Bayerische Schmankerl aus dem Biergarten

Von Udo Pollmer · 08.02.2009
Bei Bayern denkt man vor allem an eine deftige Küche - aber die gibt es überall auf der Welt. Etwas Besonderes ist aber die Biergartenkultur samt Brotzeit mit Weißwürsten oder Radi.
Wie erklärt sich das? Hier müssen wir ausnahmsweise mit dem Getränk beginnen, dem Bier. Von diesem Grundnahrungsmittel leiten sich die übrigen Zuspeisen ab, wie Weißwürste, Rettiche oder Brezen. Das hängt mit dem hohen Kaliumgehalt des Gerstensaftes zusammen, der Natriummangel verursachen kann. Deshalb bemüht sich der Biertrinker um eine ausreichende Versorgung mit Salz.

Und deshalb isst der Bayer seine mit Salz bestreuten Brez‘n? Richtig – Sesambrezeln sind im Biergarten kontraindiziert! Deshalb passt auch der Rettich ins kulinarische Bild. Der ernährungsbewusste Bayer infiltriert seinen Radi mit viel Salz und verzehrt ihn erst, wenn unnötige Flüssigkeit rausgelaufen ist – denn seine Flüssigkeit konsumiert der Bayern in Form von Bier und nicht durch wasserreiches Gemüse (Rettich enthält mehr Wasser als Bier). Entwässert und gesalzen ist der Rettich durchaus vorteilhaft: Seine Senföle wirken desinfizierend und sie regen den Gallenfluss an. Da der biergartengängige Bayer ja auch ein sprichwörtlicher Grantler ist, erscheint eine regelmäßige Stimulation der Galle vom volksmedizinischen Standpunkt sehr vernünftig. Aus einsichtigen Gründen sollte dies möglichst im Freien geschehen, denn es müssen dabei die Folgen der schwefelhaltigen Senföle des Rettich mit in Betracht gezogen werden. Wenn diese sich im Laufe des Abends lautstark Luft machen, bietet eine Krachlederne auch gehaltvolleren Open-Air-Konzerten ein passendes Ambiente.

Da lob ich mir die Weißwurst. Weiß man eigentlich schon was da reinkommt? Offiziell Kalbfleisch, Schweinefleisch, gekochte Schwarten und Kalbskopfhäute sowie jede Menge Eis, das durch die Zugabe von Kutterhilfsmitteln gebunden wird. Dazu etwas Salz, Pfeffer, Muskat sowie Zitronenschale und frische Petersilie. Nach dem Abfüllen in Schweinedärme wird die Masse eine halbe Stunde lang bei etwa 70°C gebrüht. Das sorgt für eine gewisse – wenn auch nicht optimale Haltbarkeit. Zu Zeiten ohne Kühltechnik verdarb die Wurst schnell. Das ist der Grund für die Redewendung, dass die Weißwürste das 12-Uhr-Läuten der Kirchenglocken nicht mehr hören sollten. Bei der heutigen Hygiene und Kühltechnik ist diese Regel nur noch von nostalgischem Wert.

Warum süßer Senf und nicht scharfer? Je schlechter die Wurst, desto schärfer der Senf. Die Scharfstoffe wirken antibiotisch – aber dafür hat der Bayer schon seinen geliebten Rettich engagiert. Der scharfe Senf ist im Biergarten aber noch aus einem anderen Grund überflüssig: Die Weißwürste werden weder geräuchert noch gegrillt. Der Senf hat aber die Aufgabe, die beim Räuchern und Grillen gebildeten PAK, namentlich das Benzpyren, zu entgiften. Insofern bietet es sich an, den zur Wurst gewohnheitsmäßig verzehrten Senf für andere Belange zu nutzen und ihn kulinarisch aufzuwerten. Der erkleckliche Zusatz an Zucker steigert den Nährwert. Die Wurst liefert ja nur Eiweiß und Fett, sowie ein paar Ballaststoffe, Mineralien, Vitamine und so Zeug – aber leider keine Kohlenhydrate.

Und warum sind die jetzt so wichtig? Zucker ist bekanntermaßen der entscheidende Treibstoff für das menschliche Gehirn. Das wird weder durch fleißiges Wassertrinken noch mit Fischölen aktiviert – es ist ja kein Aquarium – sondern mit Glucose, also mit Traubenzucker. Nicht umsonst wird der süße Senf ja auch in reichlicher Menge genossen, und auch die Weißwurst gilt vielerorts nicht als eigenständige Speise, sondern als reine "Senfgrundlage". Die kleinen Plastikbriefchen mit süßem Senf, die heute mancherorts zur Wurst ahnungslosen Gästen auf den Teller gelegt werden, gehören nicht ins Wirtshaus, sondern ins Kuriositätenkabinett einer kulturlosen Küche.

Zurück zu den Getränken. Warum gibt’s im Biergarten keinen Kamillentee – als Alternative zum frischgezapften Hopfentee? Kräutertees schädigen in Verbindung mit Schweinsbraten leider die Leber. Sie potenzieren die Wirkung der sogenannten heterocyclischen Amine, die beim Erhitzen von Eiweiß entstehen. Das Bier hingegen neutralisiert die heterocyclischen Amine und schont damit die Leber. Der verantwortliche Wirkstoff ist unbekannt – es ist jedenfalls nicht der Alkohol. Prost!

Literatur:
Fenves AZ et al: Beer potomania. Clinical Nephrology 1996; 45: 61-64
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Stavric B et al: The effect of teas on in vitro mutagenic potential of heterocyclic aromatic amines. Food and Chemical Toxicology 1996; 34: 515-523
Teuscher E, Lindequist U: Biogene Gifte. Fischer, Stuttgart 1987