Bayern nach dem Schneefall

Das gab's bisher nur in Kanada

Polizisten räumen Schnee vom Dach der Eissporthalle in Berchtesgaden.
Winter in Bayern: Tausende Helfer haben mitgeholfen, den Schnee von A nach B zu schippen. © Lino Mirgeler/dpa
Von Tobias Krone · 16.01.2019
Die Bayern sind der Schneemassen Herr geworden - auch wenn's anstrengend war. Nun geht der Alltag langsam wieder los. Für manche waren aufgeregt berichtende Reporter ohnehin nerviger als das Schaufeln der weißen Pracht vom Dach.
Schneeräumen, um das eigene Haus zu sichern. Faried Adrom aus München hat das hinter sich – und vom Wochenende noch einen ordentlichen Muskelkater.
"Es war dann auch ein Erlebnis, als wir dann reingefahren sind, erstmal durch so einen Schneetunnel zu fahren, es war schon wirklich beeindruckend. Links und rechts dann zwei Meter Schnee direkt am Seitenspiegel entlang."
Weil man es sich nur schwer vorstellen kann, was der Archäologe beim Ferienhaus seiner Familie, oberhalb von Bayrischzell an der bayerisch-österreichischen Grenze erlebte, zeigt er Handyfotos. Auf denen ist viel Schnee zu sehen – und nur wenig Haus.

Mit Hilfe der Nachbarn zum Haus vorgedrungen

"Und dann sind wir da zum Glück auch dank der Hilfe von den Nachbarn zum Haus vorgedrungen – und mussten dann erstmal den Zugang zur Wohnungstür freiräumen. Die war auch komplett eingeschneit. Solche Schneebrocken hatten dann die Eingangstür verbarrikadiert, die waren vom Dach runtergebrochen. Also das sind kiloschwere Brocken, die da lagern, die teilweise so schwer waren, dass sie dann die Türen einzudrücken drohten."
Ein Wettlauf mit der Zeit begann am Wochenende für Faried Adroms Familie – wie für Tausende Hausbesitzer am Alpenrand. Denn der Schnee musste runter – noch vor dem angekündigten Regen am Wochenbeginn. Um die zwei Meter Schnee halten die Dächer hier oben, auf über 700 Metern Höhe, aus. Doch schon Regen davor hatte die Schneedecke schwer gemacht. Was die Räumaktion zu einer mühsamen Angelegenheit machte.
13.01.2019, Bayern, Elisabethszell: Ein Mann schaufelt Schnee von einem Dach.
Knochenjob: Der Schnee musste von den Dächern runter, um die Überlastung zu vermeiden.© picture alliance/dpa - Armin Weigel
"Der Schnee wiegt. Jede Schippe wird immer schwerer und es ist ja so, wenn man den Schnee einmal vom Dachfirst runtergeschippt hat – er liegt dann halt zwei Meter tiefer, aber von da muss er auch weg. Also man hat jedes Kilo Schnee drei-, viermal auf der Schippe, bis er mal vom Dach ist. Das zehrt dann schon – und wir waren fix und fertig, als wir dann am Samstag nach Hause gefahren sind."

Endlich kommt die Sonne heraus

Rund um den Wendelstein hat der Schnee heftig zugeschlagen – 40 Kilometer weiter westlich und rund einhundert Höhenmeter tiefer im Kurstädtchen Bad Tölz kommt nach Tagen endlich die Sonne heraus. Die Frau mit der Ohrenklappenmütze an der Bushaltestelle blinzelt zwischen mannshohen Schneehaufen hindurch.
Reporter: "Haben Sie sowas schon mal erlebt – so eine Schneemasse?"
Frau: "Bisher noch nicht – und habe auch mit Leuten gesprochen. Es gibt schon Leute, die das erlebt haben: nicht hier, in Kanada schon."
dpatopbilder - 10.01.2019, Bayern, Berchtesgaden: Schnee liegt am Bahnhof auf einem Zug. Der Zugverkehr wurde in Berchtesgaden eingestellt. Foto: Tobias Hase/dpa | Verwendung weltweit
Der Schnee brachte den öffentlichen Verkehr teils zum Erliegen: Auch in Berchtesgarden wurde der Zugverkehr eingestellt.© dpa Tobias Hase
Die Frau wartet auf den Schienenersatzverkehr. Denn trotz Tauwetter schlummert Gleis 1 des Tölzer Bahnhofs unter einer tiefen Schneedecke – das andere Gleis spitzt gerade so heraus. Seit zehn Tagen geht hier, bei der viel genutzten Bayerischen Oberlandbahn, nichts mehr, wie der Geschäftsführer Fabian Amini zugibt.
"Faktisch sind wir südlich von Holzkirchen seit zehn Tagen tot."
Südlich von Holzkirchen hört die S-Bahn-Hauptstrecke auf, beginnen die Nebenstrecken der Bayerischen Oberlandbahn. Für die Räumung zuständig wäre die DB-Tochter Netz gewesen. Armini von der Privatbahn macht der Bahn deshalb Vorwürfe:
"Die Räumung hat viel zu spät begonnen. Kein Räumgerät war rechtzeitig vor Ort, und wenn einmal die Gleise eingeschneit sind und Sie die Strecke nicht mehr freihalten können mit Ihren eigenen Fahrzeugen, dann ist es zu spät."

Viele Züge müssen erst mal ins Depot

Heute soll es wieder losgehen. Doch weil viele Züge über die freie Strecke erst einmal zur Wartung ins Depot fahren müssen, wird es noch Tage dauern, bis wieder alles normal läuft. Immerhin, man kommt wieder nach München – für viele enden zehn Tage Homeoffice oder zeitraubender Schienenersatzverkehr.
Überall in Bad Tölz sieht man die Aufräumarbeiten – Bagger schaufeln den Schnee an den Straßenrand. Jetzt geht es an die Details.
"Also bis jetzt hat man sich darum gekümmert, den Schnee von den Dächern zu bringen, jetzt geht’s darum, die vielen gesperrten Straßen, die wir haben, einigermaßen wieder frei zu bringen, das heißt Trupps arbeiten sich dort vor, versuchen erst einmal wieder, die Bäume zu entfernen und die Straßen wieder befahrbar zu machen."
Josef Niedermaier, Landrat von Bad Tölz-Wolfratshausen, hat kurz vor dem Interview den Katastrophenfall für seinen Landkreis aufgehoben – die Hilfstrupps der Technischen Hilfswerke und des Roten Kreuzes aus anderen Ecken Bayerns ziehen ab. Niedermaier hat sichtbar nicht viel geschlafen die vergangenen Nächte. Auch für den gebürtigen Tölzer war dieses Phänomen neu.

"An den Klimawandel werden wir uns gewöhnen müssen"

"Ich kann mich schon erinnern an solche Schneemengen, aber ich kann mich nicht erinnern daran, dass es schneit, einen Tag später reinregnet, und dann wieder schneit. Und da sagen ja auch Meteorologen, das ist der Klimawandel. Da werden wir uns dran gewöhnen müssen."
Gewöhnt haben dürften sich vor allem die Schüler an die Weihnachtsferien. Die hat der Wintereinbruch verlängert.
"Ja, eineinhalb Wochen hatten wir jetzt schulfrei. War ganz cool."
Nun heißt es für diesen Realschüler wieder zurück in den Alltag. Viele berufstätige Eltern atmen auf. Wie diese berufstätige Mutter von zwei Grundschülern:
"Wir haben uns abgewechselt mit der Kinderbetreuung, die waren teilweise auch allein, das machen sie sehr gut. Und der Opa hat geholfen und eben auch Freunde."
Die Ärztin und ihr Nachwuchs stehen am Einstieg der Tölzer Langlaufloipe – jetzt, da die Abendsonne den Bergen ein versöhnliches Alpenglühen abringt, hört man auch bei ihr das, was man bei vielen Menschen in der Gegend hört.

Angenervt von der Presse

"Pushen Sie’s nicht so hoch, ich bin Ärztin, ich hatte heute einige in der Praxis. Die Leute sind eher angenervt von der Presse, die alles ganz schön gehyped hat. Für viele ist das ganz normal. Die genießen es auch, dass sie es so ruhig haben."
Und gleitet genussvoll in die winterliche Moorlandschaft. Auch ein anderer widmet sich dem Langlaufen – eine sportliche Abwechslung.
"Jeden Tag sechs Stunden Schneeschaufeln – es war heftig."
Und trotz des friedlichen Workouts, an ein Ende des heftigen Winters will er nicht glauben:
"Die Gefahr ist noch nicht gebannt, weil alles auf dem Dach voll Eis ist, und am Wochenende kommt wieder Schnee und wieder Regen und dann wird’s erst kompliziert."
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