Bayern

Geduldet im Idyll

Ein Asylbewerber schreibt in einer Städtischen Berufsschule in Regensburg (Bayern) das Wort "Deutsch" an die Tafel.
Fernsehen gucken, ein bisschen Sport machen, Deutsch lernen - mehr bleibt Asylbewerbern in Schöllnstein kaum. © picture alliance / dpa / Armin Weigel
Von Ernst-Ludwig von Aster  · 27.12.2013
Vor zwei Jahren kamen 60 Asylbewerber in das abgelegene bayrische Dorf Schöllnstein. Vorübergehend, hieß es im zuständigen Regierungspräsidium. Doch geändert hat sich seither nichts.
Auf Gleis 1 warten Reisende auf den Zug nach Plattling. Die eine Bahnhofsuhr zeigt zwölf, die andere 15.15 Uhr. Es ist kalt, feucht und windig in Deggendorf, der Kreisstadt in Niederbayern. Dem Tor zum bayrischen Wald, wie sie die Tourismuswerber nennen..
Ein paar Schritte weiter parkt ein Reisebus, "Nationalparkreisen" steht in großen Buchstaben an der Seite, Schöllnstein 6157 auf dem kleinen Schild an der Frontscheibe. Dieser Bus findet sich in keinem Fahrplan. Obwohl er jede Woche dieselbe Strecke fährt. Er bringt Asylbewerber aus einem winzigen Dorf in der niederbayrischen Einöde in die Kreisstadt und zurück.
Gut zehn von ihnen sitzen an der überdachten Haltestelle. Einer winkt herüber. Er sitzt mit dicker Jacke und Mütze, eingemummelt auf der Bank. Neben sich eine Plastiktüte mit Einkäufen.
"Du warst schon vor zwei Jahren früher auch in Schöllnstein."
Vor zwei Jahren haben wir uns das letzte Mal getroffen. Als wir im Deutschlandradio über das Leben in Schöllnstein berichteten. Als 60 Asylbewerber in ein abgelegenes Dorf mit 70 Einwohnern kamen. Von einer Notlösung sprach man damals im zuständigen Regierungspräsidium. Von einer vorübergehenden Unterbringung.
"In Schöllnstein gar nix Bewegung, es gibt keine Arbeit, da ist nur ein Wald."
Mohammed winkt entnervt ab. Er muss los, der Bus wartet nicht. Ich kann nicht mitfahren, dafür braucht es eine Genehmigung. Wir verabreden uns für die nächsten Tage in Schöllnstein:
"Mein Zimmer ist Zimmer 2."
Zwei Tage später bin ich in Schöllnstein, laufe die kleine Dorfstraße den Hang empor, vorbei an den gepflegten Vorgärten. Genauso wie vor zwei Jahren. Hier gibt es keinen Einkaufsmarkt, keinen Arzt, keinen Bäcker, keine Kneipe. Der Schulbus ist für alle, die kein Auto haben, die einzige Verbindung zur Außenwelt. Nach Deggendorf braucht er fast eine Stunde. Oben auf dem Hügel liegt die GU Schöllnstein, wie es offiziell heißt. GU steht für Gemeinschaftsunterkunft.
"Im Winter ist es so traurig, da kannst Du nicht leben."
Links ein dreistöckiges Appartementhaus, rechts ein zweistöckiges. Weiße Wände, schwere Holztreppen. Knapp 60 Asylbewerber leben hier, die meisten aus Afghanistan.
Mohammed öffnet die Tür, bittet herein. Die Schuhe bleiben im Vorraum, dann geht es ins Wohnzimmer. Drei Betten, drei Stahlspinde, ein großer Tisch, davor ein Sofa. Und ein Fernseher. Dort läuft gerade ein iranischer Musiksender.
Seine beiden Mitbewohner sind bei den Nachbarn, sagt Mohammed. Und macht uns erst einmal einen Tee. 25 Jahre ist er alt, geboren in Afghanistan, aufgewachsen im Iran, vor drei Jahren geflüchtet. Über die Türkei bis nach Deutschland. Erst kommt er in das Erstaufnahmelager in München. Und von da direkt nach Schöllnstein in die Provinz.
Mohammed: "Im Winter ist es so traurig, da kannst Du nicht leben."
Reporter: "Was machst Du hier den ganzen Tag?"
Mohammed: "Nichts, nur Fernsehen gucken, ein bisschen Sport machen, Deutsch lernen, selber, alles selber."
Sein Asylantrag ist abgelehnt, doch er ist geduldet. Nach Afghanistan wird niemand abgeschoben. Eigentlich darf Mohammed auch arbeiten.
"Aber ich kann nicht. Von Schöllenstein nach Deggendorf oder München, hin und zurück, das ist unmöglich."
Nach Deggendorf sind es knapp 30, nach München 160 Kilometer. Mohammed hängt fest in Schöllnstein. Seit fast drei Jahren schon.
Mohammed setzt sich mit dem Tee aufs Sofa. Blickt durch das große Fenster auf den bayrischen Wald. Eine Kirchturmspitze schimmert durch die Bäume.
"Zwei Jahre vorher hast Du gekommen, und kannst Du jetzt gucken, meine Haare alle weiß, weil ich immer denke über mein Leben, aber ich kann nicht immer hier bleiben."
Er lernt Deutsch, hat sich aus Metallschrott Hanteln gebaut, versucht alles, damit ihm die Decke nicht auf den Kopf fällt. Sein Körper ist fit, die Muskeln spannen unter dem T-Shirt. Trotzdem wird er langsam aber sicher verrückt hier.
"Ich mache immer die Gardine zu, weil ich möchte dieses Bild nicht mehr sehen, weil das ist Wald."
"Leben müssen wir damit"
Wieder geht es die Dorfstraße entlang, diesmal hinunter. Kurz hinter dem großen Kruzifix, gegenüber der Bushaltestelle, lebt Familie Schadenfroh. Landwirte seit Generationen hier in Schöllnstein.
Johannes Schadenfroh kommt aus dem Stall. Ein kräftiger Mann mit Winterjacke, Gummistiefeln, Handschuhen. Wir setzen uns an den massiven Holztisch. Genau wie vor zwei Jahren. Der Landwirt redet nicht viel, auch nicht mit den Flüchtlingen.
"Sicher fragt man mal, wo kommst Du denn überhaupt her ? Dann geht es los mit Hände und Füße."
Vor zwei Jahren hatte er noch Angst, dass sich die Menschen oben auf dem Hügel etwas antun. Gerade die Jungen ausrasten könnten, hier in der bayrischen Einöde, wo es im Winter nichts, aber auch gar nichts zu tun gibt.
"Es gibt keine Schwierigkeiten, dass sie mal untereinander Auseinandersetzungen haben, aber das ist nich unser Bier, aber ansonsten kann man sich nicht beschweren."
Dass Deutschland 2013 mit 100.0000 Asylbewerben rechnet, hat er neulich in der Zeitung gelesen. Und das die Bewerber auch in anderen bayrischen Dörfern einquartiert werden.
"Leben müssen wir damit, das wissen wir, so lange Leute kommen, müssen sie auch nach Schöllnstein kommen."
Vor kurzem hat die neue bayrische Sozialministerin angekündigt, die Situation der Asylbewerber zu verbessern. Der alte Landwirt zuckt mit den Schultern. In Schöllnstein hat man davon noch nichts gemerkt. Die Asylbewerber nicht. Und er auch nicht.
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