Baufieber lässt sich nicht planen
Die Umwandlung von Industrie- und Hafenarealen zu neuen Stadtquartieren verhilft der europäischen Stadt zu einer Renaissance. Ob Amsterdam oder Barcelona, Dublin oder Basel, die innenstadtnahen Quartiere werden als Orte des Wohnens, Arbeitens und des gesellschaftlichen Zusammenlebenslebens wieder entdeckt. Ausgewählte Beispiele zeigt das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt/Main mit Fotos, Bauplänen und Stadtmodellen unter dem Titel "New Urbanity".
Das Modell von Hamburgs HafenCity ist aus edlen Obsthölzern gefräst, über dem dunkelbraunen Häusermeer blitzt im Wandrelief ein kristalliner Plexiglaskörper – die künftige Elbphilharmonie. Einige Schritte weiter wartet im Deutschen Architekturmuseum die nächste Modellstadt: Bilbao. Dort hat Frank O. Gehry mit einem aufsehenerregenden Museums-Neubau berühmte Architektenkollegen angezogen. Zaha Hadid errichtet ein ganzes Hochhaus-Quartier. Arata Isozaki plant einen gläsernen Turm, in der Ausstellung "New Urbanity" überragt das von innen erleuchtete Modell bereits die ganze Stadt Bilbao. Als Leuchtturm, der den Weg ins 21. Jahrhundert weist. Aber mit dem Leitmedium Architektur lassen sich die Probleme der europäischen Stadt auch weniger spektakulär lösen:
Karen Jung: "London ist regelrecht gewuchert – über viele Jahrzehnte – zu einem fast undurchdringlichen Dickicht. Und es zeigt sich, dass durch ganz spezielle Eingriffe, durch wenige Eingriffe, es sehr schön möglich ist, diese Stadt wieder zu ordnen und den Menschen in der Stadt Orientierung zu geben."
Kuratorin Karen Jung spielt auf die Millennium Bridge an, aber auch auf Bemühungen um neue Sichtachsen. In Rotterdam, so demonstriert Museumsdirektor Peter Cachola Schmal, machten Architekten eine simple Brücke zum Wahrzeichen und verschafften so einem kompletten neuen Stadtteil buchstäblich "Ansehen":
Peter Cachola Schmal: "Die Brücke von Ben van Berkel das ist eine besonders skulpturale, eine besonders schöne Brücke, die sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und damit klar gemacht hat, dass der Brückenschlag auf das neue Gebiet erfolgreich ist – es hat funktioniert. Und man kann von diesen Methoden lernen: Die haben halt ein Infrastruktur-Bauwerk genommen und das spektakulär gestaltet."
Als "ikonologisches Bauen", als Tanz ums goldene Kalb von sogenannten Stararchitekten ist dieser Trend häufig kritisiert worden. Aber die "New Urbanity" scheint nur so möglich: nicht nur, dass die neuen Quartiere auf Industriebrachen oder in verwaisten Hafenanlagen sich wie in einem Kristallisationsprozess erst um herausgehobene Wahrzeichen anlagern, nur die sogenannte "Anker-" oder "Leuchtturmarchitektur" zieht jene Investoren an, auf deren Geld Stadtentwicklung angewiesen ist. Aber Kuratorin Karen Jung sieht da kein Problem:
Karen Jung: "Solange diese Architektur nicht losgelöst, nicht als Solitär, wie eine Statuette im Raum steht. Sehr eindrücklich zeigt das Basel. Dort sind auch sehr viele namhafte Architekten, ob das Roger Diener ist, Saana oder Tadao Ando, die durch eine gewisse Zurückhaltung eine ganz glanzvolle Architektur liefern. Aber das bedeutet eine harte Hand, eine gewisse Disziplin – und dann führt das zu einem sehr guten Ergebnis."
Für diese Disziplin, etwa für Gestaltungssatzungen, sorgten früher einmal die Stadtbauräte.
Peter Cachola Schmal: "Hier in Frankfurt ist es Martin Wenz gewesen, der seinerzeit als Planungsdezernent dafür gesorgt hat, dass Frankfurt sich seinem Ufer zuwendet. Jetzt, aktiv, sieht man am Beispiel Hamburg wie es Jörn Walter schafft, eine ganze Stadt ins Baufieber zu bringen und zu entwickeln. Und der Rest der Kommunen schaut relativ neidisch auf Hamburg und auf das, was dort geschieht."
Von diesen Geschichten – von kommerziellen Interessenkämpfen und politischen Intrigen – erzählen die zahlreichen, auf quadratischen Würfeln angebrachten Fotos wenig. Und auch die Architekturmodelle können allenfalls eine grobe Entwicklung markieren: von der ersten Planungsskizze, der ungebundenen "Vision", über das möglichst repräsentative und solide Schaustück für Investoren bis hin zum maßstabsgerechten Endzustand. In ihren Aufsätzen für den reich illustrierten Katalog allerdings sprechen die Experten eine andere Sprache, machen sich bei allen 17 vorgestellten Projekten die Sicht des Flaneurs, des Bürgers als aufmerksamem Städtebewohner zu Eigen. Und auch Matthias Böttger, Kurator einer zweiten Ausstellung über Nachhaltigkeit im Städtebau der Zukunft, stärkt diese Position des "Raumtaktiker", wie der Berliner Architekt sich nennt:
Matthias Böttger: "Raumtaktik heißt, dass die Taktik auch mit wenig Macht auskommt und letztendlich auch die Macht des Konsumenten ausdrückt, der durch sein taktisches Vorgehen viel erreichen kann. Das kennt man aus der Konsumkritik und wir haben das in den Bereich des Raumes übertragen: dass auch diese kleinen, subversiven Schritte in der Raumnnutzung auch viel zum Leben und der Wandlung einer Stadt beitragen können."
Wichtiger als prominente Gebäude wären demnach Gebrauch und Benutzung der neuen Städte, der Gebäude wie auch der öffentlichen Plätze. Und dieser soziale, gesellschaftliche Anteil der "neuen Urbanität" ist nur schwer vorherzusagen, kaum planbar, wie Peter Cachola Schmal am steilen Aufstieg Berlins zur Kunstmetropole erläutert:
Peter Cachola Schmal: "New York, Paris, London, die Superweltstädte des Westens, jammern alle drei, dass ihnen die künstlerische Klasse weggebrochen ist und dass die alle in Berlin sind. Städte ändern sich nun mal und Urbanität ist etwas, was ganz schwer zu begreifen ist und was ganz schwer herzustellen ist – künstlich."
Service:
Die Ausstellung "New Urbanity – Die Europäische Stadt im 21. Jahrhundert" ist vom 6.12.2008 bis zum 22.2.2009 im Deutschen Architekturmuseum zu sehen.
Karen Jung: "London ist regelrecht gewuchert – über viele Jahrzehnte – zu einem fast undurchdringlichen Dickicht. Und es zeigt sich, dass durch ganz spezielle Eingriffe, durch wenige Eingriffe, es sehr schön möglich ist, diese Stadt wieder zu ordnen und den Menschen in der Stadt Orientierung zu geben."
Kuratorin Karen Jung spielt auf die Millennium Bridge an, aber auch auf Bemühungen um neue Sichtachsen. In Rotterdam, so demonstriert Museumsdirektor Peter Cachola Schmal, machten Architekten eine simple Brücke zum Wahrzeichen und verschafften so einem kompletten neuen Stadtteil buchstäblich "Ansehen":
Peter Cachola Schmal: "Die Brücke von Ben van Berkel das ist eine besonders skulpturale, eine besonders schöne Brücke, die sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und damit klar gemacht hat, dass der Brückenschlag auf das neue Gebiet erfolgreich ist – es hat funktioniert. Und man kann von diesen Methoden lernen: Die haben halt ein Infrastruktur-Bauwerk genommen und das spektakulär gestaltet."
Als "ikonologisches Bauen", als Tanz ums goldene Kalb von sogenannten Stararchitekten ist dieser Trend häufig kritisiert worden. Aber die "New Urbanity" scheint nur so möglich: nicht nur, dass die neuen Quartiere auf Industriebrachen oder in verwaisten Hafenanlagen sich wie in einem Kristallisationsprozess erst um herausgehobene Wahrzeichen anlagern, nur die sogenannte "Anker-" oder "Leuchtturmarchitektur" zieht jene Investoren an, auf deren Geld Stadtentwicklung angewiesen ist. Aber Kuratorin Karen Jung sieht da kein Problem:
Karen Jung: "Solange diese Architektur nicht losgelöst, nicht als Solitär, wie eine Statuette im Raum steht. Sehr eindrücklich zeigt das Basel. Dort sind auch sehr viele namhafte Architekten, ob das Roger Diener ist, Saana oder Tadao Ando, die durch eine gewisse Zurückhaltung eine ganz glanzvolle Architektur liefern. Aber das bedeutet eine harte Hand, eine gewisse Disziplin – und dann führt das zu einem sehr guten Ergebnis."
Für diese Disziplin, etwa für Gestaltungssatzungen, sorgten früher einmal die Stadtbauräte.
Peter Cachola Schmal: "Hier in Frankfurt ist es Martin Wenz gewesen, der seinerzeit als Planungsdezernent dafür gesorgt hat, dass Frankfurt sich seinem Ufer zuwendet. Jetzt, aktiv, sieht man am Beispiel Hamburg wie es Jörn Walter schafft, eine ganze Stadt ins Baufieber zu bringen und zu entwickeln. Und der Rest der Kommunen schaut relativ neidisch auf Hamburg und auf das, was dort geschieht."
Von diesen Geschichten – von kommerziellen Interessenkämpfen und politischen Intrigen – erzählen die zahlreichen, auf quadratischen Würfeln angebrachten Fotos wenig. Und auch die Architekturmodelle können allenfalls eine grobe Entwicklung markieren: von der ersten Planungsskizze, der ungebundenen "Vision", über das möglichst repräsentative und solide Schaustück für Investoren bis hin zum maßstabsgerechten Endzustand. In ihren Aufsätzen für den reich illustrierten Katalog allerdings sprechen die Experten eine andere Sprache, machen sich bei allen 17 vorgestellten Projekten die Sicht des Flaneurs, des Bürgers als aufmerksamem Städtebewohner zu Eigen. Und auch Matthias Böttger, Kurator einer zweiten Ausstellung über Nachhaltigkeit im Städtebau der Zukunft, stärkt diese Position des "Raumtaktiker", wie der Berliner Architekt sich nennt:
Matthias Böttger: "Raumtaktik heißt, dass die Taktik auch mit wenig Macht auskommt und letztendlich auch die Macht des Konsumenten ausdrückt, der durch sein taktisches Vorgehen viel erreichen kann. Das kennt man aus der Konsumkritik und wir haben das in den Bereich des Raumes übertragen: dass auch diese kleinen, subversiven Schritte in der Raumnnutzung auch viel zum Leben und der Wandlung einer Stadt beitragen können."
Wichtiger als prominente Gebäude wären demnach Gebrauch und Benutzung der neuen Städte, der Gebäude wie auch der öffentlichen Plätze. Und dieser soziale, gesellschaftliche Anteil der "neuen Urbanität" ist nur schwer vorherzusagen, kaum planbar, wie Peter Cachola Schmal am steilen Aufstieg Berlins zur Kunstmetropole erläutert:
Peter Cachola Schmal: "New York, Paris, London, die Superweltstädte des Westens, jammern alle drei, dass ihnen die künstlerische Klasse weggebrochen ist und dass die alle in Berlin sind. Städte ändern sich nun mal und Urbanität ist etwas, was ganz schwer zu begreifen ist und was ganz schwer herzustellen ist – künstlich."
Service:
Die Ausstellung "New Urbanity – Die Europäische Stadt im 21. Jahrhundert" ist vom 6.12.2008 bis zum 22.2.2009 im Deutschen Architekturmuseum zu sehen.