Bauchlandung der Neo-Konservativen in der Union

Von Jochen Thies |
Hitler mochte den deutschen Südwesten nicht. Er war nach der Machtergreifung nur ein einziges Mal in Stuttgart. Und dieser Besuch blieb ihm vermutlich in nachhaltiger Erinnerung, weil es einem schwäbischen Bauern mit einem Axthieb gelang, das Sendekabel zu durchtrennen und damit die Radioansprache des Diktators zu beenden.
Hans Georg Elser, der es um ein Haar schaffte, Hitler mit einem gezielten Bombenattentat im Münchner Bürgerbräukeller zu töten und Stauffenberg, einer der Köpfe des 20. Juli 1944, stammten aus Baden-Württemberg. Und unverbrüchlich lieben die Schwaben ihren "Wüschtefuchs", den Feldmarschall Erwin Rommel, obwohl sich das Bild von ihm über die Jahre eingetrübt hat. Baden-Württemberg ist kein Sonderfall in der deutschen Geschichte, sondern bietet im Großen und Ganzen das Bild, das Deutschland zwischen 1933 und 1945 kennzeichnete. Helden und wirkliche Hitler-Gegner waren äußerst selten.

Man kann sich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass die umstrittenen Bemerkungen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger anlässlich des Todes von Filbinger, dem Vorgänger Kennzeichen eines regionalen, süddeutschen Sonderbewusstseins sind, dass sich – zumindest unbewusst – allmählich vom Hauptstrang der deutschen Geschichte und den damit verbundenen Lasten abkoppelt. Wer dies bezweifelt, achte einmal auf den Beifall, den Oettinger von seinen schwäbischen Parteifreunden nach der Rede erhalten hat und offenbar weiter bekommt. Und noch gar nicht lange zurück liegt die peinliche Rede des Kulturstaatssekretärs Schäfer in Weimar, der ebenfalls aus dem Südwesten kommt.

Die Wiedervereinigung hat Berlin ins Zentrum der Betrachtungen über die jüngere deutsche Geschichte gestellt. Dort finden sich die Herrschaftssymbole der NS-Zeit und neue Gedenkstätten, wie die Mahnwache und das Holocaust-Mahnmal, an denen man – aus südwestdeutscher Sicht - die unangenehmen Aspekte der Vergangenheit abladen kann. Man befindet sich nicht nur räumlich, sondern zunehmend auch geistig in der Nähe der Schweiz, teilt mit ihr gute Wirtschaftsdaten und hohe Einkommen bei äußerst geringer Arbeitslosigkeit. Und die Autobahnen, die im Südwesten während der zurückliegenden Jahrzehnte gebaut worden sind, weisen die Freizeitgesellschaft nach Süden, an den Bodensee, in die Alpen oder nach Italien. Berlin ist weit weg. Für die Vergangenheitsbewältigung ist darüber hinaus der protestantisch geprägte Norden Deutschlands sehr viel besser geeignet, der in süddeutscher Sicht ja ohnehin zum Flagellantentum neigt.

Oettingers Äußerungen stehen nicht allein, sondern sind Kennzeichen einer gedanklichen Malaise der Neo-Konservativen, nicht mehr ganz jungen Unionspolitiker um Wulf, Koch und Merz, die ihrem Stuttgarter Parteifreund in dieser Woche nicht beigesprungen sind, sondern schweigen. Nur Schönbohm, der in die Jahre gekommene Troupier, blies ins Horn, um sogleich festzustellen, dass die Truppe in den Gräben blieb.

Dagegen nutzte die einzige wirkliche Unions-Strategin, Angela Merkel, die unverhoffte Chance, um Oettinger öffentlich und harsch zur Räson zu bringen. Dies kam einer Sprengung des so genannten Anden-Paktes gleich. Die Haltung der Kanzlerin zu Fragen der jüngeren deutschen Vergangenheit ist übrigens klar und frei von taktischen Erwägungen. Denn sie unterhält seit Jahren enge Beziehungen zu den Familien des deutschen Widerstandes.

Sicher ist, dass auch in Zukunft deutsche Regionalpolitiker, die sich aufblähen, und einen Beitrag zum vermeintlich unverkrampften Umgang mit der deutschen Geschichte leisten wollen, an einer kritischen Öffentlichkeit scheitern werden. Über das Dritte Reich öffentlich zu reden, erfordert einen eigenen Standpunkt, Charakter und moralische Maßstäbe. Die wuseligen Augenblickspolitiker von heute unterschätzen, dass eine Trauerrede auf einen umstrittenen Parteifreund mit Teilbiographie im Dritten Reich zu dem Schwierigsten gehört, was einem abverlangt wird. Denn dann muss man lesen, zuhören und nachdenken, auch allein sein: Tugenden, die den meisten im politischen Geschäft mittlerweile abhanden gekommen sind.