also, die gemeinsame Marschrichtung, die Sie vermissen, gibt es seit langem. Ich darf daran erinnern: Wir haben gemeinsam auf der Straße demonstriert gegen die Verlängerung der Atomlaufzeiten. Wir haben gemeinsam Programme entwickelt für die Energiewende. Wir waren gemeinsam für die Abschaffung der Studiengebühren und haben ein Volksbegehren durchgeführt. Auch da musste Schwarz-Gelb einknicken. Und wir sind jetzt gemeinsam auf die Straße gegangen gegen die Verscherbelung von staatlichen Wohnungen. Da gab es zwar keinen Erfolg, aber die Geschlossenheit der Opposition hat sich trotzdem eindrucksvoll gezeigt.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem gibt es unterschiedliche Positionen, stärker noch bei den Freien Wählern als möglicherweise zwischen SPD und den Grünen. Sie müssen aber in diesem Triumvirat voranschreiten. Glauben Sie daran, dass Sie das noch in den nächsten Wochen und Monaten hinbekommen?

Christian Ude: Also, wir sind ja laufend dabei. Ich werde die Führung der Freien Wähler privat zu Gast haben. Wir sind in einem ständigen Dialog in der Schulreform, wo wir ganz nah beisammen liegen. Und selbst bei den Themen, wo es wirklich knirscht, sage ich ganz offen, nämlich der Beurteilung der Eurorettung, sind die Sozialdemokraten und die Freien Wähler nicht weiter auseinander als Horst Seehofer in München und Horst Seehofer in Berlin. In München schreit er Zeter und Mordio und in Berlin stimmt er zu.

Deutschlandradio Kultur: Peer Steinbrück hat angekündigt, dass er gerne seinen Schwerpunkt im Bundestagswahlkampf nach Bayern verlegen möchte. Ist das für Sie eindeutig Rückenwind oder auch ein Stück Gegenwind?

Christian Ude: Es ist eindeutig Rückenwind. Die Bundespartei hat früher den bayerischen Raum großflächig umfahren, weil man sich hier nicht allzu viel Erfolgsaussichten versprochen hat, während jetzt dieses Mal ganz klar die Einsicht da ist: Ohne Stimmen im Süden der Republik ist ein Wechsel in der Bundespolitik auch nicht zu erreichen.

Und natürlich tut es uns gut, wenn die bayerische Bevölkerung sieht, die SPD der Bundesebene nimmt uns ernst, stellt sich hier der Diskussion, tritt hier für ihr Wahlprogramm ein. Davon verspreche ich mir eine enorme Unterstützung.

Deutschlandradio Kultur: Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie es nicht schaffen, auf Anhieb SPD-Ministerpräsident des Freistaates Bayern zu werden, was machen Sie dann?

Christian Ude: Dann würde der Wechsel zu einer sozialen und ökologischen Politik in Bayern noch länger auf sich warten lassen. Aber hier geht es nicht um meine persönliche Lebensplanung oder Lebensqualität, sondern darum, was man für das Land und zugunsten seiner Bevölkerung ändern kann. Dafür wäre das ein herber Rückschlag. Für mich persönlich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich habe viele Interessen, die ich dann sogar bei höherer Lebensqualität pflegen könnte.

Deutschlandradio Kultur: Herr Ude, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer
Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) regiert Bayern seit 2008.© picture alliance / dpa / Stephan Jansen
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