Bastelstunde
Der Sozialdemokrat als solcher ist ein merkwürdiger Gesell. Zwar ist es immer noch verhältnismäßig einfach, seine politischen Präferenzen zu definieren, bei denen die soziale Gerechtigkeit nach wie vor einen wichtigen Platz einnimmt.
Bei den personellen Präferenzen dagegen regiert das Nebulöse, der Reiz des gewissen Nichts. Es ist, als würde man in Watte beißen, wenn man eine einigermaßen repräsentative Auskunft darüber haben will, wen der gemeine Sozialdemokrat an der Spitze der Partei sehen möchte. Will man den Umfragen trauen, wogegen einiges spricht, dann wissen die Sozis zurzeit vor allem, was respektive wen sie nicht wollen: Ihren Vorsitzenden Kurt Beck.
Als er Vorsitzender wurde, lag die Zustimmung über 90 Prozent. Genau wie für Gerhard Schröder 1999 und Franz Müntefering 2004 und Matthias Platzeck 2005. Platzeck holte sich beim Parteitag im November 2005 sogar eine Quote von 99,4 Prozent ab. Und hat es trotz seiner knapp halbjährigen Amtszeit geschafft, als Zauderer und Meister des Ungefähren gescholten zu werden. Nicht zu vergessen der rapide Ansehensverlust von Schröder als Parteivorsitzender, der ihn 2004 dazu brachte, den Stab an Franz Müntefering weiterzugeben in der Hoffnung, dass der Franz die Truppen besser zusammenhalten würde. Was irgendwie nicht so richtig funktioniert haben kann, denn Schröder sah sich ja gezwungen, um seine Abwahl zu betteln, weil angeblich die Partei und vor allem die Bundestagsfraktion nicht hinter seiner Politik stand.
Mit anderen Worten: Man kann es dem Sozialdemokraten offenbar nicht recht machen. Also schauen wir doch mal, wie ein Vorsitzender gebaut sein müsste, damit er eine Chance beim Parteivolk hat. Wobei es auf Inhalte offensichtlich nicht ankommt. Ginge es darum, hätte Kurt Beck nicht so schlechte Karten. Augenscheinlich geht es ums Auftreten, um Stimmungen, um Stilfragen. Basteln wir uns also einen stilistisch perfekten SPD-Vorsitzenden. Was müsste der haben?
Zunächst mal eine große Portion Willy Brandt. Brandt bedeutet Stetigkeit, unabhängig von den Inhalten. Da gab es auch viel zu meckern. Aber er war halt der Alte, eine große Figur. Brandt war 23 Jahre lang Vorsitzender. Von 1964 bis '87. In den 20 Jahren nach Willy Brandt hat es die SPD auf neun Vorsitzende gebracht. Wenn man Johannes Rau mitrechnet, der nach dem plötzlichen Ende der Ära Engholm als kommissarischer Chef einspringen musste. Das alles signalisiert Unstetigkeit, die mit vier Vorsitzenden in den letzten drei Jahren einen traurigen Höhepunkt erreichte.
Zu der Portion Brandt müsste ein großer Löffel Helmut Schmidt kommen. Auch hier eher am Stil orientiert, weitgehend unabhängig von Inhalten. Viele Sozialdemokraten haben eine nostalgische Sehnsucht nach einem "Macher", einem mit Schnauze und Selbstbewusstsein. Und sie vergessen dabei, wie problematisch das Verhältnis der SPD zu Helmut Schmidt stets war. Und umgekehrt. Ein Schuss Hans-Jochen Vogel wäre auch nicht schlecht. Der zog zwar viel Spott auf sich als Meister der Klarsichthüllen, aber im Rückblick erkennen einige Sozis, dass so ein bisschen Geradlinigkeit und Penibilität von der Art Vogels der Partei nicht schlecht stehen würde. Das Ganze abgeschmeckt mit nicht zu wenig Oskar Lafontaine – aber ja doch. Sie mögen ja reden, wie sie wollen über den "Verräter" Oskar. Seine rhetorischen, vor allem polemischen Talente, wären sicher vielen willkommen.
Also Brandt, Schmidt, Vogel, Lafontaine, natürlich ein bisschen von der Medienpräsenz eines Gerhard Schröder, das alles gut durchgerührt – und dann müsste das Endprodukt eine Frau sein. Ohne Frau ist im Zeitalter der Merkelei kein Staat mehr zu machen. Am besten eine Frau vom Typus Ursula von der Leyen, die so anmutig im sozialdemokratischen Revier wildert und die alten Herren und auch Damen in der Union zur Weißglut treibt. Die hätte zwar auch keine Chance, die Kanzlerin als Königin der roten Teppiche abzulösen. Da spielt nun einmal der Amtsbonus die entscheidende Rolle. Aber die so zusammen gebastelte SPD-Vorsitzende würde der Union zumindest beim Marketing-Element "Frau an der Spitze" Gleichwertiges entgegensetzen. Das wär’ schon mal was.
Leider ist bei der SPD nichts dergleichen in Sicht. Stattdessen setzt sich Siegmar Gabriel in Szene, der eigentlich genug damit zu tun hat, sich von der Kanzlerin nicht die Umweltpolitik stehlen zu lassen. Stattdessen wird über Frank-Walter Steinmeier geredet, der genau den Job hat, der am besten zu ihm passt. Stattdessen wird wehmütig und sehnsüchtig über Gerhard Schröder geredet, also über den Parteivorsitzenden, in dessen Amtszeit die SPD den dramatischsten Mitgliederschwund ihrer Geschichte erleiden musste. Eine Entwicklung, die anhält. "Er strahlte so eine Leichtigkeit aus, bei ihm ging alles spielerisch. Wenn er noch da wäre, wäre alles besser", so ließ sich ein niedersächsischer Landtagsabgeordneter am Wochenende zitieren. Ja, eben. Der Sozialdemokrat ist ein merkwürdiger Gesell. Und es steht zu befürchten, dass der Herr aus Niedersachsen nicht ganz alleine steht mit seiner Schröder-Schwärmerei. Bloß dann wäre den Sozis nun wirklich nicht mehr zu helfen.
Dr. Peter Zudeick, Journalist, Buchautor, langjähriger Korrespondent in Bonn und jetzt in Berlin, Buchveröffentlichungen u.a. "Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch - Leben und Werk", "Alternative Schulen" und "Saba - Bilanz einer Aufgabe".
Als er Vorsitzender wurde, lag die Zustimmung über 90 Prozent. Genau wie für Gerhard Schröder 1999 und Franz Müntefering 2004 und Matthias Platzeck 2005. Platzeck holte sich beim Parteitag im November 2005 sogar eine Quote von 99,4 Prozent ab. Und hat es trotz seiner knapp halbjährigen Amtszeit geschafft, als Zauderer und Meister des Ungefähren gescholten zu werden. Nicht zu vergessen der rapide Ansehensverlust von Schröder als Parteivorsitzender, der ihn 2004 dazu brachte, den Stab an Franz Müntefering weiterzugeben in der Hoffnung, dass der Franz die Truppen besser zusammenhalten würde. Was irgendwie nicht so richtig funktioniert haben kann, denn Schröder sah sich ja gezwungen, um seine Abwahl zu betteln, weil angeblich die Partei und vor allem die Bundestagsfraktion nicht hinter seiner Politik stand.
Mit anderen Worten: Man kann es dem Sozialdemokraten offenbar nicht recht machen. Also schauen wir doch mal, wie ein Vorsitzender gebaut sein müsste, damit er eine Chance beim Parteivolk hat. Wobei es auf Inhalte offensichtlich nicht ankommt. Ginge es darum, hätte Kurt Beck nicht so schlechte Karten. Augenscheinlich geht es ums Auftreten, um Stimmungen, um Stilfragen. Basteln wir uns also einen stilistisch perfekten SPD-Vorsitzenden. Was müsste der haben?
Zunächst mal eine große Portion Willy Brandt. Brandt bedeutet Stetigkeit, unabhängig von den Inhalten. Da gab es auch viel zu meckern. Aber er war halt der Alte, eine große Figur. Brandt war 23 Jahre lang Vorsitzender. Von 1964 bis '87. In den 20 Jahren nach Willy Brandt hat es die SPD auf neun Vorsitzende gebracht. Wenn man Johannes Rau mitrechnet, der nach dem plötzlichen Ende der Ära Engholm als kommissarischer Chef einspringen musste. Das alles signalisiert Unstetigkeit, die mit vier Vorsitzenden in den letzten drei Jahren einen traurigen Höhepunkt erreichte.
Zu der Portion Brandt müsste ein großer Löffel Helmut Schmidt kommen. Auch hier eher am Stil orientiert, weitgehend unabhängig von Inhalten. Viele Sozialdemokraten haben eine nostalgische Sehnsucht nach einem "Macher", einem mit Schnauze und Selbstbewusstsein. Und sie vergessen dabei, wie problematisch das Verhältnis der SPD zu Helmut Schmidt stets war. Und umgekehrt. Ein Schuss Hans-Jochen Vogel wäre auch nicht schlecht. Der zog zwar viel Spott auf sich als Meister der Klarsichthüllen, aber im Rückblick erkennen einige Sozis, dass so ein bisschen Geradlinigkeit und Penibilität von der Art Vogels der Partei nicht schlecht stehen würde. Das Ganze abgeschmeckt mit nicht zu wenig Oskar Lafontaine – aber ja doch. Sie mögen ja reden, wie sie wollen über den "Verräter" Oskar. Seine rhetorischen, vor allem polemischen Talente, wären sicher vielen willkommen.
Also Brandt, Schmidt, Vogel, Lafontaine, natürlich ein bisschen von der Medienpräsenz eines Gerhard Schröder, das alles gut durchgerührt – und dann müsste das Endprodukt eine Frau sein. Ohne Frau ist im Zeitalter der Merkelei kein Staat mehr zu machen. Am besten eine Frau vom Typus Ursula von der Leyen, die so anmutig im sozialdemokratischen Revier wildert und die alten Herren und auch Damen in der Union zur Weißglut treibt. Die hätte zwar auch keine Chance, die Kanzlerin als Königin der roten Teppiche abzulösen. Da spielt nun einmal der Amtsbonus die entscheidende Rolle. Aber die so zusammen gebastelte SPD-Vorsitzende würde der Union zumindest beim Marketing-Element "Frau an der Spitze" Gleichwertiges entgegensetzen. Das wär’ schon mal was.
Leider ist bei der SPD nichts dergleichen in Sicht. Stattdessen setzt sich Siegmar Gabriel in Szene, der eigentlich genug damit zu tun hat, sich von der Kanzlerin nicht die Umweltpolitik stehlen zu lassen. Stattdessen wird über Frank-Walter Steinmeier geredet, der genau den Job hat, der am besten zu ihm passt. Stattdessen wird wehmütig und sehnsüchtig über Gerhard Schröder geredet, also über den Parteivorsitzenden, in dessen Amtszeit die SPD den dramatischsten Mitgliederschwund ihrer Geschichte erleiden musste. Eine Entwicklung, die anhält. "Er strahlte so eine Leichtigkeit aus, bei ihm ging alles spielerisch. Wenn er noch da wäre, wäre alles besser", so ließ sich ein niedersächsischer Landtagsabgeordneter am Wochenende zitieren. Ja, eben. Der Sozialdemokrat ist ein merkwürdiger Gesell. Und es steht zu befürchten, dass der Herr aus Niedersachsen nicht ganz alleine steht mit seiner Schröder-Schwärmerei. Bloß dann wäre den Sozis nun wirklich nicht mehr zu helfen.
Dr. Peter Zudeick, Journalist, Buchautor, langjähriger Korrespondent in Bonn und jetzt in Berlin, Buchveröffentlichungen u.a. "Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch - Leben und Werk", "Alternative Schulen" und "Saba - Bilanz einer Aufgabe".

Peter Zudeick© WDR