Bayerischer Naturschutz

Das Dilemma mit Wolf und Rhönschaf-Lämmchen

08:33 Minuten
Ein Wolf sitzt in einer Wiese.
Kein Platz für beide: Wenn der Wolf dem Schaf an die Kehle geht, ist er fällig, meinen viele. © EyeEm / Hannie Van Baarle
Von Heiner Kiesel · 28.05.2019
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Wie wild darf unser Wald sein? In der Rhön reißt der zurückgekehrte Wolf nicht nur Nutztiere, sondern auch das wieder hochgezüchtete Rhönschaf. Und da sagt nun ein naturverbundener Schafbauer: Hier muss Schluss sein!
Unterwegs in der Rhön, und zwar zum Tatort im Geländewagen. Am Steuer sitzt in olivgrüner Wildlederjacke Thomas Schmitt: "Ich bin der Kreisgruppenvorsitzende von den Jägern aus Bad Neustadt."
Vor der Windschutzscheibe breitet sich die kleinteilige Hügellandschaft aus: Wälder, Felder, Hecken. In diesem Gebiet gehen Schmitt und die anderen Jäger inzwischen nicht mehr so alleine auf die Pirsch. Vergessen wir mal Luchs und Fuchs. Die können mit dem neuen Profi eh nicht mithalten.
"Wir haben da so eine kleine Mitjägerin. Da war ich Anfangs auch etwas überrascht, auch erfreut. Sicherlich ist man da als Jäger mit gemischten Gefühlen unterwegs, denn alles im Leben hat ja Vor- und Nachteile." Ein schönes Tier, eine Bereicherung – aber auch Konkurrenz in Wald und Flur. Ein Unsicherheitsfaktor. Man geht in der Gegend davon aus, dass sie hier bleibt, standorttreu. Seit einem Jahr etwa ist die Wölfin da, aus Brandenburg zugewandert. Das bezeugen DNA-Spuren. Schmitt biegt vor dem Dörfchen Ginolfs links in einen Feldweg ein. Letzte Gewissheit sollen Proben von hier geben.

Ein totgebissenes Reh - kein schöner Anblick

"Hier wurde also der letzte aktuelle Wolfsriss gefunden, da handelte es sich um ein Reh. Das lag noch in Sichtweite von der Straße. Es ist dann so gewesen, dass der Kehlbiss stattgefunden hat, der typische Kehlbiss. Dann fängt der Wolf an und nimmt sich die Innereien raus, der fängt also an in den Weichteilen zu fressen und hat dann sich noch eine Keule abgefressen."
Das hat wahrscheinlich nicht gut ausgesehen. Inzwischen ist alles weg. In Sichtweite sind Häuser, unten im Tal Ställe – von denen wird gleich noch die Rede sein. So nah also kommt das Tier den Menschen.
Die Wölfin erregt die Gemüter: Von mittelalterlichen Schriften wird geraunt. Tollwütiger Wolf hieße es da: 50 Menschen tot. Können die Kinder noch im Wald spielen? Hörer aus der Lausitz oder der Lüneburger Heide schütteln vielleicht jetzt den Kopf. Immer wieder diese Geschichten. Seit 20 Jahren gibt es wieder Wölfe in Deutschland. Aber in der Rhön eben erst seit kurzem. Einen.

Die CSU verspricht "raschen Abschuss"

"Manche haben Angst gehabt. Auch: Der Wolf ist da. Das sind auch ein wenig Urinstinkte, die in einem stecken, dass da der böse Wolf kommt." Unlängst war die bayerische Agrarministerin Michaela Kaniber in der Rhön und hat versprochen, dass man nicht zusehen wird, dass der Wolf in der Rhön – ganz wörtlich – "einmarschiert". Sie hat auch raschen Abschuss des stark geschützten Beutegreifers in Aussicht gestellt, wenn der partout 'was anderes frisst, als er soll.
Die Rhönschafe im Dorf Ginolf
Die Rhönschafe im Dorf Ginolf.© Deutschlandfunk / Heiner Kiesel
Man kann ja nicht überall Zäune aufstellen. Die bayerische Staatsregierung hat eben auch einen Aktionsplan Wolf aufgelegt, der mehr oder weniger in die gleiche Richtung weist. Naturschützer ärgern sich da natürlich. Aber so einfach verlaufen die Fronten nicht in der Rhön, denn da trifft der geschützte Wolf auf die schützenswerten Rhönschaf-Lämmchen und findet sie vielleicht lecker. "Jaja, die Rhönschafe wurden ja auch von uns, vom Bund Naturschutz vor über 30 Jahre hier wieder beheimatet und gehören als Marketingtier auf jeden Fall dazu."

Wolf vs. Rhönschaf

Ein Abstecher nach Bad Königshofen zu Helmut Bär, Kreisvorsitzender der Bund-Naturschutz-Kreisgruppe Rhön-Grabfeld.
Vor dreißig Jahren war das robuste Rhönschaf fast verschwunden. Zusammen mit einem Schäfer hat sein Verband den Bestand wieder aufgepäppelt. Sie spielen eine wichtige Rolle bei Landschaftspflege der Rhön. Aber durch diese Landschaft streift jetzt auch der Wolf. Schön, dass er da ist, freut sich der pensionierte Pfarrer und Naturschutzaktivist.
Schäfer Josef Kolb mit seinen Hütehunden.
Schäfer Josef Kolb mit seinen Hütehunden.© Deutschlandfunk / Heiner Kiesel
Er hofft, dass die Wölfin bald den richtigen Partner findet und vielleicht Junge bekommt. "Wir sagen, der Wolf gehörte zu unserer Tierwelt in Deutschland und kann auch jetzt wieder dazu gehören, wenngleich manch andere das nicht so sehen und der Ansicht sind, in unserer Kulturlandschaft hat ein Wolf keinen Platz mehr."
Forderungen nach wolfsfreien Zonen und die Abschussfantasien mancher Politiker findet Bär ziemlich unpraktikabel. Der Wolf sei nunmal hoch geschützt – "Gottseidank!" – und ziemlich wanderfreudig. Und warum soll das nicht gehen, diese Koexistenz von Schafen und Wölfen? Es gibt ja Schutzmaßnahmen für die Weidetiere. Und wenn es 'mal zu einem Zwischenfall kommt? – Naja, so ist das in der Natur eben. Ein Dilemma sei das nicht für den BUND. "Es ist ja immer so, dass jeder Tierhalter mit gewissen Ausfällen rechnen muss, auch durch Krankheit zum Beispiel. Von daher ist es, denke ich, wenn wir alle möglichen Maßnahmen versuchen, durchaus ertragbar, wenn mal hin und wieder die Wölfin ein Tier reißt."

Auf die neue Situation vorbereiten

Wieder zurück nach Ginolfs, mitten in der Rhön, im Wolfsgebiet. Im Talgrund hat Josef Kolb seinen Stall. Das wird interessant zu hören, ob auch der Schäfer der Bund-für-Umwelt-und-Naturschutz-Schafe die Sache so locker sieht. Er trägt eine Vliesjacke über dem karierten Hemd, einen Filzhut und einen dünnen Schnauzer: "Ich bin der Josef Kolb, Biolandwirt aus Ginolfs und wir haben seit 1985 das Projekt Rhönschafe vom Bund Naturschutz. Im Moment haben wir gut 400 Mutterschafe und die Lämmernachzucht – alles in allem so 700 bis 800 Tiere."
Er hat eine Heugabel in der Hand. Weiße Schafe mit putzigem schwarzem Kopf ringsum. Kolb ist derzeit eigentlich permanent damit beschäftigt, sie zu füttern. Bald führt er seine Herde ins Freie, dorthin wo auch der Wolf umherstreift. "Ich sage: Das ist wie ein Roulette - wo greift er zuerst zu, bei wem ist er zuerst in der Herde. Wir wissen das nicht. Ich verdränge es im Moment noch, weil ich mir sage: Im Moment ist es nicht akut für mich, aber das kann natürlich von heute auf morgen akut werden."
Er versucht sich so gut wie möglich auf die neue Situation vorzubereiten. Er hat seine Zäune, 90 Zentimeter hoch mit fünf stromführenden Leitungen, er hat sich drei Herdenschutzhunde angeschafft, die bei den Schafen drinnen bleiben. Wuschelige kaukasische Owtscharkas - ausgewachsen wolfsmäßige 50 Kilo schwer. Hoffentlich hat der Räuber den nötigen Respekt vor ihnen: "Sie sollen einfach nur innerhalb des Zaunes mitlaufen und dem Wolf signalisieren: 'Schau her, wir sind zu dritt und wir sind wesentlich größer als du, überlege dir das einfach, ob du da rein kommst oder nicht!'"

Ein Wolf in der Herde? - Das muss man verkraften.

Es wird ein spannendes Jahr werden, meint Kolb. Er versucht möglichst gelassen zu bleiben und alles zu tun, was möglich ist, um seine Schafe zu behüten. Er sagt, er will ein gutes Gewissen haben, falls doch was passiert. Existenzielle Fragen: "Es gibt ja Gebiete wie in der Lausitz oder in der Lüneburger Heide, da geht das ja schon jahrelang so zu. Da gibt es auch Schäfer, die aufhören, weil sie sich das nicht mehr antun wollen. Es ist natürlich auch ein Bild, wenn der Wolf drin war und hat ein Massaker verübt. Das muss man auch erstmal verkraften. Und dann, wenn es immer wieder passiert und man hat alles getan - den Zaun aufgebaut und Hunde mit drin - , dann kommt einfach der Moment der Ratlosigkeit, wenn man dann sagt: 'Es geht einfach nicht mehr.'"
Nein, das möchte er wirklich nicht erleben, auch wenn er als Biolandwirt viel von Biodiversität und Artenschutz hält - im Zweifel stehen für ihn die Schafe im Vordergrund. Und da findet er, gibt der Aktionsplan Wolf in Bayern auch einen gewissen Rückhalt: "Ich denke: Wir stehen jetzt auch im Konflikt. Wir haben irgendwo den Artenschutz, die Biodiversität, wir wollen Artenschutz - die Rhönschaferhaltung ist ja auch Artenschutz gewesen. Jetzt haben den Wolf da, der zum Artenschutz nicht ganz so gut passt, weil er etwas negativ auftritt. Und letztendlich steht ja auch im Aktionsplan Wolf drin, dass, wenn es trotzdem Übergriffe gibt, und zwar solche, die das permanent machen, dann gibt es ja die Möglichkeit der 'Entnahme' und das sind dann Entscheidungen, die getroffen werden müssen."
Ist Artenschutz nur dann wirklich gut, wenn die richtigen Arten geschützt werden? "Abnormales Verhalten? - Wenn das kein Wolf mehr ist im Sinne des Wolfes, dann muss er halt weg."
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