Bauen nach der Ordnung
Der zuständige Minister wollte die lange Zeit ungebremst laufende Ausweisung von Neubaugebieten stoppen, nicht weil das Saarland das Bundesland mit der höchsten Eigenheimquote ist, sondern weil die Bevölkerung des Landes älter ist als die Bevölkerung in den anderen Bundesländern.
Diese demographische Entwicklung hat zur Folge, dass immer mehr Wohnraum in den Ortskernen leer steht und dass immer weniger Baulücken bebaut werden. Stattdessen versuchen die Kommunen mit der Ausweisung von Neubaugebieten ihre Dörfer für jungen Familien attraktiv zu machen, weil sie glauben, dass zwischen Neubaugebieten und Kindersegen ein Zusammenhang besteht.
Ein Jahr lang organisierte die Elterninitiative "Rettet die Grundschulen" den landesweiten Protest. Sie wehrte sich gegen die Pläne des saarländischen Kultusministeriums die kleinen Grundschulen im Land zu schließen. Ohne Erfolg. Inzwischen hat es bereits ein Drittel aller Grundschulen getroffen. Und Gerüchten zu Folge war das nur der Anfang. Per Gesetz wurde geregelt, dass eine Schule in einer Klassenstufe mindestens zwei Züge, also zwei Klassenverbände zustande bringen muss, sonst hat sie ihre Überlebenschance verwehrt. Welche Qualität die Schule dabei aufweist oder welche Funktion sie im innerörtlichen Leben wahrnimmt, das alles spielte und spielt bei den Überlegungen des Ministeriums keine Rolle. Die ländliche Dorfstruktur werde Schaden nehmen, fürchten die Eltern:
"Wir denken, dass das Dorf eine Schule behalten muss. Für den dörflichen Zusammenhalt, für die Identität der Kinder du für die Vereine ist es halt sehr wichtig, dass die Schule im Dorf bleibt. Wenn die Schule weg ist, dann stirbt der kleine Ort. Wir haben nicht viel mehr. Wir haben Schule und Kindergarten; die kleinen Ortschaften verlieren alles."
Noch ist es zu früh, um eindeutig Bilanz zu ziehen. Aber die massenhafte Schließung von Grundschulen hat einer breiten Bevölkerung im Saarland erstmals vor Augen geführt, dass der demografische Wandel im Land vehement eingesetzt hat. Viel eindringlicher als Statistiken dies tun können. Obwohl diese eine eindeutige Sprache sprechen. Die Geburtenziffern im Saarland sind die niedrigsten in ganz Deutschland. In den vergangen zehn Jahren nahm die Zahl der Saarländer um 23.000 ab. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl einer mittleren Kleinstadt. Und der Trend weist weiterhin in diese Richtung. Im Gegensatz dazu beherbergt das Saarland bundesweit nach wie vor die meisten Eigenheimbesitzer.
"Warum soll ich ein Leben lang Miete zahlen, es ist was Eigenes."
Jahrelang buhlten die einzelnen Kommunen um junge, bauwillige Familien. Denn junge Familien - so die Vorstellung - bringen Kaufkraft in die Gemeinde und sorgen mit ihren Kindern für eine stabile Entwicklung im Dorf. Armin König, Bürgermeister der Gemeinde Illingen zweifelt jedoch daran, dass diese These heute noch stimmt:
"Es gab in der Vergangenheit immer den Spruch: Beton zieht Kinder an. Das ist längst nicht mehr so. Neubaugebiete führen nicht mehr dazu, dass mehr Kinder in diesen Gebieten geboren werden. Diejenigen, die dort bauen, haben angesichts der drastisch gestiegenen Preise für Grundstücke, fürs Bauen, ohnehin Probleme, das alles zu finanzieren. Das sind dann meistens Doppelverdiener. Die Betreuungseinrichtungen sind auch nicht so ausgebaut, dass es miteinander in Einklang zu bringen wäre, dass es funktioniert."
Längst nicht alle 52 saarländischen Bürgermeister denken so wie Armin König. Der Wettbewerb um die rar gewordene Institution Familie, läuft ungebrochen. Doch das muss ein Ende haben, deshalb will die Landesplanung die Folgen der demografischen Entwicklung künftig viel stärker steuern als bisher. Der saarländische Umwelt- und Bauminister Stephan Mörsdorf will die Zentren stärken, um die dort vorhandene Infrastruktur auszulasten. Ganz gleich ob es sich dabei um Daseinsvorsorge, Schulen, Freizeiteinrichtungen oder den öffentlichen Personennahverkehr handelt. Nur wer im Landesentwicklungsplan als zentraler Ort anerkannt wird, soll Wachstumschancen bekommen. Die umliegenden Dörfer müssen ihre Wünsche denen der Zentren unterordnen. Stephan Mörsdorf:
"Diejenigen, die in einem Dorf geboren sind und dort bauen wollen, müssen auch die Möglichkeiten haben dort zu bauen. Es kann daher nicht sein, dass alle Ortsteile versuchen im Wettbewerb mit den anderen Ortsteilen junge Familien durch günstiges Bauland anzuziehen. Das wäre Kannibalismus, der gerade bei den knappen öffentlichen Kassen ruinös wäre."
Eigentlich wollte der Minister auch den Ortsteilen der einzelnen Gemeinden genauestens vorschreiben, wo sie noch wachsen dürfen. Die Landesplanung sollte nicht nur vorschreiben, wie viele neue Bauplätze von der Gemeinde in den kommenden zehn Jahren ausgewiesen werden dürfen, sondern auch wo diese entstehen dürfen. Doch dieser Ansatz scheiterte. Noch bevor der Landesentwicklungsplan Siedlung in den kommenden Wochen dem Landtag zur Beschlussfassung vorgelegt wird, organisierten die kommunalen Vertreter den Widerstand. So viel Einmischung in die kommunale Selbstverwaltung wollten die Bürgermeister nicht hinnehmen. Was von der SPD-Opposition im Land bedauert wird. Ulrich Commercon, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion:
"Das wird einen enormen Druck zwischen den verschiedenen Ortskernen erzeugen und wird dafür sorgen, dass die Kommunen insgesamt die für sie vordergründig günstigsten Entwicklungsmöglichkeiten suchen. Da sind aber nicht wirklich die günstigsten sondern die billigsten und damit ist dem eigentlichen Ziel, den Flächenverbrauch einzudämmen und der Zersiedelung entgegen zu wirken, ein Bärendienst erwiesen."
Innerörtlich verdichten heißt die Devise für die Gemeinden. Aber wie? Der Illinger Bürgereister, Armin König, rollt eine Reihe von Plänen aus. Viel Rot ist darauf zu sehen.
"Die roten Punkte sind die Punkte, wo nur noch Leute wohnen, die über 70 sind."
Wie ein Flickenteppich ziehen sich die Punkte quer über alle Ortsteile. Sie markieren die drohenden Gebäude-Leerstände, die der demografischen Entwicklung geschuldet sind. Selbst die ehemaligen Neubaugebiete der 60er und 70er Jahre sind davon betroffen. Sorge macht Bürgermeister König, dass die Single-Haushalte mit den 70- bis 80-Jährigen soweit verzweigt sind. Um überall städtebaulich einzugreifen, fehlen ihm die Mittel. Aber auf seinen Plänen sind zwei, drei Flächen gekennzeichnet, auf denen schon bald etwas geschehen soll.
"Jetzt haben wir überlegt, ob ich nicht zwei, drei Häuser abreiße in der zweiten Reihe, wo ich innerörtlich erschließen kann, wo ich jetzt schon Kanalisation, wo ich jetzt schon Wasserleitungen und Gasleitungen habe. Das Problem ist ja, je weniger Leute in den Häusern wohnen, um so weniger Menschen müssen die gesamten Aufwendungen für Gas, Energie, für die Entsorgung bezahlen. Das heißt, wir haben in den kommenden Jahren steigende Kosten."
Die steigenden Kosten für Erschließung und Instandhaltung sowie der Rückgang der Bevölkerung sprechen gegen die Bebauung der Ortsränder. Die Bürgermeister aber hat das nicht gekümmert. Der Flächenverbrauch stieg in den vergangenen 40 Jahren beständig. Nirgendwo sonst in Deutschland verfügen die Menschen pro Kopf der Bevölkerung über mehr Wohnraum als im Saarland. Jeder Saarländerin und jedem Saarländer stehen fast 46 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung, der Bundesdurchschnitt liegt gut fünf Quadratmeter darunter. Und nach Angaben des Naturschutzbundes wächst der Flächenverbrauch im ohnehin hoch verdichteten Saarland um rund 200 Hektar im Jahr. Markus Rösler, Vertreter des saarländischen Naturschutzbundes.
"Wir haben im Saarland die zweithöchste Flächenversiegelung in einem Flächenland. Das gilt sowohl für die Verkehrsversiegelung als auch für die Versiegelung über Neubau und Gewerbegebiete. 20 Prozent gelten als versiegelt, damit liegen wir hinter NRW an zweiter Stelle und im Bereich Verkehr haben wir das dichteste Netz aller Flächenstaaten."
Der Naturschutzbund begrüßt es daher ausdrücklich, dass der vorliegende Entwurf eines Landesentwicklungsplans die Bautätigkeit der Gemeinden einschränkt. Im Saarland – so der NABU – sei deutlich zu erkennen, dass übergeordnete Interessen von kommunaler Seite stiefmütterlich behandelt würden. Die vorgesehenen Restriktionen, die den Kommunen beim privaten Wohnungsbau und teilweise auch bei der Ausweisung von Gewerbegebieten zugemutet würden, seien deshalb auch mit den Grundsätzen kommunaler Selbstverwaltung vereinbar. Nicht alle, aber ein großer Teil der saarländischen Gemeinden beurteilt dies naturgemäß ganz anders. Zum Beispiel die Gemeinde Losheim. In einer Stellungnahme ans zuständige Ministerium hat Bürgermeister Lothar Christ seinem Unmut Ausdruck verliehen:
"Wir hoffen, dass unsere Argumente dort Gehör finden. Sollte dies nicht der Fall sein, hat der Gemeinderat uns ermächtigt, den Klageweg zu beschreiten. Parteiübergreifend haben wir einen Beschluss mit deutlicher Mehrheit hinbekommen."
Auf viel Verständnis darf die Gemeinde Losheim allerdings nicht hoffen. Umwelt- und Bauminister Stefan Mörsdorf:
"Von den vielen Stellungnahmen, die eingegangen sind, ist gerade die Losheimer Stellungnahme eine ganz besondere. Die Losheimer Stellungnahme ist schlichtweg wirr."
Wie wirr die Stellungnahme der Gemeinde aus dem nördlichen Saarland sein mag, darüber werden wohl die Gerichte befinden. Auf alle Fälle ist die Kritik am vorliegenden Entwurf für einen Landesentwicklungsplan fundamental. Bürgermeister Lothar Christ:
"Dynamische Prozesse, die Kommunen gemacht haben, denen trägt man nicht Rechnung. Man hält an diesem überkommenen Instrument der zentralen Orte fest, anstatt neue Verbünde zu schaffen, wo wie in anderen Bundesländern auch, Mittelzentren miteinander kooperieren können. Hier hat aber das Umweltministerium den Konflikt gescheut und hat alles beim Alten belassen. Insofern ist dieser LEP-Siedlung sehr wenig dynamisch, sehr wenig innovativ und geht zu unseren Lasten."
Und wenn Bürgermeister Christ aus dem Fenster seiner Amtsstube schaut, dann fällt sein Blick auf das Eisenbahnmuseum. Die liebevoll restaurierte Halle und die dazugehörige Museumsbahn ist gut für den Tourismus aber auch Teil seines Problems.
Ostermontag ist die "Merzig", eine alte Dampflok wieder Mal aufs Gleis gesetzt worden. Familien und Eisenbahnliebhaber nehmen im historischen Personenwagen aus der Kaiserzeit Platz. Dann geht es los. Für zwei Stunden rollt die Merzig in landschaftlich reizvoller Umgebung über die Gleise der historischen Bahnstrecke.
Mehr als musealen Charakter hat die Bahnstrecke nicht mehr. Der Verkehr - sowohl der Güter- als auch der Personenverkehr - werden über die Straße abgewickelt. Nur etwa sieben Prozent der Bevölkerung nutzen überhaupt öffentliche Verkehrsmittel. Damit sind die Chancen der Gemeinde, als zentraler Ort von Bedeutung eingestuft zu werden, verschwindend gering. Denn nach Auffassung der Landesplaner sollen die Menschen entlang der Sielungsachsen wohnen und arbeiten, das heißt entlang der Bahnstrecken und entlang der Autobahnen.
Es ist um die Mittagszeit. Der Individualverkehr schlängelt sich durch den Ortskern von Losheim. Schulkinder werden von ihren Müttern mit dem Auto abgeholt, weil der Weg nach Hause in die weit verzweigten Neubaugebiete vielfach zu weit ist, um ihn zu Fuß zurückzulegen. An den Rändern ist der Ortsteil ausgefranst. Das ist nicht zu übersehen. Manfred Hewer, Leiter des Losheimer Liegenschaftsamtes:
"Ja, das ist schon in die Landschaft mitten rein gebaut, aber ich gehe davon aus, das ist für absehbare Zeit das letzte..."
Viele Grundstücke sind unbebaut, liegen brach oder sind in großzügige Gärten integriert.
"Das ist die ländliche Struktur, die Leute horten für ihre Enkel, Urenkel oder man spekuliert, dass man im Lauf der Zeit noch mehr Euros herausschlagen kann."
308 Baulücken verzeichnet das Liegenschaftsamt für die 16.000-Seelen-Gemeinde. Das sind zu viele. Die Landesplaner haben Losheim als Grundzentrum eingestuft, das an keiner Siedlungsachse liegt. Diese Einordnung bedeutet, dass sich der festgelegte Wohnbedarf auf niedrigstem Niveau bewegt. Mehr als 218 Wohneinheiten dürfen in den kommenden zehn Jahren in der Gemeinde nicht errichtet werden. Dieser Zuweisung stehen jedoch 308 voll erschlossene Baulücken gegenüber, die – so will es der Landesentwicklungsplan - auf den festgelegten Wohnungsbedarf angerechnet werden müssen. Unterm Strich bedeutet dies, Losheim muss schrumpfen. Obwohl Losheim eine der ganz wenigen Gemeinden im Land ist, dessen Einwohnerzahl entgegen der Prognosen in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Bürgermeister Lothar Christ:
"Es gibt keine gesetzlichen Mittel, wie man an diese Baulücken herankommt."
Dem widerspricht der Minister. Stefan Mörsdorf:
"Die Gemeinden können diese Wohnbauflächen, die Bebauungspläne, die sie dafür aufgestellt haben – die offensichtlich niemand braucht – aufheben und können an den Stellen Wohnbauflächen erschließen, wo die Grundstücke verfügbar sind."
Allein die Androhung, den Bebauungsplan zu ändern, werde dafür sorgen, dass sich die Eigentümer bewegen und verkaufen, statt auf Spekulationsgewinne zu hoffen.
Abgesehen von den politischen Nachwirkungen einer solchen Maßnahme glauben die Praktiker vor Ort nicht daran, dass sich die Änderung von Bebauungsplänen durchsetzen lässt. Lothar Christ:
"Wir dürfen nicht einfach einen Bebauungsplan ändern, wenn er Rechtskraft hat. Das heißt, derjenige, der dort eine Baustelle liegen hat, der könnte klagen und er bekäme wohl auch bei der augenblicklichen rechtlichen Situation vor Gericht Recht."
Angesichts des in der Verfassung verankerten Grundsatzes, dass privates Eigentum zu schützen ist, sind die Schwierigkeiten, vor denen die saarländischen Gemeinden stehen, mit den Auswirkungen des demografischen Wandels umzugehen, nicht von der Hand zu weisen. Immer lauter wird daher der Ruf nach steuerlichen Instrumenten. Diskutiert wird über die Einführung einer Grundsteuer C auf Baulücken. Wer es sich also leistet, eine Baulücke brach liegen zu lassen oder diese in einen großzügigen Garten umwandelt, der soll dafür zur Kasse gebeten werden. Bürgermeister Armin König:
"Das wäre eine Lösung, die geht aber nicht auf Ebene der Kommunen, da müssten der Bund und das Land Initiativen ergreifen."
Doch nachdem zum Missfallen der Häuslebauer ab dem kommenden Jahr die Eigenheimzulage gestrichen wird, sind Diskussionen über Steuererhöhungen alles andere als populär.
Ein Jahr lang organisierte die Elterninitiative "Rettet die Grundschulen" den landesweiten Protest. Sie wehrte sich gegen die Pläne des saarländischen Kultusministeriums die kleinen Grundschulen im Land zu schließen. Ohne Erfolg. Inzwischen hat es bereits ein Drittel aller Grundschulen getroffen. Und Gerüchten zu Folge war das nur der Anfang. Per Gesetz wurde geregelt, dass eine Schule in einer Klassenstufe mindestens zwei Züge, also zwei Klassenverbände zustande bringen muss, sonst hat sie ihre Überlebenschance verwehrt. Welche Qualität die Schule dabei aufweist oder welche Funktion sie im innerörtlichen Leben wahrnimmt, das alles spielte und spielt bei den Überlegungen des Ministeriums keine Rolle. Die ländliche Dorfstruktur werde Schaden nehmen, fürchten die Eltern:
"Wir denken, dass das Dorf eine Schule behalten muss. Für den dörflichen Zusammenhalt, für die Identität der Kinder du für die Vereine ist es halt sehr wichtig, dass die Schule im Dorf bleibt. Wenn die Schule weg ist, dann stirbt der kleine Ort. Wir haben nicht viel mehr. Wir haben Schule und Kindergarten; die kleinen Ortschaften verlieren alles."
Noch ist es zu früh, um eindeutig Bilanz zu ziehen. Aber die massenhafte Schließung von Grundschulen hat einer breiten Bevölkerung im Saarland erstmals vor Augen geführt, dass der demografische Wandel im Land vehement eingesetzt hat. Viel eindringlicher als Statistiken dies tun können. Obwohl diese eine eindeutige Sprache sprechen. Die Geburtenziffern im Saarland sind die niedrigsten in ganz Deutschland. In den vergangen zehn Jahren nahm die Zahl der Saarländer um 23.000 ab. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl einer mittleren Kleinstadt. Und der Trend weist weiterhin in diese Richtung. Im Gegensatz dazu beherbergt das Saarland bundesweit nach wie vor die meisten Eigenheimbesitzer.
"Warum soll ich ein Leben lang Miete zahlen, es ist was Eigenes."
Jahrelang buhlten die einzelnen Kommunen um junge, bauwillige Familien. Denn junge Familien - so die Vorstellung - bringen Kaufkraft in die Gemeinde und sorgen mit ihren Kindern für eine stabile Entwicklung im Dorf. Armin König, Bürgermeister der Gemeinde Illingen zweifelt jedoch daran, dass diese These heute noch stimmt:
"Es gab in der Vergangenheit immer den Spruch: Beton zieht Kinder an. Das ist längst nicht mehr so. Neubaugebiete führen nicht mehr dazu, dass mehr Kinder in diesen Gebieten geboren werden. Diejenigen, die dort bauen, haben angesichts der drastisch gestiegenen Preise für Grundstücke, fürs Bauen, ohnehin Probleme, das alles zu finanzieren. Das sind dann meistens Doppelverdiener. Die Betreuungseinrichtungen sind auch nicht so ausgebaut, dass es miteinander in Einklang zu bringen wäre, dass es funktioniert."
Längst nicht alle 52 saarländischen Bürgermeister denken so wie Armin König. Der Wettbewerb um die rar gewordene Institution Familie, läuft ungebrochen. Doch das muss ein Ende haben, deshalb will die Landesplanung die Folgen der demografischen Entwicklung künftig viel stärker steuern als bisher. Der saarländische Umwelt- und Bauminister Stephan Mörsdorf will die Zentren stärken, um die dort vorhandene Infrastruktur auszulasten. Ganz gleich ob es sich dabei um Daseinsvorsorge, Schulen, Freizeiteinrichtungen oder den öffentlichen Personennahverkehr handelt. Nur wer im Landesentwicklungsplan als zentraler Ort anerkannt wird, soll Wachstumschancen bekommen. Die umliegenden Dörfer müssen ihre Wünsche denen der Zentren unterordnen. Stephan Mörsdorf:
"Diejenigen, die in einem Dorf geboren sind und dort bauen wollen, müssen auch die Möglichkeiten haben dort zu bauen. Es kann daher nicht sein, dass alle Ortsteile versuchen im Wettbewerb mit den anderen Ortsteilen junge Familien durch günstiges Bauland anzuziehen. Das wäre Kannibalismus, der gerade bei den knappen öffentlichen Kassen ruinös wäre."
Eigentlich wollte der Minister auch den Ortsteilen der einzelnen Gemeinden genauestens vorschreiben, wo sie noch wachsen dürfen. Die Landesplanung sollte nicht nur vorschreiben, wie viele neue Bauplätze von der Gemeinde in den kommenden zehn Jahren ausgewiesen werden dürfen, sondern auch wo diese entstehen dürfen. Doch dieser Ansatz scheiterte. Noch bevor der Landesentwicklungsplan Siedlung in den kommenden Wochen dem Landtag zur Beschlussfassung vorgelegt wird, organisierten die kommunalen Vertreter den Widerstand. So viel Einmischung in die kommunale Selbstverwaltung wollten die Bürgermeister nicht hinnehmen. Was von der SPD-Opposition im Land bedauert wird. Ulrich Commercon, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion:
"Das wird einen enormen Druck zwischen den verschiedenen Ortskernen erzeugen und wird dafür sorgen, dass die Kommunen insgesamt die für sie vordergründig günstigsten Entwicklungsmöglichkeiten suchen. Da sind aber nicht wirklich die günstigsten sondern die billigsten und damit ist dem eigentlichen Ziel, den Flächenverbrauch einzudämmen und der Zersiedelung entgegen zu wirken, ein Bärendienst erwiesen."
Innerörtlich verdichten heißt die Devise für die Gemeinden. Aber wie? Der Illinger Bürgereister, Armin König, rollt eine Reihe von Plänen aus. Viel Rot ist darauf zu sehen.
"Die roten Punkte sind die Punkte, wo nur noch Leute wohnen, die über 70 sind."
Wie ein Flickenteppich ziehen sich die Punkte quer über alle Ortsteile. Sie markieren die drohenden Gebäude-Leerstände, die der demografischen Entwicklung geschuldet sind. Selbst die ehemaligen Neubaugebiete der 60er und 70er Jahre sind davon betroffen. Sorge macht Bürgermeister König, dass die Single-Haushalte mit den 70- bis 80-Jährigen soweit verzweigt sind. Um überall städtebaulich einzugreifen, fehlen ihm die Mittel. Aber auf seinen Plänen sind zwei, drei Flächen gekennzeichnet, auf denen schon bald etwas geschehen soll.
"Jetzt haben wir überlegt, ob ich nicht zwei, drei Häuser abreiße in der zweiten Reihe, wo ich innerörtlich erschließen kann, wo ich jetzt schon Kanalisation, wo ich jetzt schon Wasserleitungen und Gasleitungen habe. Das Problem ist ja, je weniger Leute in den Häusern wohnen, um so weniger Menschen müssen die gesamten Aufwendungen für Gas, Energie, für die Entsorgung bezahlen. Das heißt, wir haben in den kommenden Jahren steigende Kosten."
Die steigenden Kosten für Erschließung und Instandhaltung sowie der Rückgang der Bevölkerung sprechen gegen die Bebauung der Ortsränder. Die Bürgermeister aber hat das nicht gekümmert. Der Flächenverbrauch stieg in den vergangenen 40 Jahren beständig. Nirgendwo sonst in Deutschland verfügen die Menschen pro Kopf der Bevölkerung über mehr Wohnraum als im Saarland. Jeder Saarländerin und jedem Saarländer stehen fast 46 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung, der Bundesdurchschnitt liegt gut fünf Quadratmeter darunter. Und nach Angaben des Naturschutzbundes wächst der Flächenverbrauch im ohnehin hoch verdichteten Saarland um rund 200 Hektar im Jahr. Markus Rösler, Vertreter des saarländischen Naturschutzbundes.
"Wir haben im Saarland die zweithöchste Flächenversiegelung in einem Flächenland. Das gilt sowohl für die Verkehrsversiegelung als auch für die Versiegelung über Neubau und Gewerbegebiete. 20 Prozent gelten als versiegelt, damit liegen wir hinter NRW an zweiter Stelle und im Bereich Verkehr haben wir das dichteste Netz aller Flächenstaaten."
Der Naturschutzbund begrüßt es daher ausdrücklich, dass der vorliegende Entwurf eines Landesentwicklungsplans die Bautätigkeit der Gemeinden einschränkt. Im Saarland – so der NABU – sei deutlich zu erkennen, dass übergeordnete Interessen von kommunaler Seite stiefmütterlich behandelt würden. Die vorgesehenen Restriktionen, die den Kommunen beim privaten Wohnungsbau und teilweise auch bei der Ausweisung von Gewerbegebieten zugemutet würden, seien deshalb auch mit den Grundsätzen kommunaler Selbstverwaltung vereinbar. Nicht alle, aber ein großer Teil der saarländischen Gemeinden beurteilt dies naturgemäß ganz anders. Zum Beispiel die Gemeinde Losheim. In einer Stellungnahme ans zuständige Ministerium hat Bürgermeister Lothar Christ seinem Unmut Ausdruck verliehen:
"Wir hoffen, dass unsere Argumente dort Gehör finden. Sollte dies nicht der Fall sein, hat der Gemeinderat uns ermächtigt, den Klageweg zu beschreiten. Parteiübergreifend haben wir einen Beschluss mit deutlicher Mehrheit hinbekommen."
Auf viel Verständnis darf die Gemeinde Losheim allerdings nicht hoffen. Umwelt- und Bauminister Stefan Mörsdorf:
"Von den vielen Stellungnahmen, die eingegangen sind, ist gerade die Losheimer Stellungnahme eine ganz besondere. Die Losheimer Stellungnahme ist schlichtweg wirr."
Wie wirr die Stellungnahme der Gemeinde aus dem nördlichen Saarland sein mag, darüber werden wohl die Gerichte befinden. Auf alle Fälle ist die Kritik am vorliegenden Entwurf für einen Landesentwicklungsplan fundamental. Bürgermeister Lothar Christ:
"Dynamische Prozesse, die Kommunen gemacht haben, denen trägt man nicht Rechnung. Man hält an diesem überkommenen Instrument der zentralen Orte fest, anstatt neue Verbünde zu schaffen, wo wie in anderen Bundesländern auch, Mittelzentren miteinander kooperieren können. Hier hat aber das Umweltministerium den Konflikt gescheut und hat alles beim Alten belassen. Insofern ist dieser LEP-Siedlung sehr wenig dynamisch, sehr wenig innovativ und geht zu unseren Lasten."
Und wenn Bürgermeister Christ aus dem Fenster seiner Amtsstube schaut, dann fällt sein Blick auf das Eisenbahnmuseum. Die liebevoll restaurierte Halle und die dazugehörige Museumsbahn ist gut für den Tourismus aber auch Teil seines Problems.
Ostermontag ist die "Merzig", eine alte Dampflok wieder Mal aufs Gleis gesetzt worden. Familien und Eisenbahnliebhaber nehmen im historischen Personenwagen aus der Kaiserzeit Platz. Dann geht es los. Für zwei Stunden rollt die Merzig in landschaftlich reizvoller Umgebung über die Gleise der historischen Bahnstrecke.
Mehr als musealen Charakter hat die Bahnstrecke nicht mehr. Der Verkehr - sowohl der Güter- als auch der Personenverkehr - werden über die Straße abgewickelt. Nur etwa sieben Prozent der Bevölkerung nutzen überhaupt öffentliche Verkehrsmittel. Damit sind die Chancen der Gemeinde, als zentraler Ort von Bedeutung eingestuft zu werden, verschwindend gering. Denn nach Auffassung der Landesplaner sollen die Menschen entlang der Sielungsachsen wohnen und arbeiten, das heißt entlang der Bahnstrecken und entlang der Autobahnen.
Es ist um die Mittagszeit. Der Individualverkehr schlängelt sich durch den Ortskern von Losheim. Schulkinder werden von ihren Müttern mit dem Auto abgeholt, weil der Weg nach Hause in die weit verzweigten Neubaugebiete vielfach zu weit ist, um ihn zu Fuß zurückzulegen. An den Rändern ist der Ortsteil ausgefranst. Das ist nicht zu übersehen. Manfred Hewer, Leiter des Losheimer Liegenschaftsamtes:
"Ja, das ist schon in die Landschaft mitten rein gebaut, aber ich gehe davon aus, das ist für absehbare Zeit das letzte..."
Viele Grundstücke sind unbebaut, liegen brach oder sind in großzügige Gärten integriert.
"Das ist die ländliche Struktur, die Leute horten für ihre Enkel, Urenkel oder man spekuliert, dass man im Lauf der Zeit noch mehr Euros herausschlagen kann."
308 Baulücken verzeichnet das Liegenschaftsamt für die 16.000-Seelen-Gemeinde. Das sind zu viele. Die Landesplaner haben Losheim als Grundzentrum eingestuft, das an keiner Siedlungsachse liegt. Diese Einordnung bedeutet, dass sich der festgelegte Wohnbedarf auf niedrigstem Niveau bewegt. Mehr als 218 Wohneinheiten dürfen in den kommenden zehn Jahren in der Gemeinde nicht errichtet werden. Dieser Zuweisung stehen jedoch 308 voll erschlossene Baulücken gegenüber, die – so will es der Landesentwicklungsplan - auf den festgelegten Wohnungsbedarf angerechnet werden müssen. Unterm Strich bedeutet dies, Losheim muss schrumpfen. Obwohl Losheim eine der ganz wenigen Gemeinden im Land ist, dessen Einwohnerzahl entgegen der Prognosen in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Bürgermeister Lothar Christ:
"Es gibt keine gesetzlichen Mittel, wie man an diese Baulücken herankommt."
Dem widerspricht der Minister. Stefan Mörsdorf:
"Die Gemeinden können diese Wohnbauflächen, die Bebauungspläne, die sie dafür aufgestellt haben – die offensichtlich niemand braucht – aufheben und können an den Stellen Wohnbauflächen erschließen, wo die Grundstücke verfügbar sind."
Allein die Androhung, den Bebauungsplan zu ändern, werde dafür sorgen, dass sich die Eigentümer bewegen und verkaufen, statt auf Spekulationsgewinne zu hoffen.
Abgesehen von den politischen Nachwirkungen einer solchen Maßnahme glauben die Praktiker vor Ort nicht daran, dass sich die Änderung von Bebauungsplänen durchsetzen lässt. Lothar Christ:
"Wir dürfen nicht einfach einen Bebauungsplan ändern, wenn er Rechtskraft hat. Das heißt, derjenige, der dort eine Baustelle liegen hat, der könnte klagen und er bekäme wohl auch bei der augenblicklichen rechtlichen Situation vor Gericht Recht."
Angesichts des in der Verfassung verankerten Grundsatzes, dass privates Eigentum zu schützen ist, sind die Schwierigkeiten, vor denen die saarländischen Gemeinden stehen, mit den Auswirkungen des demografischen Wandels umzugehen, nicht von der Hand zu weisen. Immer lauter wird daher der Ruf nach steuerlichen Instrumenten. Diskutiert wird über die Einführung einer Grundsteuer C auf Baulücken. Wer es sich also leistet, eine Baulücke brach liegen zu lassen oder diese in einen großzügigen Garten umwandelt, der soll dafür zur Kasse gebeten werden. Bürgermeister Armin König:
"Das wäre eine Lösung, die geht aber nicht auf Ebene der Kommunen, da müssten der Bund und das Land Initiativen ergreifen."
Doch nachdem zum Missfallen der Häuslebauer ab dem kommenden Jahr die Eigenheimzulage gestrichen wird, sind Diskussionen über Steuererhöhungen alles andere als populär.