Bauernfänger auf Jagd nach blauem Blut
Ausgerechnet die Aufklärung nimmt sich Joachim Kalka vor, um ein Phänomen zu beschreiben, das zu allen Zeiten Konjunktur hat: Der Autor schildert in anekdotengesättigten und ausgesprochen sprachschönen Essays Vertreter der Bauernfängerei - wobei dies nicht ganz der passende Begriff ist, weil viele der Getäuschten von blauem Blut waren, bisweilen von königlichem Blut.
Eigentlich sind die Phantome der Aufklärung für Joachim Kalka nur ein Beispiel für die Phantome aller Zeiten und Räume, mit deren Erzeugung Quacksalber, Goldmacher und Hochstapler dümmliche Menschen zu foppen wussten und wissen.
Im Grunde handelt der 1951 geborene Übersetzer und Essayist Kalka in seinen vier Texten von der Dummheit überhaupt. Aber die Aufklärungsepoche eignet sich hervorragend, um der Dummheit sozusagen ein Kontrastmittel zu spritzen, denn die Aufklärung behauptet nichts weniger als den "Ausgang der Menschheit aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit". Sie laborierte an einem umfassenden Umerziehungsprogramm: Säkularisierung und Rationalisierung, zumindest sieht das von heute aus gesehen so aus.
Denn so schnell ließen sich die Grenzen zwischen Ratio und dem Rest der Welt nicht ziehen und befestigen, waren doch die kulturellen Prägungen der Zeitalter der Metaphysik oft viel zu stark und auch die Aufklärung selbst erzeugte irrationale Phantome.
Joachim Kalka schildert in drei detailseligen, anekdotengesättigten und ausgesprochen sprachschönen Essays jeweils einen Hauptvertreter der Bauernfängerei, wobei Bauerfängerei nicht ganz der passende Begriff ist, weil viele der Getäuschten und Verführten von blauem Blut waren, bisweilen von königlichem Blut.
Der erste Fall ist das physikalisch unmögliche "Perpetuum Mobile" des Hochstaplers Johann Ernst Elias Beßler, also einer Maschine die sich unendlich lange bewegt und somit Energie produziert. Kalka schildert in schnellen Strichen liebevoll ein Panorama der Zeit des frühen 17. Jahrhunderts. Beßler durfte dem Landgraf von Hessen-Kassel seine Konstruktion vorführen, die durch eine Antriebwelle im Nebenraum Energie erhielt.
Dieser "Desperado der Wunderwissenschaft", der zeitweise auch als Religionsphilosoph fungierte, starb 1745 völlig verarmt in Fürstenberg. Joachim Kalka vergleicht aufschlussreich seinen Beßler mit der Figur des frühkapitalistischen Entrepreneurs, des abenteuernden Unternehmers, der die ehemals der metaphysischen Positionsverbesserung gewidmeten Energien nun ganz in den pekuniären Aufstieg stecken konnte.
Zweitens schildert Kalka den unaufhaltsamen Aufstieg des Geisterbeschwörers Johann Georg Schröpfer (1730 – 1774), der seine mit seinen durchinszenierten okkultistischen Sitzungen Bürger- und Fürstenseelen verzauberte. Er arbeitete wahrscheinlich mit einer versteckt angebrachten Lichtprojektion, mit einer Laterna Magica.
Kalka zeichnet ein Panaroma der gleichsam fiebrigen Rezeption seiner skurrilen Performances. Schröpfer erschoss sich schließlich, als ihm seine magischen Felle davonschwammen.
Kalkas letzter Dummenfänger und perfekter "Impresario seiner Selbst" ist der angebliche Graf Cagliostro (1743 – 1795), der eine eigene freimaurerische Sekte etablieren wollte, in die auch Frauen aufgenommen werden sollten. Er faszinierte bürgerliche Kreise ebenso wie die Fürstenhäuser Europas.
In seinem Schlussessay lässt Kalka die Erscheinungsformen der Dummheit Revue passieren und weist auf die Komplexität des aktuellen Stands der Dummheit hin: Das hyperrationale wissenschaftliche Weltbild bringt ihre eigene Erscheinungsform der Dummheit hervor:
"Wir wollen wissen, was die Wahrheit der Welt ist, aber die Wissenschaft, die einzige Institution, die uns diese Wahrheit verschaffen kann, hat im Laufe ihrer Geschichte selbst ungeheure Mengen von Dummheit produziert."
Die Naturwissenschaft verleugnet die eigenen Beschränktheiten "und will von ihnen nichts mehr wissen". Die Naturwissenschaft hat es einfacher als ihre Mutter-Ideologie, die Aufklärung. Kalka zitiert den exzentrischen Privatgelehrten Charles Fort, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Eigensinn der Wissenschaft auf den Punkt brachte: "Die Wissenschaft gleicht stark dem amerikanischen Bürgerkrieg. Wer auch gewinnt, es ist ein großer Sieg für Amerika."
Kalkas sympathisches Panoptikum der verwirrten Gemüter der Aufklärungszeit ermöglicht einen schärferen Blick auch auf die aktuelle Lage an der Dummheitsfront. Die "Infantilität des Wünschens", die am Grund der Leichtgläubigkeit heute genauso wie um 1790 rumort, lässt sich mit dem melancholischen Humor Joachim Kalkas zumindest besser ertragen.
Man könnte darüber hinaus auch sagen, Kalkas nüchterner, immer menschlich-liebevoller Blick ist der des Aufklärers, der sich nicht in die Ideologien der Aufklärung und ihrer Kritik hat verwickeln lassen.
Joachim Kalka: Phantome der Aufklärung. Von Geistern, Schwindlern und dem Perpetuum Mobile.
Berenberg Verlag, Berlin 2006
107 Seiten, 19 Euro.
Im Grunde handelt der 1951 geborene Übersetzer und Essayist Kalka in seinen vier Texten von der Dummheit überhaupt. Aber die Aufklärungsepoche eignet sich hervorragend, um der Dummheit sozusagen ein Kontrastmittel zu spritzen, denn die Aufklärung behauptet nichts weniger als den "Ausgang der Menschheit aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit". Sie laborierte an einem umfassenden Umerziehungsprogramm: Säkularisierung und Rationalisierung, zumindest sieht das von heute aus gesehen so aus.
Denn so schnell ließen sich die Grenzen zwischen Ratio und dem Rest der Welt nicht ziehen und befestigen, waren doch die kulturellen Prägungen der Zeitalter der Metaphysik oft viel zu stark und auch die Aufklärung selbst erzeugte irrationale Phantome.
Joachim Kalka schildert in drei detailseligen, anekdotengesättigten und ausgesprochen sprachschönen Essays jeweils einen Hauptvertreter der Bauernfängerei, wobei Bauerfängerei nicht ganz der passende Begriff ist, weil viele der Getäuschten und Verführten von blauem Blut waren, bisweilen von königlichem Blut.
Der erste Fall ist das physikalisch unmögliche "Perpetuum Mobile" des Hochstaplers Johann Ernst Elias Beßler, also einer Maschine die sich unendlich lange bewegt und somit Energie produziert. Kalka schildert in schnellen Strichen liebevoll ein Panorama der Zeit des frühen 17. Jahrhunderts. Beßler durfte dem Landgraf von Hessen-Kassel seine Konstruktion vorführen, die durch eine Antriebwelle im Nebenraum Energie erhielt.
Dieser "Desperado der Wunderwissenschaft", der zeitweise auch als Religionsphilosoph fungierte, starb 1745 völlig verarmt in Fürstenberg. Joachim Kalka vergleicht aufschlussreich seinen Beßler mit der Figur des frühkapitalistischen Entrepreneurs, des abenteuernden Unternehmers, der die ehemals der metaphysischen Positionsverbesserung gewidmeten Energien nun ganz in den pekuniären Aufstieg stecken konnte.
Zweitens schildert Kalka den unaufhaltsamen Aufstieg des Geisterbeschwörers Johann Georg Schröpfer (1730 – 1774), der seine mit seinen durchinszenierten okkultistischen Sitzungen Bürger- und Fürstenseelen verzauberte. Er arbeitete wahrscheinlich mit einer versteckt angebrachten Lichtprojektion, mit einer Laterna Magica.
Kalka zeichnet ein Panaroma der gleichsam fiebrigen Rezeption seiner skurrilen Performances. Schröpfer erschoss sich schließlich, als ihm seine magischen Felle davonschwammen.
Kalkas letzter Dummenfänger und perfekter "Impresario seiner Selbst" ist der angebliche Graf Cagliostro (1743 – 1795), der eine eigene freimaurerische Sekte etablieren wollte, in die auch Frauen aufgenommen werden sollten. Er faszinierte bürgerliche Kreise ebenso wie die Fürstenhäuser Europas.
In seinem Schlussessay lässt Kalka die Erscheinungsformen der Dummheit Revue passieren und weist auf die Komplexität des aktuellen Stands der Dummheit hin: Das hyperrationale wissenschaftliche Weltbild bringt ihre eigene Erscheinungsform der Dummheit hervor:
"Wir wollen wissen, was die Wahrheit der Welt ist, aber die Wissenschaft, die einzige Institution, die uns diese Wahrheit verschaffen kann, hat im Laufe ihrer Geschichte selbst ungeheure Mengen von Dummheit produziert."
Die Naturwissenschaft verleugnet die eigenen Beschränktheiten "und will von ihnen nichts mehr wissen". Die Naturwissenschaft hat es einfacher als ihre Mutter-Ideologie, die Aufklärung. Kalka zitiert den exzentrischen Privatgelehrten Charles Fort, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Eigensinn der Wissenschaft auf den Punkt brachte: "Die Wissenschaft gleicht stark dem amerikanischen Bürgerkrieg. Wer auch gewinnt, es ist ein großer Sieg für Amerika."
Kalkas sympathisches Panoptikum der verwirrten Gemüter der Aufklärungszeit ermöglicht einen schärferen Blick auch auf die aktuelle Lage an der Dummheitsfront. Die "Infantilität des Wünschens", die am Grund der Leichtgläubigkeit heute genauso wie um 1790 rumort, lässt sich mit dem melancholischen Humor Joachim Kalkas zumindest besser ertragen.
Man könnte darüber hinaus auch sagen, Kalkas nüchterner, immer menschlich-liebevoller Blick ist der des Aufklärers, der sich nicht in die Ideologien der Aufklärung und ihrer Kritik hat verwickeln lassen.
Joachim Kalka: Phantome der Aufklärung. Von Geistern, Schwindlern und dem Perpetuum Mobile.
Berenberg Verlag, Berlin 2006
107 Seiten, 19 Euro.