Baustelle des Bösen
Der Architekt und Designprofessor Friedrich von Borries hat die Großbaustelle Ground Zero als Schauplatz für seinen Debütroman gewählt. Darin wird beschrieben, wie sich junge Menschen in New York gegen Überwachung und Kontrolle durch den Staat wehren.
Ein Roman, der keiner sein will: "Fiktion ist die beste Tarnung der Realität" schlägt der Autor bereits vor dem ersten Kapitel vor – und lässt sich in dieser Hinsicht auf keine Diskussion ein. Dieser Roman sei der wahre Bericht eines untergetauchten Freundes, der sich das Pseudonym Mikael Mikael zugelegt hat und als Künstler (vermutlich) in Berlin lebt, im Umschlag ein Foto des Gesuchten: Rückansicht, weißer Kapuzenpullover.
Die Paranoia um Geheimnis und Sicherheit, die Manipulierbarkeit und Überwachung des Subjektes in seiner Umwelt: Was in der Realitätslegende um den Roman herum gespielt wird, spiegelt seinen Inhalt. Mikael ist mit einem Stipendium des Berliner Senats nach New York gekommen und realisiert dort ein Kunstprojekt, einen Film, den er nicht mit eigenen Kameras dreht, sondern aus Bildern angezapfter Überwachungskameras montiert. Eine schöne Kunsthistorikerin ist seine Darstellerin, sie läuft durch die jeweiligen Bilder und ruft die skurrile Ermutigungsparole, die New Yorks damaliger Bürgermeister Giuliani am 12. September 2001 ausgegeben hatte: "Show you're not afraid. Go shopping."
Ein bisschen Politkunst, ein bisschen New Yorker Szeneninterna, ein bisschen Sex. Mikael und seine Hauptdarstellerin werden ein Paar, intim verbandelt ist er auch mit der Sicherheitsexpertin Syrana, die ihm beim Hacken der Überwachungskameras hilft. Schließlich kommt noch Tom ins Spiel, Ex-Freund der Kunsthistorikerin, ein Architekt, der für den Ausbau der Kellergeschosse des 1WTC verantwortlich ist, des One World Trade Center, das derzeit auf Ground Zero entsteht.
Doch dieser Keller ist kein gewöhnlicher Ort, in dem sich Heizungsanlage und Aktenarchive befinden werden. Im Fundament des 1WTC soll Tom eine so surreal anmutende wie einleuchtende Idee der CIA realisieren: eine Folterstätte, die ein islamisches Paradies simuliert, inklusive Whirlpool, rosa Nebel und tanzenden Jungfrauen. Perfides Zuckerbrot soll er bauen, um Dschihadisten zum Reden zu bewegen. Das getroffene Herz der USA, so erzählt uns dieser Bericht, wird derzeit zum Herz der Finsternis umgebaut. Und Mikael zapft eine Überwachungskamera zu viel an. Schließlich werden drei Protagonisten diesen Roman nicht überleben, und der Künstler wird allen Grund haben, unterzutauchen.
Schnell und schlau ist dieser Roman strukturiert. Angenehm unaufgeregt seine Sprache, geschickt montiert seine wechselnden Perspektiven: mal Drehbuchszene, mal Bericht, mal Dialog. Und dazwischen sind tragende Teile wie etwa Abrisse zu architektonischen Termini und Exkurse zu politischer Kunst und der Überwachungsgesellschaft eingebaut. Die Geschichte des World Trade Centers und die Wettbewerbssituation nach 9/11, die grünwuchernden Visionen des Architekten Daniel Libeskind und die letztendliche Spar-Realisierung von David Childs – all das wird noch einmal in Erinnerung gerufen und auf der Folie der Überwachungsparanoia unserer Gesellschaft inszeniert.
In seinem literarischen Debüt führt uns der Architekt und Kunsttheoretiker Friedrich von Borries in einer radikalen Begehung auf die derzeit wichtigste Baustelle der Welt. In einer "True story", die als Spiel mit der Lust an Verschwörungstheorien zu lesen ist, und die schließendlich doch vor Augen führt, dass es egal ist, ob Mikael Mikael Künstler oder Kunstfigur ist. Architektur mag die Mutter der Künste sein, die Literatur vielleicht die am wenigsten manifeste. Umso spannender ist, wie sie hier in Resonanz treten – einmal mehr mit der Aufforderung, darüber nachzudenken, wo der Unterschied ist zwischen Gedankengebäude und gebauter Realität.
Besprochen von Katrin Schumacher
Friedrich von Borries: 1WTC
Suhrkamp Verlag 2011
204 Seiten, 13,95 Euro
Die Paranoia um Geheimnis und Sicherheit, die Manipulierbarkeit und Überwachung des Subjektes in seiner Umwelt: Was in der Realitätslegende um den Roman herum gespielt wird, spiegelt seinen Inhalt. Mikael ist mit einem Stipendium des Berliner Senats nach New York gekommen und realisiert dort ein Kunstprojekt, einen Film, den er nicht mit eigenen Kameras dreht, sondern aus Bildern angezapfter Überwachungskameras montiert. Eine schöne Kunsthistorikerin ist seine Darstellerin, sie läuft durch die jeweiligen Bilder und ruft die skurrile Ermutigungsparole, die New Yorks damaliger Bürgermeister Giuliani am 12. September 2001 ausgegeben hatte: "Show you're not afraid. Go shopping."
Ein bisschen Politkunst, ein bisschen New Yorker Szeneninterna, ein bisschen Sex. Mikael und seine Hauptdarstellerin werden ein Paar, intim verbandelt ist er auch mit der Sicherheitsexpertin Syrana, die ihm beim Hacken der Überwachungskameras hilft. Schließlich kommt noch Tom ins Spiel, Ex-Freund der Kunsthistorikerin, ein Architekt, der für den Ausbau der Kellergeschosse des 1WTC verantwortlich ist, des One World Trade Center, das derzeit auf Ground Zero entsteht.
Doch dieser Keller ist kein gewöhnlicher Ort, in dem sich Heizungsanlage und Aktenarchive befinden werden. Im Fundament des 1WTC soll Tom eine so surreal anmutende wie einleuchtende Idee der CIA realisieren: eine Folterstätte, die ein islamisches Paradies simuliert, inklusive Whirlpool, rosa Nebel und tanzenden Jungfrauen. Perfides Zuckerbrot soll er bauen, um Dschihadisten zum Reden zu bewegen. Das getroffene Herz der USA, so erzählt uns dieser Bericht, wird derzeit zum Herz der Finsternis umgebaut. Und Mikael zapft eine Überwachungskamera zu viel an. Schließlich werden drei Protagonisten diesen Roman nicht überleben, und der Künstler wird allen Grund haben, unterzutauchen.
Schnell und schlau ist dieser Roman strukturiert. Angenehm unaufgeregt seine Sprache, geschickt montiert seine wechselnden Perspektiven: mal Drehbuchszene, mal Bericht, mal Dialog. Und dazwischen sind tragende Teile wie etwa Abrisse zu architektonischen Termini und Exkurse zu politischer Kunst und der Überwachungsgesellschaft eingebaut. Die Geschichte des World Trade Centers und die Wettbewerbssituation nach 9/11, die grünwuchernden Visionen des Architekten Daniel Libeskind und die letztendliche Spar-Realisierung von David Childs – all das wird noch einmal in Erinnerung gerufen und auf der Folie der Überwachungsparanoia unserer Gesellschaft inszeniert.
In seinem literarischen Debüt führt uns der Architekt und Kunsttheoretiker Friedrich von Borries in einer radikalen Begehung auf die derzeit wichtigste Baustelle der Welt. In einer "True story", die als Spiel mit der Lust an Verschwörungstheorien zu lesen ist, und die schließendlich doch vor Augen führt, dass es egal ist, ob Mikael Mikael Künstler oder Kunstfigur ist. Architektur mag die Mutter der Künste sein, die Literatur vielleicht die am wenigsten manifeste. Umso spannender ist, wie sie hier in Resonanz treten – einmal mehr mit der Aufforderung, darüber nachzudenken, wo der Unterschied ist zwischen Gedankengebäude und gebauter Realität.
Besprochen von Katrin Schumacher
Friedrich von Borries: 1WTC
Suhrkamp Verlag 2011
204 Seiten, 13,95 Euro