Bayern ohne Stoiber?

Von Barbara Roth |
Klar ist bis dato nur dies: Edmund Stoiber geht als Spitzenkandidat der CSU in den Bundestagswahlkampf. Und auf ein Amt will er sich erst nach dem Wahlergebnis festlegen. Ansonsten bleiben viele Fragezeichen.
Warum die Entscheidung pro oder contra Berlin erst nach der Wahl? Fürchtet er die Berliner Verhältnisse (Einordnung) oder will er die bayerischen (erster Mann im Freistaat) nicht missen? Sind die Landesregierung und die CSU auf einen plötzlichen Weggang vorbereitet? Wer könnte als Ministerpräsident folgen und warum? Welche Folgen hätten der Weggang Stoibers und anderer CSU-Politiker für die CSU und Bayern? Viele Fragezeichen, hier die Antworten.

Edmund Stoiber auf Wahlkampftour irgendwo in Bayern. Wie es sich gehört, die örtlichen CSU-Größen stehen zur Begrüßung stramm. Eine ältere Dame zeigt keine Scheu. Beherzt drängt sie sich an den stämmigen Bodyguards vorbei, geht direkt auf Stoiber zu. Die Frau will den Ministerpräsidenten um etwas bitten.

Frau redet auf Stoiber ein: „Sie sind hier in Bayern so angesehen, gehen Sie nicht nach Berlin! Jetzt habe ich mir gedacht, ich komme heute hierher und muss das loswerden. Dankeschön. Bevor man dort oben zerrissen wird, gell. Erst mal müssen wir wissen, ob wir die Wahl gewinnen, dann müssen wir sehen. Bleiben Sie, hier sind Sie so beliebt. Das weiß ich schon. Und geschätzt. Das weiß ich. "

Stoiber bedankt sich artig. Er ist geschmeichelt. Doch eine Antwort bleibt er der alten Dame schuldig. Spontaneität ist seine Sache nicht.

Zur Blasmusik marschiert der Ministerpräsident ins Bierzelt ein. Ehefrau Karin, stillgerecht im Dirndl gekleidet, an seiner Seite. Das Volk erhebt sich. Der Landesvater grüßt nach rechts und nach links; er winkt huldvoll, fast majestätisch – und er genießt es.

Stoiber konzentriert sich die nächsten sechs Wochen auf Bayern. Wahlkampf-Termine außerhalb des Freistaates sind selten. Jenseits der weiß-blauen Landesgrenzen erscheint er dem Beobachter zuweilen stocksteif; im bayerischen Bierzelt gibt sich der 63jährige volksnah und locker. Am Ehrentisch streift er Trachtenjacke und Krawatte ab – verlangt erst mal nach einer Mass.

Geht er? Oder bleibt er? In Berlin zweiter Mann hinter Merkel. Oder weiter König in Bayern. Stoiber zögert. Er zaudert. Er will sich nicht entscheiden. Noch nicht. Stoiber ist unschlüssig. Er schwankt. Er sei in der Tat noch unentschlossen, heißt es aus seinem Umfeld. Mal will er mitmischen in einer Bundesregierung. Mal wieder als mächtiger Ministerpräsident über den Bundesrat seine Stimme erheben. Soll er gehen oder bleiben? Fragen am Biertisch.

Umfrage: „Ich würde gehen, wenn ich an seiner Stelle wäre. Warum? Er ist ein Machtmensch. Und er schaut natürlich, dass er auch die Macht kriegt. In Bayern hat er sie ja schon. Aber jetzt kriegt er eine noch größere Macht, wenn er Außenminister oder so irgendwas wird. Darf ich auch was sagen? Wenn er nach Berlin ginge, dann wäre der Stoiber dumm, denn so schön wie in Bayern kriegt er es in Berlin nimmer. "

Die Frage nach Stoibers Zukunft spaltet selbst Ehepaare: Er denkt an Macht. Sie an Bayern. Im Bierzelt ein paar Tische weiter ein anderes Paar; sie führt das Wort:

Umfrage: „Nee, dass er nach Berlin geht, will ich net. Ich möchte, dass er in München bleibt. Dass er da nauf geht, das wäre mir nicht recht. Warum nicht? Weil er zu uns runtergehört. Er ist unser Ministerpräsident, er soll in Bayern bleiben. Und nicht nach Berlin gehen zu den Preußen. Er: Der Stoiber ist doch nicht unersetzlich. Sie: Nee, unersetzlich ist er nicht, aber da ist er was und in Berlin würde er die zweite Geige spielen, unter der Merkel. Das kann ich mir nicht gut vorstellen, dass er das macht. "

Sagt eine Frau in Bayern. Wohlgemerkt – sie führt am Tisch, wohl auch zuhause das Wort; und doch hält sie es für undenkbar, dass Stoiber sich Frau Merkel unterordnet.

Tusch der Blaskapelle. Der Ministerpräsident tritt ans Rednerpult. Wahlkampf pur – die nächsten 90 Minuten. Stoiber kämpft. Für den Regierungswechsel. Er poltert und polarisiert. Gegen rot-grün. Er verausgabt sich völlig. Das sonst streng gescheitelte weiße Haar fällt ihm wirr ins Gesicht. Die Ärmel sind längst hoch gekrempelt. Unter dem klatschnassen Hemd zeichnet sich etwas Weißes ab. Im Bierzelt findet er ein dankbares Publikum.

" Den Herrn Stoiber? Ich finde ihn gut. Erstens von der Rhetorik her und zweitens von der Ehrlichkeit her. Es ist doch viel besser, man sagt wie man es finanzieren will, als man macht Versprechungen wie ein Wolkenkuckucksei und kann es nachher nicht finanzieren. Och, er gehört doch zu Bayern. Die ganzen Jahre lang kennt man ihn. Der Stoiber ist unverzichtbar, da gibt es keine Frage. Und wir brauchen ihn in München. Wissen Sie, man kann nicht von der Vergangenheit leben, man muss jeden Tag neu kämpfen. Er hat viel geleistet die letzten 20 Jahre. Das ist die Ausgeglichenheit. Er ist nicht extrem, aber wenn er was im Ziel hat, dann packt er es. Da gibt er keine Ruhe bis er es hat. Er hat das Ziel immer im Auge. "

In Bayern ist Stoiber Garant für Wählerstimmen – mittlerweile im zwölften Jahr. Auf stolze 58,6 Prozent schaffte es die CSU bei der letzten Bundestagswahl 2002 – mit ihm als Kanzlerkandidat. Noch besser das Ergebnis bei den bayerischen Landtagswahlen im September 2003: Seine CSU fuhr triumphale 60,7 Prozent der Wählerstimmen ein. Der Ministerpräsident regiert im Freistaat mit einer in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Zweidrittelmehrheit.

Stoiber am Ende seiner Rede: „Ich werde alles tun, dass wir die Wahl gewinnen, das Frau Merkel Kanzlerin wird. Aber ich sage Ihnen auch, und das kann man von einem bayerischen Ministerpräsident, der in der bayerischen Wurzel kommt, ich bin in Bayern geboren. Ich komme aus kleinen Verhältnissen. Ich bin sicher viel in der Welt rumgekommen, aber das ist meine Heimat, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist meine Heimat. Und wo ich dann im Falle eines Wahlsieges – insbesondere für Bayern – das Beste herausholen kann, das kann ich erst im Lichte der Wahlentscheidung sehen. Manche glauben, ich bin schon weg. Die sollen vorsichtig sein: Ich bin ein bayerischer Patriot in Deutschland. Applaus. Jetzt gebt mir mal ein Bier. Ein Bier, Karin! "

Zehn Tage nach der Bundestagswahl am 28. September wird Stoiber 64 Jahre alt. Daheim in Bayern kann er locker noch zehn Jahre regieren. Soll er das aufgeben für Berlin? Für einen Posten im Kabinett von Angela Merkel? Eingebunden in deren Kabinettsdisziplin? Nein, sagt Anton Kathrein; einer der erfolgreichsten Unternehmer in Bayern. Kein Handy würde funktionieren ohne Antenne aus den Kathrein-Werken in Rosenheim.

Anton Kathrein: „Ich halte nach wie vor sehr viel davon, wenn Herr Stoiber in Bayern bleibt. Die Bayern haben ihn gewählt. Von Bayern aus kann er sehr viel beeinflussen. In Berlin bin ich sicher, dass er sehr große Schwierigkeiten haben wird. Er kann für Bayern und Deutschland mehr erreichen, wenn er in Bayern bleiben wird. "

Stoiber kann sich das Ministerium aussuchen, heißt es. Außenminister würde er gerne werden, munkelt man. Weil dieser Posten die größten Freiheiten unter Merkel garantiert. Doch das Außenministerium will auch die FDP. Finanzminister könnte er werden – doch auch er weiß, Finanzminister sind unbeliebt. Wolfgang Clement als Superminister für Wirtschaft und Arbeit könnte er beerben – doch dieser Job ist mit Abstand der Schwierigste; will Stoiber sich das wirklich antun?

Anton Kathrein: „Ich glaube, Herr Stoiber ist von seinem ganzen Naturell her ein Macher. Wenn sie das Außenministerium nehmen. Wenn er in einen solchen Apparat hineinkäme, würde er sehr schnell sehr frustriert sein. Nehmen wir das Finanzministerium. Eines der schwierigsten derzeit. Das ist ein sehr undankbarer Job. Nehmen wir das Wirtschaftministerium, sicher ein interessanter Job. Aber auch da gibt es große Widerstände natürlich – von der Gewerkschaftsseite her. Natürlich hat Bayern in der Vergangenheit sehr viele Vorteile gehabt. Wir waren nicht mit Altlasten belastet. Wir hatten keine Stahlindustrie, keine Kohleindustrie. Bayern konnte nach dem 2. Weltkrieg neu aufbauen, mit HighTech aufbauen. Aber man kann bayerische Verhältnisse einfach nicht auf ganz Deutschland übertragen, man kann bayerische Verhältnisse nicht nach Hamburg transferieren. Das läuft nicht, meiner Meinung nach. "

Stoiber führt die CSU als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl. Ein Sitz im nächsten Deutschen Bundestag ist ihm garantiert. Ob er darauf Platz nehmen wird, wissen jedoch weder die Wähler in Bayern noch wissen es seine Parteifreunde. Eine Ungewissheit, die man in der CSU klaglos akzeptiert.

CSUler: „Schau mer mal, das wird der Edmund Stoiber sicher selbst entscheiden, was er macht. Ich glaube, dass es ihm auch wichtig ist nach einer gewonnenen Wahl zu entscheiden, wo er sich am besten einbringen kann. Er hat noch nie von sich persönlich aus Eigennutz irgendwas abhängig gemacht. Sondern immer zum Wohl des Landes und zum Wohl der Partei. Ich glaube, er bleibt da. Freilich wäre es nicht schlecht, wenn er da mitmischen würde, aber ich glaube, das macht er nicht. Es ist ja ein Traumjob, er ist ja wie ein König in Bayern. Warum sollte er da nauf gehen und sich da oben umeinander ärgern. Ich glaube, dass Edmund Stoiber in Bayern eine sehr, sehr gute Arbeit gemacht hat. Und da gibt es noch viel zu tun, und noch viel fortzusetzen. Wenn er natürlich gerne in den deutschen Bundestag möchte, was ich mir nicht ganz vorstellen kann, ok. Ja, da wird er sicherlich auch seinen Mann stehen. Und vielleicht wird er ja ein guter Finanzminister oder Außenminister. "

Zum Wohle der Partei zögert Stoiber. Weil er weiß, dass er sofort eine hitzige Diskussion um seine Nachfolge als Ministerpräsident lostreten würde. Zwei Namen seien genannt: Innenminister Günther Beckstein und Staatskanzleichef Erwin Huber. Doch kein Kommentar – beide schweigen eisern. Lehnen jegliche Stellungnahme ab. Da Beckstein – auch er kandidiert für den Bundestag – auch als künftiger Bundesinnenminister gehandelt wird, würde es wohl auf Huber hinauslaufen – sollte der Stuhl des bayerischen Ministerpräsidenten frei werden. Doch mit der Frage prallt man bei der CSU auf eine Wand des Schweigens. Kein Thema, winkt nicht nur der Vorsitzende im Landtag, Joachim Herrmann, ab:

Joachim Herrmann: „Das sind ja nun Fragen von übermorgen. Wir gehen erst mal in den Wahlkampf und muss Edmund Stoiber sagen was er will. Und alles andere entscheiden wir nach der Bundestagswahl. "

Wenn man weiß, wie stark die CSU sein wird. Je besser das Wahlergebnis in Bayern, desto größer ihr Einfluss in Berlin. Dann kann er der CDU-Vorsitzenden gegenüber auftrumpfen – und zwar auf Augenhöhe mit einer Bundeskanzlerin. Ob der CSU-Vorsitzende dann in Berlin oder von München aus sein Gewicht in die Waagschale wirft? Bei dieser Frage scheiden sich in der Partei die Geister. Und es fällt regelmäßig ein Name: Franz Josef Strauß, der ab und an von München aus ein kräftiges „so nicht“ gegen Bonn, gegen den CDU-Kanzler Helmut Kohl gepoltert hat.

CSUler: „Es geht sicher, wie der Strauß es gemacht hat. Ich glaube nicht, dass der erste Mann nur dort sein muss, wo die Menschen meinen, dass er sein müsste. Man kann auch – und das hat die Geschichte der Bundesrepublik gezeigt – sehr kräftig und sehr kraftvoll aus einem großen und wichtigen Bundesland die Politik der Bundesregierung mitbestimmen. Es ist auf alle Fälle so, dass er als zweiter Parteivorsitzender ein wichtiges Wort mitspricht und sich auf alle Themen miteinlassen kann und das wird er auch tun. "

Edmund Stoiber ist auf Stimmenfang. Unermüdlich. Am Montag Thüringen, am Mittwoch Herzogenaurach und Erlangen. Am Donnerstag landet sein Hubschrauber in einem kleinen Dorf irgendwo an der Grenze zu Baden-Württemberg.

Stoiber: „Das ist noch Baden-Württemberg oder Bayern? Wir sind noch in Bayern, aber in 200 Metern sind wir schon in Baden-Württemberg. "

Gipfeltreffen auf einer Alm im Allgäu. Der bayerische Ministerpräsident geht mit seinem baden-württembergischen Amtskollegen Günther Oettinger wandern. Die Almhütte steht noch auf bayerischem Hoheitsgebiet. Die Kühe dahinter grasen bereits im Ländle. Vor der Hütte machen Urlauber Brotzeit, bevor sie den Schwarzen Grat, den mit 1118 Meter höchsten Berg Baden-Württembergs besteigen.

Stoiber im Gespräch mit Urlaubern: „Mein Gott, ihr habt es aber schön hier. Ist der Bergkäse in Ordnung? Der ist ok. Und die Leberwurst. Die ist auch ok. Sehr schön. "

Für Politiker ist der Urlaub gestrichen. Seine Frau sei nicht begeistert gewesen, gesteht Stoiber. Die Ferien in Spanien waren ihr schon lange versprochen. In Bayern und Baden-Württemberg findet der Wahlkampf in die Sommerferien statt. Und die Wahlkämpfer müssen eben dorthin, wo die Urlauber sind.

Stoiber: „Es geht ja darum wie es in Deutschland weiter gehen soll. Wahlkampf bedeutet, mit den Menschen zu diskutieren, an die Menschen heranzukommen. Ihnen zu sagen, was auf dem Spiel steht, was wir für Verbesserungen für Deutschland vorhaben. Lust hin, Lust her, wer sich für die Politik engagiert für den ist Wahlkampf nicht nur Pflicht, sondern auch Kür. Denn der Wahltag ist immer auch Zahltag. "

Stoiber hat den dunklen Anzug gegen helle Jeans. Die eleganten Slipper gegen Turnschuhe getauscht. Wahlkampf auf dem Wanderweg. Der Bayer auf dem Weg nach oben. Dem Gipfel entgegen. Eine harmlose Wanderung – doch selbst bei dieser Gelegenheit muss sich Stoiber fragen lassen, ob er nach Berlin wechseln will.

Stoiber: „Lacht. Das entscheiden wir, wenn wir gewählt haben und wenn wir die Wahl gewonnen haben. Und ich habe schon mal gesagt, dass ich diese Entscheidung mit Frau Merkel treffen werde, wenn wir die Konstellationen kennen. "

Der CSU-Chef lässt sich nicht aus der Reserve locken. 2/3 der Bayer wollen, dass er ihr Ministerpräsident bleibt. Säckeweise – wird behauptet – gingen in der Staatskanzlei und in der Parteizentrale Briefe ein, in denen Stoiber zum Bleiben aufgefordert wird.

Stoiber: „Das freut einen natürlich, weil man spürt, dass die Arbeit, die man als MP gemacht hat, durchaus gesehen wird von einer großen Mehrheit. Auf der anderen Seite werden für Bayern entscheidende Weichenstellungen in Berlin getroffen und das muss ich auch berücksichtigen. Aber entscheiden müssen wir letztendlich, was ist das wichtigste für Deutschland und für Bayern. Und wo kann ich persönlich die Politik der Union in Berlin am besten unterstützen: Im einer Bundesregierung oder im Bundesrat. Und das ist der Frage, die wir die nächsten Wochen entscheiden müssen. "

Leute, die die Stoibers kennen, behaupten, nicht er sondern Ehefrau Karin entscheidet. Auf sie hört er. Angeblich, so heißt, will sie nicht in die Bundeshauptstadt umziehen. Karin Stoiber ist im Wahlkampf ständig an seiner Seite. Manchmal schaut sie ihren Mann sorgenvoll an. Er sollte sich mehr schonen, sagt sie dann leise. Seine Arbeitstage, sein Pensum seien mörderisch. Laut würde sie sich so nie äußern. Wo sie sich ihren Mann wünscht? Karin Stoiber antwortet ausweichend geschickt:

Karin Stoiber: „Er möchte was bewegen, er möchte für die Menschen was Gutes tun. In Berlin oder in Bayern? Das steht nicht zur Frage momentan. Jetzt wählen wir erst mal. Und nach der Wahl wird sich mein Mann entsprechend äußern. "